Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 25.02.2016) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 25. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
Rz. 2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte am 4. Juni 2013 der Geschädigten, seiner damaligen Lebensgefährtin, in der gemeinsamen Wohnung mit einer Kleiderstange gegen deren Arme, Beine und Hinterkopf. Im Anschluss hieran erwirkte die Geschädigte eine einstweilige Anordnung, nach der es dem Angeklagten untersagt war, sich der Geschädigten zu nähern oder sonst mit ihr in Kontakt zu treten. Trotz Kenntnis von diesen Verboten nahm der Angeklagte danach in der Zeit bis zum 26. September 2013 in insgesamt 23 Fällen Kontakt zu der Geschädigten auf. In einem dieser Fälle äußerte er am Telefon, er werde das Haus der Zeugin und ihres Vaters anzünden, wenn er die Kinder nicht sehen dürfe. In einem weiteren Fall trat oder schlug er, einen Schreckschussrevolver in der Hand haltend, gegen die Hauseingangstür und schrie: „Komm raus, sonst bring’ ich Dich um!”
Rz. 3
Die – sachverständig beratene – Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte sei bei allen Taten wegen einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen. Er habe die wahnhafte Vorstellung entwickelt, der seinerzeit dreijährige Sohn der Geschädigten trage die Schuld an einer Fehlgeburt der Geschädigten und habe somit sein ungeborenes Kind getötet. Aufgrund der Art seiner Einlassung stehe fest, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten während der Taten aufgehoben gewesen sei. Zudem wäre er nicht in der Lage gewesen, sein Handeln selbst bei vorhandener Unrechtseinsicht zu steuern.
Rz. 4
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 21. Juni 2016 – 5 StR 214/16, juris Rn. 4).
Rz. 6
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht; diese belegen einen für die festgestellten Straftaten ursächlichen Zustand im Sinne des § 63 StGB nicht.
Rz. 7
Zur Begründung der Annahme, der Angeklagte sei von Anfang Juni bis Ende September 2013 aufgrund der jeweils aktuell ausgeprägten wahnhaften Störung schuldunfähig gewesen, hat das Landgericht maßgeblich auf den Eindruck abgestellt, den der Angeklagte in den vom Sachverständigen mit ihm geführten Explorationsgesprächen im September 2015 und Januar 2016 sowie in der Hauptverhandlung im Februar 2016 gemacht hat. Aus dem geschilderten Verhalten erschließt sich aber nicht der Zustand des Angeklagten während des etwa zwei bis zweieinhalb Jahre zurückliegenden Tatzeitraums. Hierzu hätte es näherer Ausführungen bedurft, welche die Urteilsgründe nicht enthalten. Betreffend den Zustand des Angeklagten im Tatzeitraum hat das Landgericht wesentlich nicht auf eine psychotische Erkrankung, sondern den damaligen Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten abgestellt. In diesem Zusammenhang hat es dem Sachverständigen folgend ausgeführt, beim Angeklagten liege ein Missbrauch und eine Abhängigkeit von Drogen und Alkohol vor. Das Verhältnis zwischen diesem Befund und der diagnostizierten Wahnerkrankung zur Tatzeit wird durch die Urteilsgründe jedoch nicht näher dargelegt. Daneben hat das Landgericht lediglich pauschal ausgeführt, die Taten des Angeklagten stünden in ursächlichem Zusammenhang mit der bei ihm festgestellten wahnhaften Störung und der darauf beruhenden fehlenden Einsichtsfähigkeit sowie der fehlenden Selbstkontrolle. Auch dies genügt hier nicht. Eine nähere Begründung wäre insoweit u.a. deshalb erforderlich gewesen, weil nach der Aussage der Geschädigten diese und der Angeklagte sich gegen Ende des Jahres 2013, mithin nach den hier festgestellten Anlasstaten, wieder versöhnten, und in der Folgezeit erneut zusammen wohnten. Somit liegt es nicht fern, dass jedenfalls die Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz möglicherweise nicht auf die Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen, sondern maßgeblich von seiner Motivation getragen waren, die Beziehung mit der Geschädigten fortzusetzen. Mit diesem Gesichtspunkt hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen.
Rz. 8
2. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, juris Rn. 8; vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
Rz. 9
3. Die Sache bedarf nach alldem neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei es sich empfehlen dürfte, einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG voraussetzt, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 – 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Das neue Tatgericht wird schließlich auch die Neufassung des § 63 StGB durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (BGBl. I, S. 1610 f.) in den Blick zu nehmen haben, das am 1. August 2016 in Kraft treten wird.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Mayer, Spaniol, Tiemann
Fundstellen
Haufe-Index 9695548 |
NStZ-RR 2018, 197 |
StV 2017, 572 |
R&P 2016, 268 |