Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.04.2021; Aktenzeichen 5/16 KLs 3630 Js 245346/20 (26/20)) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. April 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
- im Maßregelausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen und zugleich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Schuld- und Strafausspruch im Fall II.1 der Urteilsgründe halten rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 3
2. Hingegen begegnet die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
Rz. 5
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden Defektzustands beim Angeklagten nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass und in welchem Umfang die beim Angeklagten festgestellte bipolare affektive Störung zu einer Einschränkung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit geführt hat.
Rz. 6
(1) Das Landgericht ist sachverständig beraten und unter näherer Darlegung der Krankengeschichte des Angeklagten zu der Feststellung gelangt, bei ihm liege eine bipolare effektive Störung vor, die sich überwiegend in ihrer manischen und seltener in ihrer depressiven Auslenkung zeige. Zudem liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor; hinzu komme ein seit Jahren bestehender Alkohol- und Drogenmissbrauch. Die bipolare Störung, bei der die Einsichtsfähigkeit betroffen sei, führe nicht zu einer durchgängigen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Während der Höhepunkte einer manischen Phase, in der der Angeklagte in Hochstimmung sei, seine Möglichkeiten überschätze und sich gesund, stark und wohl fühle, sei aber die Einsichtsfähigkeit aufgehoben. Bei der Tat II.2 der Urteilsgründe sei der Angeklagte unfähig gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen, so dass seine Schuldfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Der raptusartig ohne erkennbaren Anlass erfolgte aggressive Angriff des Angeklagten zu Lasten eines Menschen, zu dem er in keinerlei Beziehung gestanden habe, sei auch auf die Grunderkrankung des Angeklagten zurückzuführen. Hinsichtlich der Tat II.3 der Urteilsgründe habe sich der Angeklagte in einer hypomanischen Phase seiner bipolaren Erkrankung befunden. Aufgrund seiner krankhaften seelischen Störung sei er nicht mehr in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen. Außerhalb einer manischen Phase sei der Angeklagte nicht locker gestimmt und „mache unbekannte Personen nicht an”. Er sei aber völlig distanzlos gewesen, was für eine manische Stimmung spreche.
Rz. 7
(2) Diese Ausführungen der Strafkammer belegen zwar, dass der Angeklagte an einer bipolaren Störung leidet und damit bei ihm eine krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt. Ihnen lässt sich aber nicht nachvollziehbar entnehmen, warum diese Erkrankung zu den festgestellten Tatzeiten zu einer Aufhebung der Einsichtsfähigkeit geführt haben soll. Bei bipolaren Störungen besteht eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden, weshalb die Diagnose der Erkrankung allein für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig ist. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Einsichtsfähigkeit kommen (BGH, NStZ-RR 2005, 75; 2016, 135; StV 2019, 237). Der Tatrichter muss sich deshalb – in Kenntnis, dass sowohl Einsichts- wie auch Steuerungsfähigkeit betroffen sein kann – mit der Frage auseinandersetzen, in welcher Weise sich die Erkrankung im konkreten Tatzeitpunkt auf die Einsichts- oder auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Der bloße Hinweis des Landgerichts, die Einsichtsfähigkeit sei beim Angeklagten aufgehoben gewesen, lässt schon nicht erkennen, dass es sich bewusst war, dass angesichts der Bandbreite der Erkrankung auch eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit in Betracht kommen kann. Im Übrigen fehlt es an jeglicher Begründung dafür, warum bei den Taten zu II.2 und 3 der Urteilsgründe (nur) die Einsichtsfähigkeit betroffen und diese zudem aufgehoben gewesen sein soll. Dies erklärt sich auch nicht aus der Art der abgeurteilten Taten. Weder bei der gefährlichen Körperverletzung noch bei der sexuellen Belästigung lässt sich ohne Weiteres annehmen, der Angeklagte habe das Unrecht seiner Tat nicht (mehr) eingesehen. Dass sich der Angeklagte etwa im Fall II.2 der Urteilsgründe „mit schnellen Schritten” dem Fahrer eines Lieferwagens näherte, der mit Hupen und einem Lichtwarnsignal eine Personengruppe (einschließlich des Angeklagten) dazu bewegt hatte, den Weg frei zu machen, diesen auf Türkisch beschimpfte und schließlich mit gezielten Faustschlägen auf Gesicht und Körper schlug, belegt keinen „anlasslosen aggressiven Angriff” des Angeklagten, bei dem es dem Angeklagten erkennbar gerade an der Einsicht fehlte, Unrecht zu tun.
Rz. 8
Ob im Übrigen zu den jeweiligen Tatzeitpunkten die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der zudem insbesondere bei der Tat II.2 der Urteilsgründe unter erheblichem Alkoholeinfluss stand, erheblich vermindert oder ausgeschlossen war, lässt sich den Urteilsgründen, die sich – wie dargelegt – zur Frage der Steuerungsfähigkeit nicht verhalten, nicht entnehmen.
Rz. 9
Die Sache bedarf daher unter Einschaltung eines anderen Sachverständigen neuer Verhandlung und Entscheidung, auch – worauf der Senat vorsorglich hinweist – im Hinblick auf die weiteren (nicht angeklagten) Vorfälle, die das Landgericht bei seiner Prognoseentscheidung berücksichtigt hat. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. nur BGH StV 2017, 578).
Unterschriften
Franke, Krehl, Meyberg, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14965511 |
NStZ-RR 2022, 10 |
StV 2022, 287 |