Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die strafschärfende Erwägung, das unerlaubte Handeltreiben sei „eine der verwerflichsten Tatmodalitäten des § 29a BtMG”, ist im Einzelfall nicht ohne weiteres rechtsfehlerhaft.
Der Senat fragt beim 4. Strafsenat an, ob dessen Rechtsprechung, insbesondere das Urteil vom 11. Februar 1999 - 4 StR 657/98 -, der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und ob gegebenenfalls daran festgehalten wird. Vorsorglich richtet er dieselbe Anfrage auch an die anderen Strafsenate.
Gründe
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn unter Einbeziehung mehrerer rechtskräftig verhängter Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt. Der Generalbundesanwalt hat die Verwerfung der auf die Sachrüge gestützten Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO beantragt. Der Senat möchte dem Antrag folgen, hat indes Bedenken, ob er damit von dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil des 4. Strafsenats vom 11. Februar 1999 - 4 StR 657/98 - (NJW 1999, 1724) abweichen würde.
1. Zur Begründung der Strafzumessung hat der Tatrichter zulasten des Angeklagten berücksichtigt, daß er mit der harten und sehr gefährlichen Droge Kokain in großer Menge (8 Kilogramm mit 50 % Wirkstoff) Handel getrieben habe; hinzu komme, daß es sich bei der hier verwirklichten Tatbestandsvariante des Handeltreibens „um eine der verwerflichsten Tatmodalitäten des § 29a BtMG” handele (UA S. 14).
Der Senat hält die sachlichrechtliche Beanstandung der Revision, in der letztgenannten Erwägung liege ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB – entsprechend seiner ständigen Spruchpraxis nach § 349 Abs. 2 StPO zu den verhältnismäßig häufigen Fällen ähnlicher tatrichterlicher Strafzumessungsbegründungen –, für unbegründet. Auf den unterschiedlichen Unrechtsgehalt verschiedener Tatmodalitäten abzustellen, widerspricht § 46 Abs. 3 StGB jedenfalls dann nicht, wenn, wie beispielsweise bei §§ 29, 29a BtMG, verschiedene Begehungsweisen mit regelmäßig unterschiedlichem Unrechtsgehalt vom Gesetzgeber demselben Strafrahmen unterstellt werden (vgl. auch Weber, BtMG 1999 vor §§ 29 ff. Rdn. 474; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 299; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl., Rdn. 305).
Einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB sieht der Senat in der Anlastung der Verwirklichung einer regelmäßig schwereren Deliktsvariante innerhalb desselben Straftatbestandes grundsätzlich ebenso wenig, wie wenn bei der Strafzumessung für ein Betäubungsmitteldelikt auf einen unterschiedlichen Gefährlichkeitsgrad zwischen den von den BtMG-Tatbeständen ohne weitere Differenzierung gleichermaßen erfaßten betroffenen Betäubungsmitteln abgestellt wird. Dabei ist zu bedenken, daß nach § 1 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen sind, so daß die in diesen Anlagen enthaltene Auflistung von Betäubungsmitteln in die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände der §§ 29 ff. BtMG als eine Aufzählung zahlreicher Tatbestandsmerkmale inkorporiert ist.
Daß ähnlich generelle Differenzierungen auch außerhalb des Betäubungsmittelstrafrechts im Sinne des § 46 Abs. 3 StGB unbedenklich und sachgerecht sein können, wird beispielsweise anschaulich deutlich im Blick auf den Tatbestand der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB (n.F.).
2. Im Einzelfall kann freilich das Anlasten der Erfüllung der Tatbestandsvariante des Handeltreibens, wie der 4. Strafsenat in dem von ihm zu beurteilenden Fall entschieden hat, eine bloße „Leerformel” sein und damit einen Wertungsfehler begründen, namentlich wenn sich das Handeltreiben im konkreten Einzelfall als weniger gewichtige Tatvariante, gemessen an der Breite des gesamten Anwendungsbereichs von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, darstellt. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß der Begriff des unerlaubten Handeltreibens von der Rechtsprechung besonders weit ausgelegt wird. Danach erfaßt der Tatbestand Verhaltensweisen von ganz unterschiedlicher Intensität, zudem unter möglichem Bezug auf Rauschgift ganz unterschiedlicher Gefährlichkeit und Menge. Die Annahme eines Wertungsfehlers in einem an der unteren Grenze dieses weiten Tatbestands angesiedelten Einzelfall würde der Senat bejahen und damit in Einzelfällen zu ähnlichen Ergebnissen wie der 4. Strafsenat gelangen (vgl. Senatsbeschlüsse vom heutigen Tage – 5 StR 331 und 333/99 –).
Ebenso mag – wie der 4. Strafsenat annimmt – die Wendung, Handeltreiben sei die „verwerflichste” Variante, bei § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG – anders als bei § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, der die Einfuhr nicht erfaßt – die Besorgnis begründen, der so wertende Tatrichter könnte die vom Gesetzgeber als gewichtiger bewertete Variante der Einfuhr (vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) außer acht gelassen haben.
Indes sieht der Senat – aus den bereits erwähnten Gründen – keinen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Im vorliegenden Fall des Handeltreibens mit einer großen Menge eines besonders gefährlichen Rauschgifts sieht der Senat auch keinen im Einzelfall zu beanstandenden Wertungsfehler.
3. Der Senat besorgt namentlich aufgrund der Fassung des Leitsatzes für das erwähnte Urteil durch den 4. Strafsenat, daß er mit der beabsichtigten Entscheidung von dessen Entscheidung abweichen würde. Er vermag nämlich nicht auszuschließen, daß die Strafzumessung des Landgerichts ohne die genannte Wendung milder ausgefallen wäre. Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß das Landgericht im vorliegenden Fall – insoweit ohne Beschwer für den Angeklagten – unberücksichtigt gelassen hat, daß dessen Verhalten naheliegend auch als unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, begangen in sukzessiver Mittäterschaft nach Vollendung, aber vor Beendigung der Einfuhr (vgl. BGHSt 31, 252, 254), zu würdigen gewesen wäre.
Daher ist die Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG geboten, die vorsorglich auch an die anderen Strafsenate gerichtet wird.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 540998 |
NStZ 1999, 625 |