Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 15.12.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Nötigung und wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und in weiterer Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet. Demgegenüber hat die Maßregelanordnung keinen Bestand, weil die Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht ausreichend dargetan worden sind.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reichte die Ehefrau des Angeklagten Ende März 2004 die Scheidung ein. Der Angeklagte, der eine Trennung nicht hinnehmen wollte, bedrängte die Nebenklägerin, von einer Scheidung Abstand zu nehmen. Da er in diesem Zusammenhang auch Drohungen ausstieß, verließ die Nebenklägerin die gemeinsame Wohnung und zog zu ihren Eltern. Dort versuchte der Angeklagte im Mai 2004, mit Gewalt einzudringen, weil er vermutete, daß seine Ehefrau in der Wohnung mit einem anderen Mann zusammen wäre. Erst als die Nebenklägerin drohte, die Polizei zu alarmieren, gab er sein Vorhaben auf.
Im Anschluß begab er sich zu der Gartenlaube seiner Schwiegereltern, wo er seinen Schwiegervater mit vorgehaltenem Messer dazu zwang, für ihn eine telefonische Verbindung mit der Nebenklägerin herzustellen. Während des Telefonats mit seiner Ehefrau hielt er seine Schwiegereltern weiterhin mit dem Messer in Schach. Als er merkte, daß die Polizei benachrichtigt worden war, ließ er sich das Messer abnehmen und brach weinend zusammen.
Etwa eine Woche später stieg er nachts in die Wohnung seiner Schwägerin ein, da die Nebenklägerin dort übernachtete. Er bedrohte seine Ehefrau mit einem Messer und schüttete aus einem mitgebrachten Kanister eineinhalb Liter Benzin in Richtung auf die Nebenklägerin und ihre Schwester aus. Dabei erklärte er, er würde das Benzin entzünden, wenn seine Ehefrau nicht mit ihm käme. Zunächst gelang es beiden Frauen, dem Angeklagten das bereits angezündete Feuerzeug – der Angeklagte führte insgesamt drei Feuerzeuge mit sich – abzunehmen. Ein erneuter Versuch, das Benzin mit einem zweiten Feuerzeug in Brand zu setzen, scheiterte daran, daß ein durch die Hilferufe der Frauen alarmierter benachbarter Polizeibeamter den Angeklagten überwältigen konnte.
2. Hinsichtlich der ersten beiden Tatkomplexe hat das sachverständig beratene Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen vermocht. Es ist jedoch bei der dritten Tat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen trotz einer insoweit mißverständlichen Wendung im Urteil davon ausgegangen, daß in diesem Fall die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich eingeschränkt gewesen sei.
Als Grundlage für die Anwendung des § 21 StGB hat die Strafkammer eine dauerhaft bestehende Fehlentwicklung der Persönlichkeit des Angeklagten angenommen, die eine schwere seelische Abartigkeit darstelle. In allen drei Fällen habe sich der Angeklagte aufgrund der akuten Trennungslage in einem situationsübergreifenden Zustand der Dekompensation dieser Fehlentwicklung befunden. Im dritten Fall komme hinzu, daß der Angeklagte bei dieser Tat – möglicherweise auch nur demonstrativ – suizidal gewesen sei, weshalb hier von dem Vorliegen einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit auszugehen sei. Zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht ausgeführt, daß diese Persönlichkeitsfehlentwicklung die Gefahr in sich berge, daß es bei jedem Verlust einer engen Bezugsperson zu erneuter Dekompensation mit entsprechenden Verhaltensweisen und damit zu weiteren schwerwiegenden Straftaten kommen könne.
Entscheidungsgründe
II.
Diese Feststellungen und Bewertungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu rechtfertigen.
1. Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, und ferner, daß der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (st. Rspr., BGH NStZ 1999, 128, 129 m.w.N.). Dabei können auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (BGHSt 34, 22, 28). Die Diagnose einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung läßt zunächst für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385, 388 m. Anm. Kröber/Dannhorn NStZ 1998, 80, 81; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 67 f.). Vielmehr bedarf es einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung, um feststellen zu können, ob die Persönlichkeitsstörung des Täters sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie eine krankhafte seelische Störung – auch im Hinblick auf seine Fähigkeit zu normgemäßen Verhalten – stört, belastet oder einengt (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGH NStZ 2000, 585). Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht.
2. Bereits die Bewertung der vom Landgericht beschriebenen Persönlichkeitsfehlentwicklung läßt besorgen, daß Eigenschaften und Verhaltensweisen, die durchaus auch bei schuldfähigen Menschen vorkommen können, ohne weiteres als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden seelischen Abartigkeit angesehen werden. So führt die Strafkammer zur Begründung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten aus, daß dieser Versagungen kaum zu überwinden vermöge, zu selbstschonendem Verhalten neige und diese Tendenzen durch die enge Bindung zu einer Bezugsperson (hier Ehefrau) zu kompensieren suche. Dabei setze er Zwangsmechanismen, aber auch histrionische Mittel ein, was im Normalfall auch ohne größere Komplikationen gelinge. Falls der Verlust der Bezugsperson drohe oder bereits erfolgt sei, komme es zu depressiven Verstimmungen bis hin zu (auch) demonstrativen, ein Hilfesuchen signalisierenden Selbsttötungsversuchen.
3. Daß das Landgericht auf der Grundlage dieser Erwägungen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht ausschließen bzw. bei dem dritten Tatkomplex die Voraussetzungen als gegeben erachtet hat, beschwert den Angeklagten nicht. Doch ist damit der für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche positive Nachweis eines länger andauernden Defektes nicht erbracht. Die dazu getroffenen Feststellungen besagen insoweit nur, daß der Angeklagte aufgrund seiner schwierigen Persönlichkeitsstruktur in konflikthaften Grenzsituationen in einen Zustand geraten kann, der die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB rechtfertigt. Psychische Auffälligkeiten, welche die Voraussetzungen einer schweren seelischen Abartigkeit nicht erreichen, in bestimmten Konfliktsituationen bei besonderer psychischer Belastung die Voraussetzungen aber erfüllen und zur erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führen, reichen für eine Unterbringung nach § 63 StGB regelmäßig nicht aus (vgl. BGHSt 42, 385, 390; BGH, Beschluß vom 1. September 1998 – 4 StR 367/98).
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2565572 |
NStZ 2006, 154 |
StV 2005, 661 |