Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Es wird festgestellt, daß der Angeklagte seine Revision gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 24. Februar 1999 wirksam zurückgenommen hat.
Der Beschluß des Senats vom 2. August 2000 ist gegenstandslos.
Gründe
I. Das Landgericht Oldenburg verurteilte den Angeklagten am 24. Februar 1999 wegen Vergewaltigung und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und untersagte der Verwaltungsbehörde, ihm vor Ablauf von fünf Jahren eine Fahrerlaubnis zu erteilen. In der Hauptverhandlung war der Angeklagte von Rechtsanwalt N. verteidigt worden. Dieser hatte mit Schriftsatz vom 9. Februar 1999 sein Mandat als Wahlverteidiger niedergelegt und sich gleichzeitig bereit erklärt, den Angeklagten als Pflichtverteidiger zu vertreten. Eine Bestellung zum Pflichtverteidiger ist der Akte nicht zu entnehmen. Rechtsanwalt N. legte am 26. Februar 1999 Revision gegen das landgerichtliche Urteil ein, die er am 3. Juni 1999 begründete. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist.
Bereits am 26. März 1999 hatte Rechtsanwalt N. beim Landgericht die Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren beantragt. Auf entsprechende Anfrage der Rechtspflegerin teilte er mit, er sei im Hauptverhandlungstermin vom 24. Februar 1999 zum Pflichtverteidiger bestellt worden, und beantragte entsprechende Berichtigung des Sitzungsprotokolls. Diesen Antrag wies der Vorsitzende der Strafkammer mit Beschluß vom 23. Juni 1999 zurück.
Mit Schriftsatz an das Landgericht Oldenburg vom 23. September 1999 nahm Rechtsanwalt N. seinen Antrag auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren im Hinblick auf die Ablehnung der Protokollberichtigung zurück. Gleichzeitig brachte er seine Auffassung zum Ausdruck, daß der Angeklagte somit in der Hauptverhandlung weder von einem Wahl- noch von einem Pflichtverteidiger vertreten worden sei. Die von ihm – Rechtsanwalt N. – eingelegte Revision sei somit ebenfalls weder von einem Wahl- noch von einem Pflichtverteidiger eingelegt worden. Sodann heißt es: „Letztlich dürfte dies ohne Bedeutung sein, da Herr A. die Durchführung des Revisionsverfahrens nicht wünscht. Als Anlage überreiche ich Original des Schreibens des Herrn A. vom 18.06.1999”. Bei der Anlage handelt es sich um ein an Rechtsanwalt N. gerichtetes, handschriftliches und mit dem Namen des Angeklagten unterzeichnetes Schreiben vom 18. Juni 1999, in welchem „A.” mitteilt, daß er die Revision zurücknehmen möchte, und dies näher begründet.
Der Schriftsatz vom 23. September 1999 wurde nicht zu den zwischenzeitlich an die Staatsanwaltschaft weitergeleiteten Sachakten nachgereicht, sondern in das Kostensonderheft eingelegt.
Nachdem die Akten dem Generalbundesanwalt vorgelegt worden waren, regte dieser beim Landgericht an, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Der Vorsitzende der Strafkammer bestellte dem Angeklagten daraufhin mit Beschluß vom 9. Dezember 1999 Rechtsanwalt L. als „Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren ab dem 14.05.1999”. Dieser legte mit Schriftsatz vom 27. Dezember 1999 erneut Revision für den Angeklagten ein, beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist und begründete in der Folge das Rechtsmittel.
Der Senat hat mit Beschluß vom 2. August 2000 auf die durch Rechtsanwalt N. eingelegte Revision des Angeklagten das Urteil des Landgerichts im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und das Rechtsmittel im übrigen verworfen. Er hat dort darauf hingewiesen, daß bereits Rechtsanwalt N. die Revision wirksam eingelegt und begründet hatte und die Rechtsmittelbegründung auch rechtzeitig war, da die Begründungsfrist erst mit der Zustellung des angefochtenen Urteils an den Angeklagten am 21. Mai 1999 zu laufen begann.
Das Landgericht hat dem Senat die Akten im Hinblick auf den nunmehr aufgefundenen Schriftsatz des Rechtsanwalts N. vom 23. September 1999 erneut vorgelegt. Der Generalbundesanwalt beantragt festzustellen, daß der Beschluß des Senats vom 2. August 2000 gegenstandslos und das Verfahren durch Revisionsrücknahme erledigt ist. Der Angeklagte läßt vortragen, daß er sich an die Abfassung des Schreibens an Rechtsanwalt N. vom 18. Juni 1999 nicht erinnere und im übrigen diesem Schreiben aufgrund seines psychischen Zustandes jedenfalls keine Rechtswirkung zukomme.
II. Wird im Strafverfahren die Frage streitig, ob ein Rechtsmittel wirksam zurückgenommen wurde, ist in der Regel eine feststellende Klärung durch förmliche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts angezeigt (BGH NStZ 2001, 104; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 8). Dies führt hier zu der deklaratorischen Feststellung des Senats, daß die Revision des Angeklagten gegen das landgerichtliche Urteil wirksam zurückgenommen wurde und der Beschluß des Senats vom 2. August 2000 daher gegenstandslos ist.
1. Der Schriftsatz vom 23. September 1999 beinhaltet die Rücknahme der von Rechtsanwalt N. für den Angeklagten eingelegten und begründeten Revision. Er bringt in Verbindung mit dem als Anlage beigefügten Schreiben vom 18. Juni 1999 deutlich zum Ausdruck, daß unabhängig davon, ob Rechtsanwalt N. den Angeklagten in der Hauptverhandlung rechtswirksam als Wahl- oder Pflichtverteidiger vertreten und für diesen die Revision wirksam eingelegt sowie begründet hat, das Rechtsmittel nicht weitergeführt werden soll. Dies ist für eine Rechtsmittelrücknahme ausreichend.
2. Die Rücknahmeerklärung ist wirksam.
a) Dem steht zunächst nicht entgegen, daß sie aus Sicht von Rechtsanwalt N. unter der Bedingung abgegeben wurde, daß entgegen seiner Rechtsmeinung doch eine wirksame Revision eingelegt worden war. Zwar ist die Rechtsmittelrücknahme als Prozeßhandlung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Jedoch kann sie, ebenso wie andere Prozeßhandlungen, von einer reinen Rechtsbedingung abhängig gemacht werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 118 und vor § 296 Rdn. 5 jew. m.w.Nachw.). Sie kann daher an die Bedingung geknüpft werden, daß das Rechtsmittel überhaupt wirksam eingelegt wurde. Diese Bedingung war hier gegeben. Der Senat nimmt insoweit auf seine Ausführungen im Beschluß vom 2. August 2000 Bezug.
b) Rechtsanwalt N. war zur Abgabe der Rücknahmeerklärung durch das Schreiben des Angeklagten vom 18. Juni 1999 ausdrücklich ermächtigt im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
Soweit der Angeklagte über seinen jetzigen Verteidiger vortragen läßt, er könne sich nicht erinnern, das Schreiben vom 18. Juni 1999 unterzeichnet zu haben, begründet dies keine Zweifel des Senats daran, daß der Angeklagte der Absender dieses Schriftstückes ist. Die Unterschrift stimmt mit denen auf anderen zur Akte gelangten Schreiben des Angeklagten und derjenigen auf seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung überein. Zwar unterscheidet sich die Handschrift, in der das Schreiben vom 18. Juni 1999 abgefaßt ist, von den Handschriften der anderen mit seinem Namen unterzeichneten Briefen. Dies findet seine Erklärung jedoch in der Lese- und Schreibschwäche des Angeklagten, die der vom Landgericht zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten beigezogene Sachverständige festgestellt hat. Der Angeklagte läßt seine Schreiben ersichtlich von Dritten abfassen und unterzeichnet sie dann lediglich.
Der Angeklagte bringt in dem Brief vom 18. Juni 1999 sein Begehren, Rechtsanwalt N., den er als seinen Verteidiger erachtet, solle die eingelegte Revision zurücknehmen, unmißverständlich zum Ausdruck. Diese Erklärung ist rechtswirksam. Die Wirksamkeit der Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO setzt allerdings voraus, daß der Angeklagte bei Abgabe der entsprechenden Erklärung verhandlungsfähig ist (Ruß in KK-StPO 4. Aufl. § 302 Rdn. 22 m.w.Nachw.). Ob dies der Fall ist, hat das Rechtsmittelgericht im Freibeweisverfahren zu klären (vgl. BGH NStZ 1999, 258; 1999, 526, 527). Die entsprechende Prüfung hat hier jedoch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Angeklagte aufgrund seines geistigen Zustandes keine hinreichende Einsicht in den Inhalt seines Schreibens vom 18. Juni 1999 und dessen rechtlichen Reichweite gehabt hätte. Es liegt schon allgemein fern, daß eine psychische Beeinträchtigung des Angeklagten, die lediglich zur Annahme verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB führt, Auswirkungen auf seine nach anderen Maßstäben zu beurteilende Fähigkeit haben könnte, sich sachgerecht zu verteidigen und Verfahrenserklärungen in ihrer Bedeutung und Wirkung zu erfassen. Insbesondere liefert vorliegend die Intelligenzminderung des Angeklagten, die nach Ansicht des Sachverständigen und des Landgerichts lediglich im Zusammenwirken mit persönlichkeitsspezifischen Faktoren aufgrund einer familiären Belastungssituation und alkoholbedingter Enthemmung zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung führte, hierfür keinen Beleg.
Weder die Urteilsgründe noch das Hauptverhandlungsprotokoll ergeben einen Hinweis darauf, daß Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden hätten. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich, wie den Urteilsgründen entnommen werden kann, umfangreich zu seiner Person und zu den Tatvorwürfen eingelassen und Reue über das Sexualdelikt geäußert. Während der Hauptverhandlung hat weder das Gericht noch der Verteidiger noch der anwesende Sachverständige irgendwelche Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten geäußert. In einem derartigen Fall kann die Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne weitere Ermittlungen bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1999, 258, 259; 1999, 526, 527; BGH, Beschl. vom 19. September 2000 – 4 StR 337/00). Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich nach der Hauptverhandlung vom 24. Februar 1999 im weiteren Vollzug der Untersuchungshaft bis zum 18. Juni 1999 Änderungen im psychischen Zustand des Angeklagten ergeben hätten, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.
c) Das Verfahren wurde somit durch Rücknahme der Revision des Angeklagten bereits im September 1999 abgeschlossen. Der Beschluß des Senats vom 2. August 2000 kann daher keine Rechtswirkungen mehr entfalten.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Becker
Fundstellen