Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 23.06.2023; Aktenzeichen 10 Ks 8/23) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. Juni 2023 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug von sieben Monaten bestimmt. Der Angeklagte wendet sich gegen das Urteil mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet, § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil ein Hang i.S.d. § 64 StGB nF nicht festgestellt ist.
Rz. 3
a) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrunde zu legen. Nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF, der gemäß § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle gilt, erfordert der Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Nach der neuen Gesetzeslage sind dabei die Merkmale einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung von Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit oder Lebensgestaltung kumulativ festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 45). Dass der Täter - wie vorliegend - die Tat im Rausch begangen hat, genügt dagegen nach der Neuregelung nicht mehr (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46).
Rz. 4
b) Bei seiner vor Inkrafttreten der Neuregelung getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht anwenden können. Das sachverständig beratene Landgericht hat zwar bei dem Angeklagten eine „beginnende Abhängigkeit von Alkohol (ICD-10: F10.2)“ angenommen. Den Anforderungen des § 64 Satz 1 zweiter Halbsatz StGB entsprechende Auswirkungen dieser für sich genommen rechtsfehlerfrei angenommenen Substanzkonsumstörung hat die Strafkammer jedoch nicht festgestellt. Sie hat lediglich die Ausführungen des Sachverständigen referiert, wonach es „zumindest denkbar“ sei, dass der Angeklagte andere Interessen vernachlässige, wobei dies angesichts seiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit bislang „kaum ausgeprägt“ sei. Feststellungen, die die Bewertung einer hangbedingten dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung von Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit oder Lebensgestaltung i.S.d. aktuellen Gesetzesfassung tragen, hat es damit nicht getroffen. Namentlich belegt der Verweis auf „geschilderte Magenprobleme, Gewichtsabnahme und Schlafstörungen“ als körperliche Konsumfolgen noch keine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne der Neufassung der Vorschrift.
Rz. 5
c) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
Rz. 6
d) Die Aufhebung der Maßregelentscheidung entzieht auch der Anordnung über den Vorwegvollzug die Grundlage.
Rz. 7
2. Die weitergehende Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Quentin |
|
Bartel |
|
Maatsch |
|
Scheuß |
|
Momsen-Pflanz |
|
Fundstellen
Dokument-Index HI16243520 |