Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 02.08.2021; Aktenzeichen 9 U 99/19) |
LG Oldenburg (Entscheidung vom 24.09.2019; Aktenzeichen 1 O 3006/17) |
Tenor
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt 20.000 € nicht.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf der Grundlage einer Haftungsquote von 80 % Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 9. Januar 2017 geltend, bei dem sie als Fußgängerin beim Überqueren der Straße von dem Beklagten zu 2 mit dem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Fahrzeug angefahren worden ist und dadurch schwere Verletzungen erlitt.
Rz. 2
Das Oberlandesgericht hat der Klage in teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts und bei Klageabweisung im Übrigen sowie unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten und der weitergehenden Anschlussberufung der Klägerin auf der Grundlage einer Haftungsquote von 70 % teilweise stattgegeben und die Beklagten zur Zahlung eines über den bereits vorprozessual bezahlten Betrag von 5.000 € hinausgehenden weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 12.500 €, zur Erstattung von Sachschaden in Höhe von 488,16 € nebst Zinsen sowie zur Zahlung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verurteilt. Ferner hat es die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin 70% sämtlicher weiterer zukünftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, soweit kein Anspruchsübergang stattgefunden hat.
Rz. 3
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wollen die Beklagten die Zulassung der Revision erreichen, um ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiterzuverfolgen.
II.
Rz. 4
Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 € nicht.
Rz. 5
1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses Interesse ist nach den sich aus den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO ergebenden allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht selbst zu befinden; an eine Festsetzung durch das Berufungsgericht ist es nicht gebunden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. März 2023 - VI ZR 319/21, juris Rn. 3; vom 24. August 2021 - VI ZR 1265/20, NZM 2021, 822 Rn. 5). Maßgeblich für die Bewertung der Beschwer ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht. Der Beschwerdeführer hat innerhalb der Begründungsfrist darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Wert der Beschwer den Betrag von 20.000 € übersteigt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. März 2023 - VI ZR 319/21, juris Rn. 3; vom 24. August 2021 - VI ZR 1265/20, NZM 2021, 822 Rn. 5).
Rz. 6
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze übersteigt der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht.
Rz. 7
a) Die Beklagten sind durch die Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 12.500 € sowie zur Erstattung von Sachschaden von 488,16 € in Höhe von insgesamt 12.988,16 € beschwert. Die auf Zinszahlung aus der Hauptforderung sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichteten Anträge bleiben als Nebenforderungen bei der Wertermittlung außer Betracht (§ 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO).
Rz. 8
b) Durch die von dem Berufungsgericht getroffene Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten sind diese nicht in einem Umfang beschwert, der unter Berücksichtigung des soeben (unter II.2.a) aufgeführten Zahlungsbetrags 20.000 € übersteigt.
Rz. 9
aa) Der insoweit maßgebende Wert ist gemäß § 3 Halbsatz 1 ZPO nach freiem Ermessen zu ermitteln.
Rz. 10
Maßgebend ist das Interesse der Beklagten an der Abwehr der von der Klägerin begehrten Feststellung. Für die Schätzung des Wertes dieses Anspruchs sind die zur Klagebegründung vorgetragenen Behauptungen auf der Grundlage des Tatsachenvortrags der Klägerin zugrunde zu legen. Nicht nachvollziehbare Vorstellungen haben hierbei außer Ansatz zu bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2019 - IV ZR 70/19, juris Rn. 3). Geht es um die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens, dann bemisst sich das konkrete wirtschaftliche Interesse der Partei nicht allein nach der Höhe des drohenden Schadens, sondern auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintrittes und einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 1990 - VIII ZB 27/90, NJW-RR 1991, 509, juris Rn. 12).
Rz. 11
Regelmäßig ist bei positiven Feststellungsklagen - allein schon wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit - ein Feststellungsabschlag zu berücksichtigen. Als Anhalt für den Regelfall sind 20% hierfür gängig (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. September 2020 - VI ZR 236/20, juris Rn. 7; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 281/20, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. November 1990 - VIII ZB 27/90, NJW-RR 1991, 509, juris Rn. 11).
Rz. 12
bb) Bei der Wertbemessung ist hier zunächst von den Angaben auszugehen, die die Klägerin bereits in ihrer Klageschrift gemacht hat und gegen die sich die Beklagten bis zum Schluss der Berufungsverhandlung nicht gewandt haben.
Rz. 13
Die Klägerin hat dort den von ihr gestellten Antrag, die Ersatzpflicht der Beklagten für 80% sämtlicher weiterer materieller und immaterieller unfallursächlicher Schäden festzustellen, mit der Gefahr zukünftiger Abstoßung des ihr eingesetzten Implantats, drohender Epilepsie als Spätfolge, den ungewissen Folgen eines unfallbedingten inkompletten Quadrantenausfalls nach rechts unten im Bereich des rechten Auges und mit (auch) zukünftigen Schlafstörungen, Lern- und Konzentrationsstörungen sowie Wesensveränderungen begründet. Die Klägerin hat sodann den Feststellungsantrag auf einen Wert von 10.000 € beziffert und ausgeführt, dies geschehe insbesondere im Hinblick darauf, dass "diese Zukunftsschäden nicht Gegenstand des eingeklagten Schmerzensgeldes" seien, wobei die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin "jeden materiellen oder immateriellen" künftigen, derzeit noch nicht bezifferbaren Schaden zu ersetzen und ein Feststellungsinteresse "sowohl hinsichtlich des materiellen als auch des immateriellen Schadens" bestehe.
Rz. 14
Dass insoweit von einem höheren Wert auszugehen sei, legt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in erforderlicher Weise dar.
Rz. 15
(1) Sie beanstandet im Anschluss an die instanzgerichtliche Gegenvorstellung, das Berufungsgericht, das den Wert des von der Klägerin gestellten Feststellungsantrags für die Berufungsinstanz auf 5.600 € festgesetzt hat, habe dabei fehlerhaft die Feststellung der Ersatzpflicht materiellen Zukunftsschadens mit der Begründung nicht berücksichtigt, dass die Klägerin ihren Feststellungsantrag darauf nicht gestützt habe. Für die Ermittlung der sich aus dem Berufungsurteil im Hinblick auf den Feststellungsausspruch ergebenden Beschwer der Beklagten sei aber allein entscheidend, dass dieser Feststellungsausspruch auch solchen Zukunftsschaden erfasse, der angesichts der von der Klägerin erlittenen schweren Verletzungen einen erheblichen Umfang haben könne, etwa in Form von Verdienstausfall- und Haushaltsführungsschaden sowie vermehrter Bedürfnisse. Hieraus ergebe sich, dass die für den Feststellungsantrag maßgebenden drohenden materiellen und immateriellen Zukunftsschäden auf einen Wert von 20.000 € zu beziffern seien, woraus sich unter Berücksichtigung eines Feststellungsabschlages von 20% sowie der von dem Berufungsgericht zuerkannten Haftungsquote von 70% eine Beschwer der Beklagten durch den Feststellungsausspruch des Berufungsurteils in Höhe von 11.200 € ergebe.
Rz. 16
(2) Damit sind Gründe für eine höhere Bewertung des Feststellungsantrags als diejenige, die sich auf der Grundlage der Klageschrift ergibt, von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in erforderlicher Weise dargelegt. Ob ihre Angriffe gegen die - den Senat nicht bindende - Festsetzung des Werts des von der Klägerin gestellten Feststellungsantrags für die Berufungsinstanz durch das Oberlandesgericht durchgreifen, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob das Berufungsgericht diesen Wert zutreffend festgesetzt hat. Dass sich die in der Klageschrift enthaltene Wertangabe auf die Höhe der für den Feststellungsantrag maßgebenden drohenden Zukunftsschäden bezog, stellt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Frage. Gegenstand dieses Antrags war indessen von Anfang an die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Zukunftsschäden. Die Klägerin hat auch und gerade im Zusammenhang mit ihrer den Feststellungsantrag betreffenden Wertangabe mehrfach ausdrücklich auf die Einstandspflicht der Beklagten nicht nur für den immateriellen, sondern auch für den materiellen Schaden der Klägerin hingewiesen. Substanzielle Gründe, warum von dieser Wertbemessung der Klägerin nicht ausgegangen werden könne, legt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht dar.
Rz. 17
cc) Bei der Bemessung der sich aus dem Feststellungsausspruch des Berufungsurteils ergebenden, mit der Revision geltend zu machenden Beschwer der Beklagten ist allerdings zudem zu berücksichtigen, dass nach erst im Laufe des Rechtsstreits gehaltenem - hinsichtlich der Höhe dieser Beschwer beachtlichem - unstreitigem Vorbringen der Klägerin die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Folgeschäden signifikant abgenommen hat.
Rz. 18
Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz klargestellt, sie leide seit geraumer Zeit nicht mehr unter Schlaf-, Lern- oder Konzentrationsstörungen. Eine Epilepsie komme zwar noch immer als Spätfolge in Betracht, eine ärztliche Verlaufskontrolle wegen dieser Gefahr finde aber inzwischen nicht mehr statt. Die "Folgeerscheinungen" auch im Zusammenhang mit dem der Klägerin eingesetzten Implantat seien "mittlerweile offenbar ausgeheilt".
Rz. 19
Die demnach reduzierte Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Schäden vermindert das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung und dementsprechend das für die Bemessung ihrer Beschwer maßgebliche Abwehrinteresse der Beklagten gegenüber dem auf den Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts entfallenden Wert in Höhe von 8.750 €, der sich bei alleiniger Zugrundelegung des Vorbringens in der Klageschrift - unter Berücksichtigung der dort von der Klägerin angesetzten Haftungsquote von 80 % sowie der von dem Berufungsgericht für berechtigt erachteten Haftungsquote von 70% - ergäbe. Diese Verminderung ist angesichts der Tragweite der Veränderungen, die die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen hat, von solchem Gewicht, dass die Beklagten durch die von dem Berufungsgericht getroffene Feststellung ihrer Ersatzverpflichtung jedenfalls nicht in einem Umfang beschwert sind, der unter Berücksichtigung des oben (unter II.2.a) aufgeführten Zahlungsbetrags 20.000 € übersteigt.
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