Leitsatz (amtlich)
Will in einer Kindschaftssache ein OLG das Verfahren aus wichtigem Grund an ein anderes OLG abgeben und erklärt sich das angerufene OLG nicht zur Übernahme bereit, ist nicht der BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, sondern nach § 5 Abs. 2 FamFG das OLG, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 3; FamFG § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Vorlage an den BGH ist unzulässig.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Vorlage betrifft den Streit zwischen zwei OLG über die Möglichkeit der Abgabe eines Beschwerdeverfahrens in Kindschaftssachen.
Rz. 2
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Eltern der betroffenen Kinder Dustin, Marvin, Jordan und Shakira. In der Zeit von Mitte Juli 2012 bis Ende September 2014 waren die vier Kinder in einem Jugendheim in S. untergebracht. Seit dem 1.10.2014 leben Jordan und Shakira in einem SOS-Kinderdorf in K. . Marvin befindet sich außerhalb des Kinderdorfs in K. in Obhut und Dustin ist zur Zeit unbekannten Aufenthalts.
Rz. 3
Mit Beschluss des AG - FamG - Karlsruhe vom 12.9.2013 ist den Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder in Teilbereichen entzogen worden. Ihren Antrag, diesen Beschluss aufzuheben und ihnen das Sorgerecht für die vier Kinder wieder vollständig zu übertragen, hat das AG - FamG - Offenburg mit Beschluss vom 13.8.2014 zurückgewiesen. Hiergegen haben die Eltern Beschwerde eingelegt, die vor dem OLG Karlsruhe anhängig war.
Rz. 4
Da derzeit beim OLG Düsseldorf eine Beschwerde der Eltern gegen eine Entscheidung des AG - FamG - Kleve in einer dieselben Kinder betreffenden Umgangsrechtssache anhängig ist, hat das OLG Karlsruhe die Beteiligten zunächst auf die Absicht hingewiesen, das Verfahren gem. § 4 FamFG an das OLG Düsseldorf abzugeben. Nachdem die Übernahme des Verfahrens telefonisch durch den Vorsitzenden des 3. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf abgelehnt worden ist, hat das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 30.6.2016 das OLG Düsseldorf als zuständiges Gericht für das Beschwerdeverfahren bestimmt und das Verfahren an das AG - FamG - Kleve zur Vorlage und Übernahme des Beschwerdeverfahrens durch das OLG Düsseldorf abgegeben.
Rz. 5
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 1.8.2016 die Sache in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Rz. 6
Die Vorlage ist unzulässig. Eine Zuständigkeit des BGH zur Entscheidung ist weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO gegeben.
Rz. 7
1. Nach § 36 Abs. 3 ZPO entscheidet der BGH, wenn ein OLG bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift kommt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil die Abgabeentscheidung des OLG Karlsruhe in einer Kindschaftssache i.S.v. §§ 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG ergangen ist und sich daher das Verfahren allein nach den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestimmt. Dort findet sich in § 5 FamFG eine spezielle Vorschrift, die die Zuständigkeit für die Bestimmung des zuständigen Gerichts regelt. § 36 Abs. 3 ZPO ist gem. § 113 Abs. 1 FamFG nur in Ehesachen (§§ 111 Nr. 1, 121 FamFG) und Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) anwendbar.
Rz. 8
2. Eine Zuständigkeit des BGH zur Bestimmung des zuständigen OLG lässt sich auch nicht mit einer entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO begründen. Hierfür fehlt es bereits an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.
Rz. 9
Möchte ein Gericht ein Verfahren nach § 4 FamFG aus wichtigem Grund abgeben und können sich die beteiligten Gerichte nicht einigen, wird das zuständige Gericht nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG grundsätzlich durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt. Ist das nächsthöhere gemeinsame Gericht der BGH, wird das zuständige Gericht durch das OLG bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (§ 5 Abs. 2 FamFG).
Rz. 10
§ 5 FamFG enthält für Verfahren in Familiensachen - mit Ausnahme von Ehesachen und Familienstreitsachen, für die auf die Zivilprozessordnung verwiesen wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG) - und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine abschließende Regelung der gerichtlichen Zuständigkeiten in Kompetenzkonflikten. Eine Bestimmungszuständigkeit des BGH sieht die Vorschrift nicht vor. Auch eine dem § 36 Abs. 3 ZPO vergleichbare Divergenzvorlage zum BGH findet sich in § 5 FamFG nicht (vgl. Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl., § 5 Rz. 42; Prütting/Helms/Prütting FamFG 3. Aufl., § 5 Rz. 36).
Rz. 11
§ 5 Abs. 2 FamFG knüpft an die frühere Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 FGG an (BT-Drucks. 16/6308, 176). Darin war bereits die Regelung enthalten, dass die Zuständigkeit durch das mit der Sache zuerst befasste OLG bestimmt wird, wenn der BGH das gemeinschaftliche obere Gericht ist. An dieser Entlastung des BGH von Aufgaben bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts wollte der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 5 FamFG ersichtlich festhalten. Auch der Hinweis in den Gesetzgebungsmaterialien auf § 46 Abs. 2 FGG (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 176) belegt, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung von § 5 FamFG eine Zuständigkeit des BGH für Entscheidungen in Kompetenzkonflikten vermeiden wollte. Denn § 46 Abs. 2 FGG enthielt für den Fall der Abgabe einer Vormundschaft ebenfalls eine Regelung, die die Bestimmungszuständigkeit auf die Ebene der OLG verlagerte, wenn der BGH das gemeinschaftliche obere Gericht ist. Zudem sah der Entwurf des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zunächst eine Zuständigkeit des BGH zumindest in den Fällen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 FamFG vor (BT-Drucks. 309/07 S. 24). In der endgültigen Gesetzesfassung wurde jedoch auf Empfehlung des Rechtsausschusses von dieser Regelung abgesehen, um die Vorschrift mit § 36 Abs. 2 ZPO zu harmonisieren (vgl. BT-Drucks. 16/9733, 24, 287), der ebenfalls keine reguläre Bestimmungszuständigkeit des BGH als höheres gemeinschaftliches Gericht vorsieht (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 31. Aufl., § 36 Rz. 4a).
Rz. 12
Dies erhellt, dass der Gesetzgeber zur Entlastung des BGH bewusst die Entscheidung von Kompetenzkonflikten auf die Ebene der OLG verlagern wollte. Eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 3 ZPO liegt daher nicht vor.
Rz. 13
Der BGH ist somit nicht zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt berufen.
Fundstellen
Haufe-Index 9951717 |
FamRZ 2017, 130 |
NJW-RR 2017, 1 |
MDR 2017, 167 |
FF 2017, 41 |
FamRB 2017, 57 |