Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 21.04.2016) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21. April 2016 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie den Feststellungen zum Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen übergoss der aus Afghanistan stammende Angeklagte seine Ehefrau, die Nebenklägerin, mit drei Litern erhitztem Speiseöl, während sich diese unter der Dusche befand und sich keines Angriffs versah. Die Nebenklägerin erlitt Verbrühungen auf 44 % ihrer Körperoberfläche und befand sich mehrere Tage in akuter Lebensgefahr. Der Angeklagte beging die Tat aus aufgestauter Frustration, übersteigerten Verlustängsten sowie zur Demonstration seiner uneingeschränkten Herrschaftsansprüche über die Nebenklägerin.
Rz. 3
2. Die Revision des Angeklagten führt mit der Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Rz. 4
a) In der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin auf Antrag des Verteidigers gemäß § 171b Abs. 1 GVG durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen, „da Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten und der Zeugin – vor allem aus dem Sexualleben der Eheleute – zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde.” Bei den Schlussanträgen war die Öffentlichkeit hergestellt. Es befanden sich auch Zuhörer im Sitzungssaal.
Rz. 5
Es liegt ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor. Nach dieser Vorschrift wäre die Öffentlichkeit während der Schlussanträge zwingend auszuschließen gewesen, nachdem Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der vom Angeklagten erhobenen Rüge nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180 mit Anmerkung Arnoldi).
Rz. 6
b) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann allerdings der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der zum objektiven Tatgeschehen geständigen Einlassung des Angeklagten ausschließen, dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nicht-öffentlichen Schlussvorträgen noch Erhebliches hätten vorbringen können, das die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke infrage gestellt hätte.
Rz. 7
c) Dagegen kann der Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die der Annahme niedriger Beweggründe entgegengestanden oder die Strafzumessung in anderer Weise zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Der Senat hebt deshalb die Feststellungen betreffend den Strafausspruch und zu dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf.
Unterschriften
Sander, Schneider, König, Berger, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 9942995 |
NStZ-RR 2018, 198 |
StV 2017, 370 |