Tenor
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, die den vom 3. Strafsenat beabsichtigten Entscheidungen entgegensteht. Der nach einer verfahrensbeendenden Absprache vom Angeklagten im Anschluß an die Urteilsverkündung oder auch später während des Laufs der Rechtsmittelfrist erklärte Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung grundsätzlich unanfechtbar und unwiderruflich; seine Wirksamkeit wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß er im Rahmen der Absprache in Aussicht gestellt oder vom Tatgericht auf ihn hingewirkt wurde oder daß er gar Teil der Absprache war.
Tatbestand
Der 3. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden (Beschl. vom 24. Juli 2003 – 3 StR 368, 415/02):
„Die Erklärung des Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten, ist unwirksam, wenn ihr eine Urteilsabsprache vorausgegangen ist, in der unzulässigerweise (BGHSt 43, 195, 204) ein Rechtsmittelverzicht versprochen worden ist. Dies gilt auch für den Rechtsmittelverzicht, auf den das Gericht, ohne ihn sich im Rahmen der Absprache unzulässigerweise versprechen zu lassen, lediglich hingewirkt hat.”
Im Blick auf die bisherige ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch des 1. Strafsenats hat der 3. Strafsenat den anderen Strafsenaten die Frage vorgelegt, ob sie an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten.
A.
Den beabsichtigten Entscheidungen in den beiden Ausgangsverfahren des 3. Strafsenats steht Rechtsprechung des 1. Strafsenats entgegen. Das hat der 3. Strafsenat in seinem Anfragebeschluß zutreffend ausgeführt (Anfragebeschluß S. 13 ff.). Überdies sollte der Große Senat für Strafsachen mit der Fragestellung schon wegen deren grundsätzlicher Bedeutung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befaßt werden (vgl. § 132 Abs. 4 GVG).
Entscheidungsgründe
B.
Der Senat teilt nicht die Auffassung des anfragenden 3. Strafsenats, der vom Angeklagten nach der Urteilsverkündung oder sonst während der Revisionseinlegungsfrist erklärte Rechtsmittelverzicht sei unwirksam, wenn er Teil einer verfahrensbeendenden Absprache sei oder das Tatgericht auch nur „auf ihn hingewirkt habe”. Die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts ist lediglich dann in Betracht zu ziehen, wenn ein schwerwiegender Willensmangel aufgrund von Täuschung oder Drohung vorliegt, wenn dem Angeklagten vom Tatgericht ein Rechtsmittelverzicht „abverlangt” wird oder ihm zuvor nicht Gelegenheit zur Rücksprache und Beratung mit seinem Verteidiger gegeben wird (vgl. BGHSt 17, 14; 19, 101) oder wenn sonst in unzulässiger Weise auf ihn eingewirkt worden ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53).
Eine solche unzulässige Einwirkung, die die Willensentschließungsfreiheit des Angeklagten bei Abgabe der Verzichtserklärung schwerwiegend beeinträchtigt, liegt indessen nicht bereits in dem Umstand, daß der Verzicht im Rahmen einer Verständigung ins Auge gefaßt oder abgesprochen war. Ungeachtet etwaiger Mängel einer Absprache (gemessen am Maßstab von BGHSt 43, 195) kann der Angeklagte vor und bei Abgabe der Verzichtserklärung in der Regel seine Interessen durchaus sachgerecht in freier Willensentschließung wahrnehmen. Er muß deshalb die Möglichkeit haben, einen wirksamen Rechtsmittelverzicht zu erklären, wenn er mit dem Urteil zufrieden ist oder jedenfalls das Verfahren beendet sehen will (Senat NStZ 2000, 386, 387).
I.
Der Senat vermag den verfahrenstatsächlichen Befund, der Anlaß für die Anfrage zur Wirksamkeit des im Zusammenhang mit einer verfahrensbeendenden Absprache stehenden Rechtsmittelverzichts ist, nicht uneingeschränkt zu teilen. Nach der Erfahrung des Senats führen die Tatgerichte ihre Verfahren auch bei etwaigen Verständigungen regelmäßig prozeßordnungsgemäß und fair. Verfahrensbeendende Absprachen sind heutzutage ein wirksamer Weg, dafür geeignete Verfahren zügig und konsensual zu erledigen. Angesichts der durchweg großen Geschäftsbelastung der Strafkammern werden diese so in den Stand gesetzt, die vorhandenen, ohnehin begrenzten und eher noch knapper werdenden Kapazitäten den anderen, aus unterschiedlichen Gründen schwierigeren Verfahren zu widmen und die Verfahren so – auch aufs Ganze gesehen – in angemessener Zeit einer Entscheidung zuzuführen. Das gilt zumal im Blick auf die in den letzten Jahren gestiegenen Anforderungen an die Würdigungen und Begründungen der Tatrichter, die auf kompliziertere, zum Teil wiederholt geänderte Gesetze wie auch die verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgehen. Der Senat hält deshalb die – den Regeln entsprechend gehandhabte – verfahrensbeendende Absprache für ein mittlerweile unverzichtbares prozedurales Mittel, um die Strafverfahren in Deutschland in vertretbarer Zeit bewältigen zu können. Wird nach einer solchen verfahrensbeendenden Absprache von den Rechtsmittelberechtigten und namentlich vom Angeklagten nach Rücksprache mit dessen Verteidiger in freier Willensentschließung und in Kenntnis von Bedeutung und Tragweite der Erklärung auf Rechtsmittel verzichtet, ist dies je nach Lage des Einzelfalls ein Weg, etwa noch in der Hauptverhandlung in Anwesenheit aller Beteiligter die sofortige Rechtskraft herbeizuführen. Dafür kann es auch aus Sicht eines Angeklagten gute Gründe geben. Dieser wird sich nach der Erfahrung des Senats die Frage, ob er sich auf eine solche Absprache einlassen sollte, weit vorher, zumeist vor seinem Geständnis, mit seinem Verteidiger reiflich überlegt haben.
Dem Senat ist freilich nicht entgangen, daß es in einigen wenigen Fällen, die sich nach seiner Beobachtung indes eher als Ausnahme erweisen, zu verfahrensbeendenden Absprachen oder zum Versuch solcher kommt, bei denen die dafür geltenden Grundsätze möglicherweise nicht in jeder Hinsicht gewahrt werden (vgl. zu diesen Grundsätzen nur BVerfG, Vorprüfungsausschuß, NJW 1987, 2662 = NStZ 1987, 419; BGHSt 43, 195; siehe weiter Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. Einl. Rdn. 119 ff.). Für solche bedenklichen Einzelfälle einer Absprache ist charakteristisch, daß im Gegenzug für ein Geständnis eine möglicherweise schuldunangemessen niedrige Strafe in Aussicht gestellt worden oder aufgrund einer Absprache ein Urteil in einer sog. Umfangssache aufgrund einer in ihrer Tragfähigkeit anzweifelbaren Beweisaufnahme ergangen ist (vgl. Senat, Beschluß vom 11. September 2002 – 1 StR 171/02 – BA S. 8 ff.: Inaussichtstellen einer zweijährigen Bewährungsstrafe für den Fall eines Geständnisses bei angeklagten 156 Fällen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes; nach ausgebliebenem Geständnis dann für – nach Verfahrensbeschränkung noch verbliebene – 37 Fälle sieben Jahre Gesamtfreiheitsstrafe; Beschluß vom 27. August 2003 – 1 StR 272/03, dem Revisionsverwerfungsbeschluß selbst nicht zu entnehmen: Für den Fall einer sog. Anlage-Untreue mit mehr als 100 Geschädigten und einem Gesamtschaden von ca. 23 Mio. DM wird nach einer ausweislich des Protokolls vom Eintritt in die Beweisaufnahme bis zum letzten Wort des Angeklagten, also unter Einschluß der Plädoyers, noch 18 Minuten dauernden Hauptverhandlung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und zur Bewährung ausgesetzt).
Auch in diesen Ausnahmefällen muß es grundsätzlich den Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben, ob sie von der Möglichkeit des Rechtsmittels Gebrauch machen und die je nach Sachlage zu erhebenden Beanstandungen anbringen. Dem Beistand des Verteidigers kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Dessen Verantwortung für den Angeklagten liegt insbesondere darin, seinerseits für die Wahrung der verfahrensrechtlichen Grundsätze Gewähr zu bieten. Ihm kann abverlangt werden, daß er bei dem Versuch einer Verständigung dem Tatgericht vermittelt, sein Mandant werde einen Rechtsmittelverzicht im Anschluß an die Urteilsverkündung nicht in Aussicht stellen. Vor allem der Verteidiger muß und wird dem Angeklagten verdeutlichen, daß einer Absprache, die einen Rechtsmittelverzicht in den Blick genommenen hat, insoweit keinerlei Bindungswirkung zukommt. Das ist seine Pflicht, und an deren Erfüllung muß er im Interesse seines Mandanten festgehalten werden, auch wenn er besorgt, dadurch etwaigen oder vermeintlichen Erwartungen des Tatgerichts nicht gerecht zu werden. Der Verteidiger ist der berufene Berater des Angeklagten. Für seinen Rat, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären, trägt er die Verantwortung. Die Rechtsordnung hat dem grundsätzlich Respekt zu zollen. Der Senat hat keinen Anlaß, dem Verteidiger ein derartiges Vertrauen nicht entgegenzubringen. Dementsprechend ist auch anerkannt, daß das Tatgericht grundsätzlich nicht gehalten ist, die Tätigkeit des Verteidigers auf ihre Ordnungsmäßigkeit hin zu überwachen (vgl. zum bestellten Verteidiger nur BGH bei Kusch NStZ 1996, 21; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 143 Rdn. 4).
Ein weiteres Korrektiv wird auch in der Verantwortung des Staatsanwalts für das Verfahren als ganzes liegen (vgl. Nr. 127 Abs. 1, Nr. 147 RiStBV). In Verfahren von besonderer Bedeutung wird die Staatsanwaltschaft bei einer Beteiligung an einer verfahrensbeendenden Absprache zuvor berichtspflichtig sein. Zudem geht von der Beteiligung des etwaigen Nebenklägers eine Kontrollfunktion aus, wenngleich dessen Anfechtungsbefugnis begrenzt ist.
II.
Der Senat kann den wesentlichen Erwägungen des 3. Strafsenats im Anfragebeschluß nicht beitreten. Nach seiner Auffassung fehlt es an einer tragfähigen rechtlichen Begründung für einen so weitreichenden Rechtssatz, wie ihn der 3. Strafsenat aufstellen möchte. Der Senat hält zudem den Weg, einen Rechtsmittelverzicht unter den in Rede stehenden Maßgaben für unwirksam zu erachten, für nicht geeignet, vereinzelt gebliebenen bedenklichen Entwicklungen auf dem Felde der Absprache entgegenzuwirken; eine solche Lösung hätte überdies gerade im Blick auf die Rechtskraftwirkung erhebliche Unsicherheiten zur Folge und würde im praktischen Ergebnis in den jeweiligen Verfahren zu weiteren, anders gearteten Unzuträglichkeiten führen. Im einzelnen:
1. Die Unwirksamkeit eines nach Verkündung des Urteils erklärten Rechtsmittelverzichts wird im Anfragebeschluß nicht auf eine hinreichend tragfähige rechtliche Grundlage gestützt.
a) Die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts zu Protokoll in der Hauptverhandlung nach Verkündung des Urteils – und auch danach innerhalb der Revisionseinlegungsfrist – ist eine gestaltende Prozeßerklärung von erheblichem Gewicht. Sie führt in Verbindung mit dem Rechtsmittelverzicht der anderen rechtsmittelberechtigten Verfahrensbeteiligten zur Rechtskraft des Urteils. Mit dem Eintritt der Rechtskraft sind gewichtige Folgen verbunden. Das gilt ähnlich auch in anderen Verfahrensordnungen. Namentlich führt die Rechtskraft zum Übergang vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren. An die Rechtskraft können sich weitergehende berufsrechtliche, beamtenrechtliche, ausländerrechtliche und steuerrechtliche Konsequenzen knüpfen. Auch in anderen Gerichtszweigen und nach anderen Verfahrensordnungen werden an die Annahme der Unwirksamkeit solcher Erklärungen hohe und strenge Anforderungen gestellt (vgl. für den Zivilprozeß sehr strikt etwa BGH NJW-RR 1986, 1327; BGHR ZPO § 514 Verzicht 5, 7: Verneinung einer Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln). Dementsprechend sind auch im Strafprozeß Verzichtserklärungen für unanfechtbar und unwiderruflich erachtet, Willensmängel – wenn überhaupt – nur unter strengen Voraussetzungen für beachtlich gehalten worden. Das gilt in allgemeiner Hinsicht etwa dann, wenn das Gebot der Gerechtigkeit zu einer Ausnahme von der unbedingten Gültigkeit der Rechtsmittelverzichtserklärung zwingt. Für die Umgrenzung solcher Ausnahmen kommt es entscheidend auf die Art des Willensmangels und seine Entstehung an. Nur unter Beachtung dessen ist zu entscheiden, ob überwiegende Gründe der Gerechtigkeit den Vorrang vor dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit beanspruchen müssen (so schon früh BGHSt 17, 14, 16 f.; siehe weiter BGHSt 45, 51, 53).
b) Der anfragende 3. Strafsenat meint, die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, der Gegenstand einer Absprache (Verständigung) gewesen ist oder auf den das Tatgericht hingewirkt hat, sei die „einzig denkbare Sanktion”; ein solches Vorgehen dürfe „nicht sanktionslos bleiben” (Anfragebeschluß S. 11, 12). Diese Begründung entbehrt der konkreten rechtlichen Grundlage. Ist das Ergebnis einer Verständigung zuvor zwischen den Verfahrensbeteiligten erörtert worden, befindet sich der Angeklagte im Beistand eines Verteidigers, mit dem er sich auch nach Urteilsverkündung nochmals wenigstens kurz besprechen konnte, und sind andere die Willensentschließungsfreiheit wirklich beeinträchtigende Umstände nicht feststellbar, so besteht unter dem Gesichtspunkt der freien Willensentschließung kein Grund, die frei abgegebene Verzichtserklärung nur deshalb rechtlich zu mißbilligen und ihr die Wirksamkeit zu versagen, weil zuvor die Hinweise in BGHSt 43, 195 zur Absprache nicht eingehalten worden sind (so schon Senat NStZ 2000, 386, 387). Eine Willensbeeinflussung solchen Gewichts, daß der für die Unwirksamkeit einer Prozeßerklärung erforderliche Grad eines schwerwiegenden Willensmangels erreicht wäre, liegt darin ersichtlich nicht; im Vordergrund steht allein die „Sanktion”, die den Tatrichter treffen soll.
Auch die Annahme des anfragenden Senats, die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei die „einzig denkbare” Sanktion, trifft nicht zu: Ein zuvor besprochener oder gar abgesprochener Rechtsmittelverzicht ist nicht bindend „vereinbart”. Das ist allgemein anerkannt und gehört nach der Erfahrung des Senats zum Allgemeingut der Kenntnisse eines Strafverteidigers. Da die Verfahrensbeteiligten an eine entsprechende Verständigung nicht gebunden sind, können sie nach Verkündung des Urteils gleichwohl Rechtsmittel einlegen. Die angemessene und naheliegende Reaktion ist die Nichtabgabe einer Verzichtserklärung, die Inanspruchnahme der Revisionseinlegungsfrist zum Fassen der Entschließung und gegebenenfalls die Einlegung der Revision.
2. Die Zuordnung eines zuvor in Aussicht gestellten oder angekündigten und dann in freier Willensentschließung auch erklärten Rechtsmittelverzichts zur Kategorie der – eine Prozeßerklärung gefährdenden – Willensmängel verbietet sich nach Ansicht des Senats bereits aus sprachlich-begrifflichen Gründen: Wer verhandlungsfähig das Für und Wider eines bestimmten Prozeß- und Verteidigungsverhaltens zuvor mit seinem Verteidiger erwogen hat, dann in der Regel seine „Vorleistung” in Form eines Geständnisses erbracht hat – das wird regelmäßig für den Angeklagten der entscheidende und weit bedeutsamere Punkt sein – und schließlich nach Verkündung des Urteils im Vollbesitz seiner Willenskräfte eine Verzichtserklärung abgibt, vor der er sich nochmals mit seinem Verteidiger verständigen konnte, dem diese Erklärung auch nicht vom Gericht abverlangt wird und der sich der Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung bewußt ist, der handelt grundsätzlich mit freiem Willen. Seiner Erklärung die Wirksamkeit zu versagen, weil der Wille von einem einzelnen Umstand – der etwaigen Verständigung auch über einen Rechtsmittelverzicht – mit beeinflußt worden sein kann – was eine andere Kategorie ist als ein erheblicher Willensmangel –, läßt sich kaum rechtfertigen. Damit würde der Begriff des Willensmangels gesprengt.
in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich freilich zuletzt – ohne ausdrückliche Erörterung insoweit – eine Veränderung im Begriffsgebrauch vollzogen: weg vom Erfordernis des schwerwiegenden Willensmangels, hin zum Kriterium der unzulässigen Willensbeeinflussung (so auch Senat NStZ 2000, 386, 387; vgl. demgegenüber noch Beschl. vom 21. Januar 1997 – 1 StR 732/96 = NStZ-RR 1997, 173: „in besonderen Fällen schwerwiegender Willensmängel”; siehe auch Beschl. vom 24. April 2001 – 1 StR 112/01: Abstellen auf die Verhandlungsfähigkeit und die Erkennbarkeit der Bedeutung der Erklärung, die nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen sei; ebenso Beschl. vom 10. Mai 2001 – 1 StR 120/01). Damit scheint eine qualitative Herabstufung der Anforderungen einherzugehen, die aus der Sache heraus und im Blick auf die allgemein an die Wirksamkeit von Willenserklärungen zu stellenden Anforderungen nicht begründbar ist. Jede Willensbildung unterliegt vielfältigen Einflüssen. Diese nach zulässigen und unzulässigen einstufen zu wollen, ist nach den Maßstäben freier, eigenverantwortlicher Willensbildung ein zweifelhaftes Unterfangen, wenn daraus eine die Wirksamkeit der Entschließung verneinende Folgerung gezogen werden soll. Hier muß das faktische Gewicht des „unzulässigen Einflusses” ebenso berücksichtigt werden wie dessen Auswirkung auf die freie Willensbildung. Nicht jeder Einfluß ist wirksamkeitserheblich. Dazu muß er seinem Gewicht und der Kategorie nach geeignet sein. Das ist jedenfalls nicht schon dann der Fall, wenn bei einer Absprache der Rechtsmittelverzicht – neben anderen Umständen von regelmäßig weit größerer aktueller Bedeutung für den Angeklagten (Geständnis, Straf- maß) – eine Rolle gespielt hat. Eine andere Bewertung würde in vielen Fällen sogar dazu führen, daß das rechtliche Verdikt der Unwirksamkeit gerade gegen den erklärten freien Willen des verzichtenden Angeklagten – jedenfalls im Zeitpunkt des Verzichts – erfolgt (der sich freilich später anders entschieden haben muß, damit sich die Problemstellung ergibt).
Diese Sicht wird bestätigt durch die auch sonst an Prozeßerklärungen angelegten Maßstäbe, die hinsichtlich der Wirksamkeit nur einheitlich beurteilt werden können: So ist beispielsweise auch für die Zustimmung des Angeklagten zur Verlesung einer polizeilichen Zeugenaussage (§ 251 Abs. 2 Satz 1 StPO) die Prozeßhandlungsqualität und die Unanfechtbarkeit mit der Revision anerkannt (Senat NStZ 1997, 611). Auch eine solche Zustimmung kann aber aufgrund unterschiedlichster Willenseinflüsse erklärt worden sein, durchaus auch im Blick auf eine prozedurale Absprache. Das wird sie nicht annähernd dem Verdacht aussetzen, sie könne wegen „unzulässiger Willensbeeinflussung” unwirksam sein, und zwar auch dann nicht, wenn das Tatgericht auf sie „hingewirkt” haben sollte.
Überdies sind Elemente von Verständigungen auch anderen Arten der Verfahrenserledigung durchaus eigen, bei denen der Beschuldigte ebenso unter einen von ihm so empfundenen Entschließungsdruck geraten kann und sich mitunter durch die Umstände zur Aufgabe von Verteidigungspositionen gedrängt sehen mag. Das ist dem Verfahren dann eigentümlich und bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich, ohne daß darin bislang eine fragwürdige Willensbeeinflussung gesehen worden wäre. Namentlich wird das oft für Verfahrensweisen nach den §§ 153 ff. StPO gelten (zum beschränkten Strafklageverbrauch bei gerichtlicher Entscheidung nach § 153 Abs. 2 StPO vgl. jüngst BGH, Beschl. vom 26. August 2003 – 5 StR 145/03, BA S. 10: Billigung einer verfahrensabschließenden Entscheidung durch die Verfahrensbeteiligten), für das Strafbefehlsverfahren (mit der Möglichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe) und den Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch für etwaige Vergleichsschlüsse im Adhäsionsverfahren. Im Zivilprozeß etwa kann sich eine ähnliche Verfahrensgestaltung dann ergeben, wenn in Anwesenheit der Prozeßparteien durch das Gericht auf einen Vergleich „hingewirkt” wird und dieser schließlich ohne Einräumung einer Widerrufsfrist protokolliert wird. Auch hier sind an die Annahme eines etwaigen wirksamkeitserheblichen Willensmangels hohe Anforderungen zu stellen.
Fehlt es aber an einem schwerwiegenden Willensmangel, der sich jedenfalls dann nicht aus einer Willensbeeinflussung ergeben kann, wenn diese nur darin gründen soll, daß ein Rechtsmittelverzicht zuvor Gegenstand einer Absprache war, so kann die Verzichtserklärung nicht schon aus diesem Grunde unwirksam sein. Entscheidend ist, daß dem Angeklagten klar ist, daß er an die Absprache nicht gebunden ist, sich also gleichwohl frei entschließen kann. Wollte man dem Angeklagte hingegen mehr Zeit zum Überlegen einräumen, dann ist das keine Frage der Willensentschließungsfreiheit, sondern eine solche der prozessualen Fürsorge. Es könnte dann die Pflicht des Vorsitzenden sein, die Verzichtserklärung nicht entgegenzunehmen oder etwa dem Angeklagten eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung dahin zu erteilen, daß die vorherige Absprache auch eines Verzichts nicht bindend sei und er dessenungeachtet die Rechtsmittelfrist ausschöpfen könne. Das aber wäre eine andere Begründung als die des Anfragebeschlusses.
3. Abgesehen von den Fällen wirklicher Willensmängel besteht auch kein besonderes Schutzbedürfnis für den verteidigten Angeklagten, das die Annahme der Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts in Fällen der vorliegenden Art rechtfertigen könnte; in Betracht käme hier lediglich der rechtliche Gesichtspunkt einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht.
Schon nach bisheriger Rechtsprechung muß der Angeklagte vor Abgabe einer Rechtsmittelverzichtserklärung die Möglichkeit zur Rücksprache mit seinem Verteidiger haben; der Verzicht darf ihm vom Tatgericht nicht abverlangt werden. Er muß vor offensichtlich übereilten und vorschnellen Erklärungen bewahrt werden und die Gelegenheit haben, das Für und Wider seines Schrittes reiflich zu überlegen (vgl. schon Senat, BGHSt 18, 257, 260). Werden diese Grundsätze beachtet, ist dem Schutzbedürfnis grundsätzlich hinreichend Rechnung getragen. Bei einer Verständigung geht regelmäßig ein Gespräch voraus, an dem der Verteidiger beteiligt ist; er wird dessen wesentlichen Verlauf und den Inhalt mit dem Angeklagten ebenso erörtern wie die Vor- und Nachteile einer etwaigen Verständigung. Der wesentliche Gesichtspunkt wird in der Regel die Ablegung eines Geständnisses und die Aufgabe sonstiger Verteidigungspositionen sein. Nach Verkündung des Urteils muß schon nach der bisherigen Rechtsprechung Gelegenheit zur Rücksprache mit dem Verteidiger bestehen. Der dann noch in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht wird protokolliert, regelmäßig nochmals vorgelesen und sodann genehmigt.
Darüber hinaus kann es seitens des Angeklagten bei Kenntnis aller Konsequenzen ein durchaus anerkennenswürdiges Interesse an einem Rechtsmittelverzicht geben. So mag ihm daran gelegen sein, ein Rechtsmittel etwa der Staatsanwaltschaft oder des Nebenklägers nicht erwarten zu müssen. Das wird zumal dann gelten, wenn er ein Geständnis abgelegt hat. Auch die Gesichtspunkte der Verfahrensbeschleunigung und des Verfahrensabschlusses können von gewichtigem Interesse sein. Dies verdeutlicht, daß es gute Gründe geben kann, auf Rechtsmittel zu verzichten, die die Rechtsordnung anerkennen sollte, zumal der Rechtsmittelverzicht im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (§ 302 Abs. 1 StPO).
4. Die verfahrensbezogenen Folgen der vom anfragenden 3. Strafsenat vorgesehenen „Sanktion” auf eine den Rechtsmittelverzicht erfassende verfahrensbeendende Absprache sind aus Sicht des Senats durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Es ergäben sich verschiedene Unzuträglichkeiten, ohne daß die beklagte Fehlentwicklung wirksam zurückgedrängt würde.
a) Käme es trotz allseits erklärten Rechtsmittelverzichts wegen der Unwirksamkeit des vom Angeklagten erklärten Verzichts dennoch zu einer Sachprüfung des Revisionsgerichts und zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache, so ließe sich in der wohl weit überwiegenden Zahl solcher Fälle im Ergebnis kaum eine Korrektur absprachebedingter Rechtsfehler erreichen. In der praktischen Wirkung hätte dies den Charakter einer „Abstrafung” des Tatgerichts (der anfragende Senat gebraucht den Begriff der „Sanktion”). Diese könnte zugleich aber auch in vielen Fällen gewichtige Folgen für das Opfer einer Tat – gerade bei Gewalt- und Sexualdelikten – haben. In den meisten Verfahren, die mit einer Absprache beendet werden, wird die ausgesprochene Strafe eher milde sein und im unteren Bereich des Schuldangemessenen liegen. Nach einer Neuverhandlung – auf die Revision des Angeklagten hin bei unwirksamem Rechtsmittelverzicht – würde das Verschlechterungsverbot gelten (§ 358 Abs. 2 StPO). In einer namhaften Anzahl solcher Fälle wäre überdies – freilich nur bei erneuter Verurteilung – noch eine zu quantifizierende Strafmilderung wegen einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung vorzunehmen (vgl. dazu nur jüngst BGH NStZ 2003, 601 m.w.N.). Unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, aber auch im Blick auf das Opfer-Schutz-Interesse erhellt sich die Fragwürdigkeit eines solchen Ergebnisses.
Dies zeigt weiter, daß das Schicksal von Rechtsmittelverzichtserklärungen der Staatsanwaltschaft, des Nebenklägers und auch eines etwaigen Verfallsbeteiligten, die im Zusammenhang mit einem Verzicht des Angeklagten abgegeben werden, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des 3. Strafsenats nicht offenbleiben dürfte. Anderenfalls würde es zu schwer erträglichen Ergebnissen gerade in den Fällen mit individuellen Tatopfern kommen können. Hier müßte wenigstens erwogen werden, auch diesen die Wirkung zu versagen. Das aber würde zu einem weiteren Einbruch in das Rechtssicherheitsinteresse und die rechtsfriedenstiftende Funktion eines rechtskräftigen Urteils führen. Im übrigen wäre dann der Angeklagte oft in einer schwierigen Lage, weil er – zumeist als Folge und Teil einer Absprache – ein Geständnis „als Vorleistung” abgelegt haben wird. Er könnte sich dann unversehens in einer Situation wiederfinden, in der dieses Geständnis „in der Welt” ist, die Sache aber dennoch auch Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ausgesetzt ist, so daß ihn das Verschlechterungsverbot nicht mehr vor einer Verschärfung der Rechtsfolge schützt.
b) Hinzu kommt, daß selbst die „präventive Wirkung” einer solchen Änderung der Rechtsprechung nur sehr begrenzt wäre: In der Folge einer Verständigung wird – angesichts der unverändert großen praktischen Bedeutung verfahrensbeendender Absprachen – nur ein sehr kleiner Teil der betreffenden Verfahren der Kontrolle der Revisionsgerichte zugeführt werden. In der Regel werden die Verfahrensbeteiligten, wenn sie an einer solchen Verständigung beteiligt sind, keinen Anlaß sehen, Revision einzulegen. Sie werden alle mit der Entscheidung „zufrieden sein”, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Wäre die Abgabe allseitiger Rechtsmittelverzichte im unmittelbaren Anschluß an die Urteilsverkündung in Gegenwart aller Verfahrensbeteiligter und zu Protokoll nicht mehr wirksam möglich, würde naheliegenderweise ein Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist „vereinbart”. Das dürfte die praktische Folge der Lösung des anfragenden Senats sein. Damit wäre selbst für das Schutzbedürfnis des wirksam verteidigten Angeklagten regelmäßig kaum etwas gewonnen. Er hat die Folgen schon zuvor mit seinem Verteidiger besprochen und bedacht. Allerdings ist vorstellbar, daß dann vorsorglich kurz vor Fristablauf doch Revision eingelegt wird, weil jeder Verfahrensbeteiligte keine sichere Gewähr dafür hat, daß auch der andere tatsächlich die Frist verstreichen läßt und kein Rechtsmittel einlegt. Auch der Angeklagte selbst kann schriftlich Revision einlegen. Die Verfahrensbeteiligten müßten zur gegenseitigen Kontrolle wohl später – nach erneuter Absprache – einen Modus finden, um die Rechtskraft „koordiniert” herbeizuführen (z.B. durch gemeinsames Einreichen von Rechtsmittel-Rücknahme-Schriftsätzen auf der Geschäftsstelle des erkennenden Gerichts). Ein solches Szenario mag kurios anmuten. Auf diesen Weg würde aber die Praxis ausweichen.
c) Der im Anfragebeschluß aufgezeigte Weg würde für das Revisionsverfahren zu weiteren ausgeprägten Schwierigkeiten führen, welche die Befriedungsaufgabe der Rechtsprechung in Frage zu stellen geeignet sind. Das Revisionsgericht hätte im Freibeweisverfahren zu klären, ob ein Rechtsmittelverzicht etwa Teil einer verfahrensbeendeten Absprache war. Hierzu wären dienstliche Äußerungen und anwaltliche Erklärungen der Beteiligten einzuholen, die anschließend einer Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht zu unterziehen wären. Der Grundsatz „in dubio pro reo” gilt hier nicht (BGHSt 16, 164, 167; 21, 4, 10; Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 12; speziell zur Absprache: BGH, Beschluß vom 27. Juni 2001 – 1 StR 210/01 – BA S. 4; Beschluß vom 16. Mai 2002 – 5 StR 12/02; siehe auch Senat NStZ 1994, 196).
Wird gar der schon in tatsächlicher Hinsicht in hohem Maße unscharfe Begriff des „Hinwirkens” auf einen Rechtsmittelverzicht zum Kriterium erhoben, so würde das Revisionsgericht bei dem Erfordernis der Würdigung der einzuholenden schriftlichen Erklärungen vor eine kaum lösbare Aufgabe gestellt. In der tatrichterlichen Praxis werden Fälle vorkommen, in denen etwa ein Vorsitzender den Verteidiger fragt, ob mit einem Rechtsmittelverzicht gerechnet werden könne; möglicherweise setzt er sogar der Frage hinzu, bekanntlich dürfe dieser nicht verlangt oder vereinbart werden; die Kammer dürfe nicht einmal darauf „hinwirken”. Hier sind vielfältige Abläufe vorstellbar, die alle in ihrer Unterschiedlichkeit subsumiert werden müßten und die voraussehbar zu einer umfangreichen Kasuistik führen würden. In einer großen Zahl der einschlägigen Fälle würde das Revisionsgericht aber wohl an den Beweisschwierigkeiten scheitern. Diese können auch dadurch bedingt sein, daß die Beteiligten abweichende Erklärungen zum Verfahrenssachverhalt abgeben (vgl. beispielhaft nur Senat NStZ 1997, 561; eindrucksvoll auch der Fall Senat NStZ 1994, 196, in dem der Strafkammervorsitzende unter Berufung auf seine Dienstpflicht und der Verteidiger unter Hinweis auf das Standesrecht miteinander unvereinbare Angaben gemacht hatten).
d) Wäre die vom anfragenden 3. Strafsenat ins Auge gefaßte Entscheidung mit einer Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist verbunden, ergäben sich unter dem Gesichtspunkt der friedenstiftenden Aufgabe auch der Strafrechtsprechung weitere nachteilige Folgen: Die Revisionsgerichte würden voraussichtlich mit einer beachtlichen Zahl von sog. Altfällen befaßt werden, die mit der Behauptung einer den Rechtsmittelverzicht einschließenden Urteilsabsprache anhängig gemacht würden und in denen vormals verständigungsbereite Verurteilte nun im zeitlichen Abstand doch noch eine Möglichkeit sehen, ihren Fall abweichend von früherer Einschätzung einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zuzuführen (vgl. beispielhaft die Sache 1 StR 272/03, Senatsbeschluß vom 27. August 2003, siehe unten unter C.). In diesen Fällen werden die Urteilsgründe oft abgekürzt gefaßt sein (§ 267 Abs. 4 Satz 1 StPO). Bei irrtümlicher Annahme der Rechtskraft eines Urteils durch das erkennende Gericht ist bislang die Urteilsergänzung für unzulässig erachtet worden (BGH bei Holtz MDR 1990, 490; vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 267 Rdn. 30). Sie wäre in denjenigen Fällen, in denen nach einer etwaigen Änderung der Rechtsprechung nun nach Jahr und Tag Revision eingelegt würde und Wiedereinsetzung zu gewähren wäre, auch großen und kaum lösbaren praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Aufzeichnungen und Notizen der Richter werden zumeist vernichtet sein. Die Erinnerung an das Ergebnis der Hautverhandlung wird bei den mitwirkenden Richtern weitgehend verblaßt sein. Möglicherweise nehmen sie mittlerweile andere, nichtrichterliche Aufgaben wahr oder sind in den Ruhestand versetzt.
Käme es zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache, stünden nach zunächst eingetretener Rechtskraft Beweismittel oft nicht mehr in vollem Umfang und mit vollem Gewicht zur Verfügung. Die Erinnerung von Zeugen wird schwächer. Die auf der Grundlage technischer Maßnahmen erlangten Erkenntnisse werden vielfach vernichtet sein (vgl. nur § 100b Abs. 6 StPO). Solche Schwierigkeiten werden sich teilweise zwar auch mitunter im Wiederaufnahmeverfahren ergeben. Dieses ist aber an andere Voraussetzungen geknüpft.
5. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die gegenwärtige Praxis der Absprachen durch das Diktum der Unwirksamkeit des „erwirkten Rechtsmittelverzichts” nicht abgeschafft werden wird. Beim Beschreiten des jetzt angefragten Weges würden die Tatgerichte unter ihrem Erledigungsdruck naheliegenderweise auf einen anderen Weg ausweichen. Im Ergebnis würde aller Voraussicht nach keine nennenswerte Verbesserung in irgend einer Hinsicht bewirkt. Anders geartete Ungereimtheiten und Problemstellungen wären die Folge.
C.
Vorsorglich bemerkt der Senat zur Verfahrenslage in dem Revisionsstrafverfahren gegen J. (3 StR 415/02), in dem Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist gewährt werden müßte (S. 3/4 des Anfragebeschlusses):
I.
Die Begründung des mit der verfristeten Revision verbundenen Wiedereinsetzungsgesuchs teilt der Anfragebeschluß nicht mit. Der Senat hat deshalb Anlaß darauf hinzuweisen, daß eine gewandelte Bewertung von Rechtsfragen wie auch das Bekanntwerden neuerer gerichtlicher Entscheidungen – etwa zu den Anforderungen an eine verfahrensbeendende Absprache – nach seiner Rechtsprechung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu begründen vermag (Senat bei Becker NStZ-RR 2002, 66; Beschl. vom 27. August 2003 – 1 StR 272/03). Dabei hat sich der Senat auf die in der Literatur verbreitete Auffassung gestützt, daß die Hinderung an der Einhaltung der Frist stets im Tatsächlichen gründen müsse (siehe nur Wendisch in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 44 Rdn. 27, 54). Mit der Behauptung, in zurückliegender Zeit sei ein abgesprochener Rechtsmittelverzicht erklärt worden, sei nicht dargetan, daß der verteidigte Angeklagte wirklich gehindert gewesen sei, gleichwohl Revision einzulegen; seine Beweggründe, hiervon abzusehen, seien für die Frage der Wiedereinsetzung grundsätzlich unerheblich (Senat, Beschl. vom 27. August 2003 – 1 StR 272/03; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 44 Rdn. 5).
Dem vom Senat zuletzt entschiedenen Fall (1 StR 272/03) lag eine im Jahr 2003 eingelegte Revision gegen ein Urteil aus dem Jahr 1999 zugrunde, die mit einem Wiedereinsetzungsgesuch verbunden war. Dieses hob darauf ab, daß der seinerzeit vom Angeklagten erklärte Rechtsmittelverzicht Bestandteil einer Absprache gewesen sei und der Rechtsanwalt des Angeklagten kurz vor der nunmehrigen Revisionseinlegung auf einem Seminar erfahren habe, daß ein solcher Rechtsmittelverzicht unwirksam sein könne.
Da der Sachverhalt, der dem Wiedereinsetzungsgesuch im Ausgangsfall des 3. Strafsenats zugrunde liegt, nicht mitgeteilt ist, kann der Senat nicht ausschließen, daß der 3. Strafsenat auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist von der Rechtsprechung jedenfalls des 1. Strafsenats abweichen müßte. Anders könnte es dann liegen, wenn eine wirkliche Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit des Angeklagten bei der Verzichtserklärung in Rede stünde, die erst unmittelbar vor Einlegung der Revision ausgeräumt worden wäre und wenn auch die Wiedereinsetzungsfrist gewahrt wäre (vgl. BGH NJW 1995, 2568).
II.
Der Senat sieht keinen Grund, seine Spruchpraxis in der Frage der Wiedereinsetzung zu ändern. Eine Frist versäumt im Sinne des § 44 StPO nur derjenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Wer von einem Rechtsmittel bewußt keinen Gebrauch macht oder in Kenntnis der Tragweite
seiner Erklärung und unbeeinflußt von einem schwerwiegenden Willensmangel darauf verzichtet, der war an der Einlegung nicht „verhindert” (vgl. Meyer-Goßner aaO § 44 Rdn. 5 m.w.N.).
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Schluckebier, Kolz
Fundstellen
Haufe-Index 2557491 |
NJW 2004, 1679 |
NStZ 2004, 164 |
ZAP 2004, 167 |
wistra 2004, 114 |
StV 2004, 115 |
StraFo 2004, 57 |