Verfahrensgang
LG Trier (Entscheidung vom 16.01.2024; Aktenzeichen 8034 Js 14729/23 - 1 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten Y. wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 16. Januar 2024
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte des Raubes in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist;
b) in dem ihn betreffenden Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
2. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das vorbezeichnete Urteil in dem ihn betreffenden Schuld- und Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten Y. und einen Mitangeklagten jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Raub zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Angeklagter Y. ) beziehungsweise drei Jahren und acht Monaten (Mitangeklagter) verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten Y. und H. sind auf Sachrügen, die des Angeklagten Y. zudem auf eine nicht ausgeführte Verfahrensbeanstandung gestützt. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen planten der Angeklagte Y. und der Mitangeklagte, von einem Drogenhändler bei einem vermeintlichen Ankauf Rauschgift zu entwenden und dieses sodann überwiegend gewinnbringend weiterzuverkaufen. Dazu bestellte der Mitangeklagte bei dem Angeklagten H. 1,9 Kilogramm Marihuana. Als bei der vereinbarten Übergabe am 29. April 2023 keine Möglichkeit bestand, durch List Zugriff auf das Rauschgift zu erlangen, entschloss sich der Angeklagte Y., es dem Angeklagten H. gewaltsam abzunehmen. Dies signalisierte er dem Mitangeklagten nonverbal und schlug dem Angeklagten H. unvermittelt ins Gesicht. Der Mitangeklagte entriss dem Angeklagten H. den Koffer mit dem Marihuana, das mindestens 339 Gramm Tetrahydrocannabinol enthielt, und lief weg. Der Angegangene zog ein zu Verteidigungszwecken mitgeführtes „Säbelmesser“, verfolgte den Mitangeklagten, brachte den Koffer unter Vorhalt des Messers wieder an sich und floh.
Rz. 3
2. Die Revision des Angeklagten Y. führt auf die Sachrüge zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, insbesondere beruht die Beweiswürdigung auf möglichen Schlüssen.
Rz. 4
a) Der Schuldspruch wegen eines - als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) - begangenen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) ist nicht zu beanstanden, allerdings in Bezug auf das in Tateinheit dazu abgeurteilte Betäubungsmitteldelikt infolge einer nach Urteilsverkündung modifizierten Rechtslage zu ändern. Der Straftatbestand des Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 CanG ist hier - auch unter Berücksichtigung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle (§ 34 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 4 KCanG) - gegenüber demjenigen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 1, Abs. 2 BtMG günstiger und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO maßgeblich.
Rz. 5
Nach den gegebenen Umständen ist die Prüfung, welche Gesetzeslage anzuwenden ist, nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht die Strafe nicht dem in Rede stehenden § 29a Abs. 1 und 2 BtMG, sondern dem unverändert gebliebenen § 249 Abs. 2 StGB entnommen hat. Der Günstigkeitsvergleich nach § 2 Abs. 3 StGB hat nicht allein für die Strafzumessung Bedeutung, sondern auch für den Schuldspruch, in dem das anwendbare mildere Gesetz zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 6 StR 150/22, NStZ-RR 2022, 200). Da im Falle von Tateinheit zugleich diejenigen Delikte im Schuldspruch aufgeführt sind und den Schuldgehalt bestimmen, die nicht die schwerste Strafe androhen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB), sind sie zu ändern, sofern dies aufgrund einer Gesetzesänderung nach § 2 Abs. 3 StGB geboten ist. Etwas anderes folgt nicht aus einer vom Generalbundesanwalt für seine abweichende Auffassung herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 3. Oktober 1978 - 4 StR 509/78, WKRS 1978, 12596); denn dieser - auf das für den Strafrahmen maßgebliche Delikt abstellende - Beschluss hatte einen Sachverhalt zum Gegenstand, bei dem beide tateinheitlich verwirklichten Straftatbestände von einer Gesetzesänderung betroffen waren und es um die Frage strikter Alternativität ging, während hier der Raubtatbestand (§ 249 StGB) unverändert geblieben und ausschließlich zu prüfen ist, welche Gesetzeslage für den in Tateinheit hinzutretenden Handel mit Marihuana die günstigere ist (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 4 StR 471/99, NStZ 2000, 93; s. auch BGH, Beschlüsse vom 30. April 2024 - 6 StR 606/23, juris; vom 5. Juni 2024 - 5 StR 631/24, juris Rn. 5 f.).
Rz. 6
Danach stellt sich die neue Rechtslage als milder dar. Der Strafrahmen des Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG unterschreitet den vom Landgericht herangezogenen eines minder schweren Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 2 BtMG) erheblich. Obschon nunmehr das Regelbeispiel der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (vgl. zum maßgeblichen Grenzwert Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, juris Rn. 11 ff.; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 8 f.) und die Annahme eines besonders schweren Falls in Betracht kommen, wäre der Strafrahmen nicht höher und damit gegenüber dem zur Anwendung gebrachten Rahmen des § 249 Abs. 2 StGB ohne Belang. Dagegen ist der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Cannabis im Vergleich zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge insofern milder, als die Tat kein Verbrechen darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 1993 - 1 StR 112/93, StV 1993, 364) und der Gesetzgeber den Handel mit Cannabis als weniger erheblich betrachtet als denjenigen mit anderen Betäubungsmitteln.
Rz. 7
b) Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung der Strafe nach sich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht diese bei Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage geringer bemessen hätte. Zwar ist der Strafrahmen des Raubes maßgeblich. Zudem trägt nach § 34 KCanG der herangezogene Milderungsgrund nicht, dass es sich bei Cannabis um eine „weiche Droge“ handele; denn die Strafnorm betrifft ausschließlich Cannabis (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 10). Das Landgericht hat aber ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten Y. berücksichtigt, dass er tateinheitlich zwei Verbrechen verwirklichte. Das Handeltreiben mit Cannabis stellt indes lediglich ein Vergehen dar, dem nach der gesetzgeberischen Wertung ein geringerer Unrechts- und Schuldgehalt zukommt.
Rz. 8
c) Die Aufhebung ist nicht auf den Mitangeklagten nach § 357 StPO zu erstrecken. Eine solche Erstreckung scheidet bei der Aufhebung eines Urteils infolge geänderter Gesetzeslage (§ 354a StPO) grundsätzlich aus (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1964 - 1 StR 358/64, BGHSt 20, 77; Beschlüsse vom 26. Januar 1995 - 1 StR 798/94, BGHSt 41, 6; vom 5. Januar 1999 - 3 StR 405/98, juris Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 357 Rn. 9), zumal die nach § 2 Abs. 3 StGB vorzunehmende Prüfung des anwendbaren Rechts für jeden Angeklagten individuell vorzunehmen ist (vgl. LK/Dannecker/Schuhr, StGB, 13. Aufl., § 2 Rn. 135).
Rz. 9
3. Die Verurteilung des Angeklagten H. hat auf dessen Sachrüge hin keinen Bestand, weil durch das Revisionsgericht in der gegebenen Konstellation nicht entschieden werden kann, ob die bei der Tat oder die nunmehr geltende Rechtslage milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB und daher anzuwenden ist (§ 354a StPO).
Rz. 10
a) Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (BGH, Urteil vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 mwN). Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt, etwa ein gesetzlich geregelter besonders oder minder schwerer Fall angenommen wird, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, wistra 2014, 446 Rn. 31; vom 28. Februar 2018 - 2 StR 45/17, juris Rn. 14 mwN; Beschluss vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 5).
Rz. 11
b) Daran gemessen lässt sich im Revisionsverfahren nicht abschließend bestimmen, welche Rechtslage hier die mildere ist.
Rz. 12
aa) Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten H. als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bewertet, einen minder schweren Fall angenommen und den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zugrunde gelegt, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Da sich die Tathandlung auf Cannabis im Sinne des inzwischen geltenden § 1 Nr. 8 KCanG bezog, käme nunmehr eine Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Betracht, das mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren, zu ahnden ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG). Eine nicht geringe Menge, die Tatbestandsvoraussetzung des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis ist (§ 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG), ist ab einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC gegeben (s. oben unter 2. a) aE).
Rz. 13
bb) Der konkret anzuwendende Strafrahmen nach § 34 Abs. 4 KCanG ist nicht ohne weiteres günstiger als der vom Landgericht herangezogene des § 30a Abs. 3 BtMG. Zwar lässt § 34 Abs. 4 KCanG beim bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis im Vergleich zu § 30a BtMG nur geringere Strafen zu, soweit die Regelungen für den Qualifikationstatbestand und die minder schweren Fälle direkt verglichen werden. Allerdings ist es eine vom Tatgericht zu entscheidende Wertungsfrage, ob ein minder schwerer Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis vorliegt. Allein daraus, dass das Landgericht einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angenommen hat, ergibt sich dies nicht. Insbesondere hat der vom Landgericht ausdrücklich herangezogene, im Rahmen des § 30a BtMG berücksichtigungsfähige Milderungsgrund, es handele sich bei Cannabis um eine „weiche Droge“, für die Strafzumessung nach § 34 KCanG keine Bedeutung; denn die Strafnorm betrifft ausschließlich Cannabis. Die im Vergleich zu bestimmten anderen Suchtstoffen geringere Gefährlichkeit (vgl. st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22, juris Rn. 30 mwN) hat bereits bei der gesetzlichen Festlegung der Strafrahmen Berücksichtigung gefunden (s. BT-Drucks. 20/8704 S. 130).
Rz. 14
c) Mithin bedarf es wegen der Gesetzesänderung einer neuen Bewertung des Tatgerichts dahin, ob es aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis für gegeben hält und damit das Konsumcannabisgesetz Anwendung findet oder ob dies nicht der Fall ist und bei erneuter Annahme eines minder schweren Falls des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für den hier zu beurteilenden Sachverhalt weiterhin das Betäubungsmittelgesetz maßgeblich bleibt. Dabei besteht Gelegenheit, den angeklagten Lebenssachverhalt auch unter dem Gesichtspunkt des besonders schweren Raubes nach § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu würdigen, da sich der Angeklagte H. nach den getroffenen Feststellungen gewaltsam unter Einsatz eines „Säbelmessers“ wieder in den Besitz des Marihuanas brachte (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 21. April 2015 - 4 StR 92/15, NJW 2015, 2898 Rn. 19; vom 15. November 2016 - 3 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 244, 245). Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO stünde einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, sondern lediglich einer Verböserung von Art und Höhe der Rechtsfolgen.
Rz. 15
d) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind nicht berührt und können aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO); widerspruchsfreie Ergänzungen bleiben möglich.
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Fundstellen
Dokument-Index HI16461668 |