Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 03.12.2002) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten R., Dr. P., Dr. St. und Dr. Sch. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 3. Dezember 2002
- mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es diese Angeklagten betrifft;
- hinsichtlich der Mitangeklagten und Nichtrevidenten Dr. Ra. und Dr. K. im Schuldspruch dahin geändert, daß die Verurteilungen wegen tateinheitlich begangenen Betruges in den Fällen B. I. 2. Taten 1 – 8 (Dr. Ra.) und B. II. 2. Taten 1 – 25 (Dr. K.) des zweiten Abschnitts der Urteilsgründe jeweils entfallen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Beihilfe zum Betrug in 66 Fällen sowie wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in weiteren 108 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten Dr. P. hat es wegen Betrugs in elf Fällen sowie wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue in weiteren 22 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten sowie der Gesamtgeldstrafe von 330 Tagessätzen verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten Dr. St. und Dr. Sch. wurden wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue in 26 Fällen (Dr. St.) und 23 Fällen (Dr. Sch.) jeweils zu Gesamtgeldstrafen von 600 Tagessätzen verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit der Sachrüge; die Angeklagten Dr. P., Dr. R. und Dr. Sch. erheben zudem Formalrügen. Die Mitangeklagten Dr. Ra. und Dr. K. revidieren nicht.
Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, der teilweise auf die Mitangeklagten zu erstrecken ist (§ 357 StPO). Auf die Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an.
I.
Nach den Urteilsfeststellungen lieferte der Angeklagte R. den Mitangeklagten – allesamt kassenärztlich zugelassene Augenärzte – Augenlinsen und Medikamente, die diese für die von ihnen ambulant durchgeführten Operationen zur Behandlung des Grauen Star benötigten. Um eine dauerhafte Geschäftsbeziehung zu den Mitangeklagten zu sichern, bot R. ihnen umsatzbezogene Rückvergütungen („kick-backs”) an, die von ihnen angenommen und in bar an sie ausgezahlt wurden. Die später für die verbrauchten Linsen und Medikamente den „Kostenträgern (Kassenärztliche Vereinigungen, gesetzliche Krankenkassen)” belasteten Beträge enthielten die jeweiligen Rabattanteile der Ärzte und waren insoweit überhöht. Das Landgericht hat dies im Tatkomplex „Augenlinsen” als Betrug zum Nachteil der jeweiligen Kostenträger; im Tatkomplex „Medikamente” – wegen der unterschiedlichen Abrechnungsweise – als Untreue in Tateinheit mit Betrug, jeweils begangen durch die Ärzte als Täter gewertet. Die Tatbeiträge R.s hat es im Tatkomplex „Augenlinsen” als Beihilfe zum Betrug, im Tatkomplex „Medikamente” als Mittäterschaft des Betrugs angesehen. Im Hinblick auf das Fehlen einer Vermögensbetreuungspflicht in seiner Person (§ 28 StGB) hat es hinsichtlich der tateinheitlich verwirklichten Untreue im Tatkomplex „Medikamente” lediglich eine Gehilfenstellung R.s angenommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die von Amts wegen gebotene Überprüfung der Verfahrensvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Anklage (BGHR StPO § 200 Abs.1 Satz 1 Tat 1, 2, 3 und 18) deckt ein Verfahrenshindernis nicht auf. Mängel der Anklageschrift, die die Informationsfunktion betreffen, berühren deren Wirksamkeit nicht (vgl. Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 200 Rdn. 34).
III.
Demgegenüber halten die Schuldsprüche rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Tatkomplex „Augenlinsen” (Revidenten R. und Dr. P.; Nicht- revidenten Dr. Ra. und Dr. K.)
Nach den Feststellungen bestellten die Augenärzte Dr. Ra., Dr. K. und Dr. P. „bzw. deren Praxispersonal”, die von ihnen benötigten Augenlinsen bei Bedarf bei der R. oHG. Die Lieferungen erfolgten über den gutgläubigen Apotheker V.. Der vorher zwischen R. und den Augenärzten abgesprochene Preis orientierte sich an dem von den gesetzlichen Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen als marktüblich eingestuften Betrag. Diesen Betrag wies R. in der von ihm dem Apotheker V. gestellten Rechnung als anzusetzenden Verkaufspreis aus. V. berechnete diesen Betrag den Augenärzten weiter. Im Rahmen ihrer turnusmäßigen, einzelfall-, das heißt patientenbezogenen Abrechnungen gegenüber den „jeweiligen Kostenträgern” ließen sich die Augenärzte diesen Betrag erstatten. Nach dem geltenden „Kostenerstattungsprinzip” standen ihnen indessen nur die tatsächlich verauslagten Kosten zu.
Das Landgericht hat dies im Ansatz rechtlich zutreffend als Täuschungshandlung der Ärzte im Sinne des Betrugstatbestandes zum Nachteil „der Kostenträger” bewertet, weil die Abrechnung des vollen Preises je Augenlinse die stillschweigende Erklärung enthielt, daß diese Kosten tatsächlich und endgültig angefallen waren. Diese Erklärung war falsch, weil sie die „kick-back”-Zahlungen unberücksichtigt ließ.
a) Die weitergehenden Feststellungen sind jedoch nicht hinreichend individualisiert. Sie begegnen zudem hinsichtlich der Anzahl der Einzeltaten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Auch bei einer Tatserie ist es erforderlich, die Einzelakte so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, daß sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands für jede Einzeltat ergibt (vgl. BGHSt 40, 374, 376; 36, 320, 321; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 9 und 11). Sind nicht alle Einzelakte konkret feststellbar, so sind jedenfalls Mindestfeststellungen zu treffen, die – bei Zugrundelegung des Zweifelssatzes – auch auf tragfähigen Schätzgrundlagen beruhen können (vgl. BGHSt 10, 208; BGHR StGB vor § 1/Serienstraftaten Betrug 1; BGH NStZ 1999, 581).
Handelt es sich um Serienstraftaten des Betruges, müssen die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer die schädigende Verfügung getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei hatte. Dabei kann die tatrichterliche Überzeugung von betriebsinternen Vorgängen, insbesondere bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen oder Körperschaften, je nach den Umständen, auch durch Vernehmung etwa eines Abteilungsleiters gewonnen werden (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 14). Die pauschale Feststellung des Landgerichts (UA S. 27) „der/die Mitarbeiter(in) des jeweiligen Kostenträgers, dem/der die tatsächlichen Umstände verborgen blieb, veranlaßte irrtumsbedingt die Auszahlung der geltend gemachten Sachkosten an den Augenarzt” genügt diesen Anforderungen hier nicht. Die Urteilsgründe lassen Ausführungen zum regelmäßigen internen Ablauf bei den „jeweiligen Kostenträgern” vermissen, aus denen sich eine täuschungsbedingte Vermögensverfügung zugunsten der Ärzte ergeben könnte. Insoweit entbehren die Feststellungen auch einer ausreichenden Beweisgrundlage. Die Urteilsgründe ergeben nicht, aufgrund welcher Beweismittel die Kammer ihre Überzeugung von einer täuschungsbedingten Vermögensverfügung durch den „jeweiligen Mitarbeiter” gewonnen hat. Soweit Mitarbeiter von Leistungsträgern vernommen wurden, geschah dies ersichtlich zu anderen Beweisthemen (UA S. 54).
Die Urteilsgründe verhalten sich auch nicht dazu, welche Leistungsträger konkret geschädigt worden sind. So bleibt offen, ob der Schaden bei den kassenärztlichen Vereinigungen oder den gesetzlichen Krankenkassen eingetreten ist (UA S. 27). Soweit die gesetzlichen Krankenkassen Geschädigte sind, fehlt es an Feststellungen, um welche Krankenkassen es sich handelt. Es liegt auch nahe, daß mehrere (Ersatz-)Kassen betroffen sein können.
b) Hinsichtlich des Angeklagten Dr. P. stellt die Strafkammer – im Rahmen der Beweiswürdigung- zwar fest, dieser habe die Augenlinsen quartalsmäßig gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung Bayern abgerechnet (UA S. 50). An anderer Stelle geht die Kammer aber ersichtlich davon aus, daß die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen getäuscht und zur schädigenden Vermögensverfügung veranlaßt worden seien (UA S. 67 f.). Es bleibt somit unklar, ob insoweit die kassenärztliche Vereinigung Geschädigte war oder diese lediglich eine durch Dr. P. begangene Täuschung an die gesetzliche Krankenkasse vermittelte, die dann eine eigene schädigende Vermögensverfügung traf.
Es bleibt offen, ob jedenfalls Mindestfeststellungen zur Ermittlung der Geschädigten möglich waren. Die Kammer führt aus, daß hinsichtlich des Angeklagten Dr. Ra. und Prof. T./Frau T. die jeweils geschädigte Krankenkasse nicht festgestellt werden konnte (UA S. 52). Ob dies auch für die durch die übrigen Angeklagten Geschädigten gilt, bleibt offen. Überdies bezieht sich die Kammer in diesem Zusammenhang auf Angaben des Zeugen KHK E. über erfolglos gebliebene Durchsuchungen (UA S. 52). Alledem entnimmt der Senat, daß Erhebungen über den Schadensumfang bei den potentiell geschädigten Krankenkassen durchgeführt worden sind. Daß Feststellungen dazu von vorneherein aussichtslos gewesen wären, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil z.B. die AOK Bayern im Zusammenhang mit den Tatvorwürfen konkret bezifferte Schadensersatzansprüche (900.000 DM) gegenüber dem Angeklagten Dr. K. geltend macht (UA S. 14). Dem Urteil läßt sich auch nicht entnehmen, daß die unterbliebene Feststellung der einzelnen Geschädigten auf einer Anwendung des Zweifelssatzes beruht (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 3 StR 28/04). Soweit die Kammer auf eine turnusmäßige Abrechnung abstellt (UA S. 69), ist dies auch erst nach Ausschöpfung aller Feststellungsmöglichkeiten zulässig.
Darüber hinaus fehlen Feststellungen zum konkreten Geschäftsablauf innerhalb der Arztpraxen im Zusammenhang mit der Erstellung der turnusmäßigen (monatlichen oder quartalsmäßigen) Abrechnungen. So bleibt offen, ob der jeweilige Augenarzt die Abrechnungen selbst vornahm oder dies – näherliegend – nach allgemeiner Anweisung seinem Praxispersonal überließ, was Einfluß auf die Zahl der Einzeltaten haben kann.
Der Senat kann deshalb trotz des rechtsfehlerfrei festgestellten Gesamtschadens nicht ausschließen, daß der Angeklagte auch bei unverändertem Schuldumfang durch die unterbliebenen Feststellungen beschwert ist. Eine von den bisherigen Feststellungen abweichende (höhere) Anzahl von Einzeltaten kann sich auf die hierfür zu verhängenden Einzelstrafen auswirken. Da hieraus eine Gesamtstrafe zu bilden sein wird, kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 1 StR 232/01 – insoweit in NStZ 2002, 30 und StV 2002, 21 nicht abgedruckt).
c) Auch hinsichtlich des Angeklagten R., der jeweils wegen Beihilfe zu den Betrugshandlungen der Angeklagten Dr. Ra., Dr. K. und Dr. P. verurteilt worden ist, begegnet das Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat die Tathandlungen R.s nicht ausreichend tragfähig festgestellt. Sie hat insoweit die Beihilfetaten R.s mit den Haupttaten der Mitangeklagten Dr. K., Dr. Ra. und Dr. P. anzahlmäßig gleichgesetzt. Dabei hat sie nicht bedacht, daß bei mehreren Tätern oder Tatbeteiligten für jeden gesondert nach seinem eigenen Tatbeitrag zu beurteilen ist, durch wie viele Handlungen im Sinne von §§ 52, 53 StGB er die Tat gefördert oder begangen hat (st. Rspr. vgl. nur BGHR StGB § 52 Abs.1 in dubio pro reo 7; BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – 1 StR 453/02; BGH, Beschluß vom 30. März 2004 – 1 StR 99/04). Die einzelnen Tatbeiträge R.s hat sie – von pauschalen Feststellungen zur allgemeinen Vorgehensweise und zum Tatplan abgesehen (vgl. dazu BGHR StGB § 266 Mindestfeststellungen 1) – nicht näher festgestellt. Daß die Tatbeiträge R.s anzahlmäßig den Tathandlungen der Augenärzte entsprechen, liegt schon deshalb fern, weil dieser mit den turnusmäßigen Abrechnungen, in denen die Kammer im Grundsatz rechtsfehlerfrei die Tathandlungen der Ärzte erblickt hat, nichts zu tun hatte. Die Tatbeiträge R.s bestanden demgegenüber in den Lieferungen der Augenlinsen, der Inrechnungstellung überhöhter Verkaufspreise und der Auszahlung der „kick-backs” aufgrund des zuvor abgesprochenen Tatplans. In wie vielen Einzelakten dies geschah, ist nicht festgestellt. Ohne die überhöhten Rechnungen R.s hätten die Ärzte die Täuschung nicht durchführen können. Ob diese Tatbeiträge als Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe zu bewerten sind, wird deshalb ebenfalls einer erneuten Überprüfung unterliegen.
2. Tatkomplex „Medikamente”
a) Nach den dazu getroffenen Feststellungen bestellten die Augenärzte die von ihnen benötigten Medikamente bei R. im Wege kassenärztlicher Verordnung. Die Auslieferung erfolgte über den Apotheker V., bei dem das Rezept verblieb. Anschließend reichte V. die Rezepte mit den von R. vorgegebenen überhöhten Preisen einmal monatlich bei der Verrechnungsstelle für Apotheker in München ein, die eine Aufteilung auf die jeweils betroffenen Krankenkassen vornahm. Diese überwiesen den fälligen Betrag an die Verrechnungsstelle, die ihn wiederum an V. auszahlte.
b) Die Strafkammer hat dies im Grundsatz zutreffend als Untreue der angeklagten Ärzte zum Nachteil der jeweiligen Krankenkassen gewertet. Das ergibt sich aus ihrer besonderen Stellung als Vertragsärzte der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kassenärzte treten bei der Verordnung von Arzneimitteln als Vertreter der Krankenkasse auf und geben mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse Willenserklärungen zum Abschluß eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab (vgl. BGH, Beschluß vom 25. November 2003 – 4 StR 239/03 – zum Abdruck in BGHSt vorgesehen = NJW 2004, 454 = NStZ 2004, 276 = wistra 2004, 143).
Der Tatbestand der Untreue ist danach hier durch Mißbrauch der Vertretungsmacht erfüllt. Die einzelnen Mißbrauchstaten wurden nach dem festgestellten Grundkonzept von den Augenärzten im Zusammenwirken mit dem Angeklagten R. dadurch begangen, daß sie die Verordnungen über den Praxisbedarf ausstellten und dem Apotheker V. mit übersetzten Preisangaben durch R. zuleiten ließen. Dadurch verpflichteten sie die Krankenkassen, zu deren Lasten die Verordnungen ausgestellt wurden, die übersetzten Preise an V. zu zahlen und fügten ihnen durch Mißbrauch ihrer Vertretungsmacht Nachteile im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB in Form der schadensgleichen Vermögensgefährdung zu. Da die Vorlage der Verordnung mit den Preisvorgaben in Kenntnis oder Erwartung der Rückvergütungen erfolgte, lag darin jeweils ein Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht, weil die verordneten Medikamente – wie die Ärzte wußten – um die Rabattanteile überteuert waren (vgl. BGHSt 47, 295, 298 f.).
Der von der Strafkammer angenommene, jeweils tateinheitlich begangene Betrug zum Nachteil des Apothekers V., liegt demgegenüber nicht vor. Es fehlt an einer schadensgleichen Vermögensgefährdung gegenüber dem Apotheker. Der Apotheker, der sich an die ärztliche Verordnung hält, ist in seinem Vertrauen auf Bezahlung des Kaufpreises durch die Krankenkasse geschützt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 132a Nr.3). Von – hier nicht in Betracht kommenden – Ausnahmefällen abgesehen, ist er nicht verpflichtet, zu überprüfen, ob die ärztliche Verordnung sachlich richtig ist. Die jeweilige Krankenkasse kann dem Apotheker Einwendungen, die die ärztliche Verordnung betreffen, regelmäßig nicht entgegenhalten; ihr steht insoweit kein Leistungsverweigerungsrecht zu (BSGE 77, 194, 206). Zu einer anderen rechtlichen Bewertung geben die bisher von der Kammer getroffenen Feststellungen zu den vertraglichen Beziehungen zwischen Landesapothekerverein und Ortskrankenkasse Baden-Württemberg (vgl. UA S. 54) keinen Anlaß. Die Verordnungen waren formal ordnungsgemäß ausgestellt. Auch handelte es sich nicht um Fälschungen.
Da der Kaufvertrag zwischen dem Apotheker V. und der jeweiligen Krankenkasse unter Einschaltung des Vertragsarztes als Vertreter und Zuleitung des Rezeptes über R. mit überhöhten Preisen zustandekam, kann dahinstehen, ob die zeitlich nachfolgende Vorlage des Rezeptes durch den Apotheker als Tatmittler den Betrugstatbestand, sei es zum Nachteil der Krankenkassen oder der Apothekerverrechnungsstelle, erfüllt. Ein solcher Betrug wäre unter den hier vorliegenden Umständen jedenfalls mitbestrafte Nachtat der vorangegangen Untreue (vgl. BGHSt 6, 67; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 10). Sollte der neue Tatrichter insoweit ein betrügerisches Verhalten der Ärzte feststellen, das in deren Person als mitbestrafte Nachtat der Untreue anzusehen ist, so bleibt eine strafbare Tatbeteiligung R.s an dieser Nachtat – auch in Form der Mittäterschaft – grundsätzlich möglich (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 118).
c) Die der Verurteilung zugrundeliegende Anzahl der einzelnen Untreuehandlungen hat indessen keinen Bestand. Sie begegnet den gleichen rechtlichen Bedenken, die gegenüber den Feststellungen zur Anzahl der Einzeltaten im Tatkomplex „Augenlinsen” bestehen. Im Ansatz zutreffend geht die Kammer davon aus, daß jede einzelne, dem Apotheker V. zugeleitete Verordnung eine Tat darstellt. Da sich zu der genauen Anzahl der Verordnungen jedoch keine Feststellungen mehr treffen ließen, hat die Kammer – insoweit ebenfalls im Ansatz rechtsfehlerfrei – die Anzahl der Einzeltaten nach dem jeweiligen Abrechnungsturnus bestimmt und eingeschränkt. Die Kammer hat aber auch insoweit keine Feststellungen dazu getroffen, zu Lasten welcher „Kostenträger” die Verordnungen erfolgten.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß ergänzende Feststellungen möglich sind und diese zu einer höheren Anzahl von Einzeltaten führen können.
d) Hinsichtlich des Angeklagten R. hat das Urteil keinen Bestand, weil die Kammer auch insoweit die Einzeltaten nicht nach dessen Tatbeiträgen festgestellt hat. Da das Angebot der Rückvergütungen von ihm ausging (UA S. 24 und 25) liegt eine Tatbeteiligung als Anstifter zur Untreue nahe.
e) Der Wegfall des Betrugstatbestandes zum Nachteil des Apothekers V. wirkt sich auch auf die Verurteilung der nicht revidierenden Mitangeklagten Dr. Ra. und Dr. K. aus (§ 357 StPO). Die Erstreckung erfolgt nur insoweit, als die Kammer eine fehlerhafte Rechtsanwendung (Verwirklichung des Betrugstatbestandes) auf den festgestellten Sachverhalt vorgenommen hat. Die bezüglich der Nichtrevidenten durch das Landgericht getroffenen Feststellungen sind für das Revisionsgericht, auch im Hinblick auf die Zahl der Einzeltaten, bindend.
Die Änderung der Schuldsprüche führt hier nicht zur Aufhebung der Strafaussprüche hinsichtlich der Nichtrevidenten. Der Senat schließt aus, daß die Strafkammer bei im übrigen unverändertem Schuldumfang auf geringere Einzel- und Gesamtstrafen erkannt hätte. Die tateinheitliche Verwirklichung von zwei Straftatbeständen (Betrug und Untreue) wurde von ihr nicht strafschärfend berücksichtigt.
3. Die Sache bedarf nach alledem im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung:
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
a) Das Verschlechterungsverbot steht einer etwaigen Verurteilung R. … s als Mittäter oder Anstifter im Tatkomplex „Augenlinsen” oder als Anstifter zur Untreue im Tatkomplex „Medikamente” durch den neuen Tatrichter nicht entgegen. Die bisherigen Feststellungen legen eine solche Verschärfung des Schuldspruchs eher nahe, nachdem R. durch die Auszahlung der „kick-backs” aufgrund des von ihm initiierten Tatplans in allen Fällen einen unverzichtbaren Tatbeitrag leistete.
b) Sollte die neue Hauptverhandlung zur Feststellung einer abweichenden Anzahl von Einzeltaten mit geändertem Unrechtsgehalt führen, steht das Verschlechterungsverbot der Verhängung von höheren als den bisherigen Einzelstrafen nicht entgegen. Der Unrechtsgehalt von dann gegebenenfalls zur Tateinheit verbundenen Taten ist erhöht. Das Verschlechterungsverbot gebietet bei dieser Sachlage nur, daß die Summe der jeweils betroffenen (bisherigen) Einzelstrafen bei der Bemessung der jeweils neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird. Überdies darf auch die neue Gesamtstrafe nicht höher als die frühere ausfallen (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – 1 StR 453/02).
c) Sollte der bisherige Schuldumfang bestehen bleiben, wäre der neue Tatrichter angesichts der äußerst milden Strafen auch im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer nicht gehindert, auf Gesamtstrafen in gleicher Höhe zu erkennen.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Kolz, Elf, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2557507 |
NStZ 2004, 568 |
NStZ 2007, 201 |
wistra 2004, 422 |
ArztR 2005, 46 |
MedR 2004, 613 |
GesR 2004, 371 |
NJW-Spezial 2004, 282 |