Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Entscheidung vom 17.10.2022; Aktenzeichen 21 KLs 23/22) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. Oktober 2022 aufgehoben
a) in den Aussprüchen über die Einzelstrafe betreffend den Angeklagten A. im Fall II. 1. e) der Urteilsgründe und die gegen ihn verhängte Gesamtstrafe, jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;
b) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen in den Aussprüchen über die Einziehung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen sowie Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Angeklagte T. ist vom Landgericht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Einziehung sichergestellten Bargelds als Taterträge angeordnet, und zwar gegen den Angeklagten A. in Höhe von 6.055 € und gegen den Angeklagten T. in Höhe von 2.250 €. Gegen das Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte A. beanstandet ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten A. ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 3
2. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt zu den Schuldsprüchen, den gegen den Angeklagten A. in den Fällen II. 1. a) bis d) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie dem Strafausspruch betreffend den Angeklagten T. keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen. Dagegen halten die gegen den Angeklagten A. festgesetzte Einzelstrafe im Fall II. 1. e) der Urteilsgründe und die gegen ihn verhängte Gesamtstrafe sowie die Einziehungsentscheidungen der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand.
Rz. 4
a) Die Strafkammer hat den Angeklagten A. im Fall II. 1. e) der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB verurteilt und insofern eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten festgesetzt. Einen minder schweren Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG hat das Landgericht unter Abwägung allgemeiner, nicht vertypter Strafzumessungsgründe verneint. Eine anschließende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall unter zusätzlicher Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB bejaht werden kann, ist unterblieben. Das Landgericht hat die Einzelstrafe für diese Tat daraufhin dem nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Dies erweist sich als zum Nachteil des Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Rz. 5
aa) Denn die Strafkammer hat nicht bedacht, dass in den Fällen, in denen das Gesetz einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2021 - 1 StR 448/21, juris Rn. 5; vom 21. März 2019 - 3 StR 81/19, juris Rn. 4; vom 28. Juni 2018 - 1 StR 78/18, BGHR BtMG § 30 Abs. 2 Strafrahmenwahl 5 Rn. 10; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 50 Rn. 3 ff. mwN). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei einer weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2023 - 3 StR 375/22, juris Rn. 2; vom 28. Juni 2022 - 3 StR 135/22, juris Rn. 8; vom 21. März 2019 - 3 StR 81/19, juris Rn. 4; vom 28. Juni 2018 - 1 StR 78/18, BGHR BtMG § 30 Abs. 2 Strafrahmenwahl 5 Rn. 10; vom 16. November 2017 - 2 StR 404/17, juris Rn. 2). Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds der Beihilfe allein oder in Verbindung mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls des § 29a Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann.
Rz. 6
bb) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes einen minder schweren Fall bejaht und angesichts des dann relevanten Strafrahmens des § 29 Abs. 2 BtMG, der milder ist als der nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG, eine geringere Einzelstrafe gegen den Angeklagten verhängt hätte.
Rz. 7
Die Einzelstrafe im Fall II. 1. e) der Urteilsgründe hat damit keinen Bestand. Dies zieht die Aufhebung der gegen den Angeklagten A. verhängten Gesamtstrafe nach sich. Die jeweils zugehörigen Feststellungen können aufrechterhalten werden, weil sie von dem reinen Wertungsfehler der Strafkammer nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widerstreiten.
Rz. 8
b) Die Anordnungen der Einziehung sichergestellten Bargelds gegen den Angeklagten A. in Höhe von 6.055 € und gegen den Angeklagten T. in Höhe von 2.250 € sind durchgreifend rechtsfehlerhaft. Bei diesen Beträgen handelt es sich um Bargeld, das bei Durchsuchungen der Wohnungen der Angeklagten jeweils in deren Besitz aufgefunden worden ist. Die Strafkammer hat die Einziehung der sichergestellten Gelder jeweils auf § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB stützen wollen und ausgeführt, es handele sich um Erträge aus den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelverkäufen. Zur Begründung wird lediglich vorgebracht, eine legale Herkunft der Gelder liege angesichts der beschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten fern. Zudem spreche die Auffindesituation des Bargelds - lose Verwahrung in verwahrlosten Wohnungen - für eine illegale Herkunft der Mittel aus Drogengeschäften. Diese Erwägungen erweisen sich als rechtlich defizitär.
Rz. 9
aa) Voraussetzung für eine Einziehung der Bargeldbeträge als Taterträge gemäß § 73 Abs. 1 StGB wäre, dass es sich jeweils um Verkaufserlöse aus gerade den urteilsgegenständlichen Taten der Angeklagten handelte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2021 - 3 StR 153/21, juris Rn. 8; vom 19. August 2020 - 3 StR 219/20, juris Rn. 6; vom 16. Juli 2019 - 2 StR 268/19, BGHR StGB § 73a Abs. 1 Einziehung 2 Rn. 7). Dies wird jedoch durch die Beweiswürdigung nicht belegt und liegt angesichts des deutlichen Zeitabstandes zwischen der jeweils letzten Tat der Angeklagten und dem Sicherstellungszeitpunkt auch nicht nahe. Hinzu kommt bei dem Angeklagten A., dass die aus den Feststellungen ableitbaren Einnahmen, die er bei Zugrundelegung üblicher Verkaufspreise aus seinen urteilsgegenständlichen Betäubungsmittelverkäufen erlangt haben dürfte, in der Summe deutlich hinter dem ihn betreffenden Einziehungsbetrag zurückbleiben.
Rz. 10
bb) Die Einziehungsentscheidungen können - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - auch nicht in Anwendung des § 73a Abs. 1 StGB Bestand haben. Denn die Voraussetzungen für eine erweiterte Einziehung von Taterträgen sind nicht dargetan.
Rz. 11
(1) Eine erweiterte Einziehung von Taterträgen nach § 73a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass es sich bei den betreffenden Gegenständen um Erträge aus anderen rechtswidrigen Taten des Angeklagten handelt, die im Einzelnen nicht näher feststellbar sind; § 73a Abs. 1 StGB ist subsidiär gegenüber einer Einziehung im Rahmen einer möglichen Strafverfolgung wegen der anderen Tat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109, 110; vom 30. Juni 2021 - 3 StR 153/21, juris Rn. 9; vom 26. Mai 2021 - 3 StR 58/21, juris Rn. 6; vom 4. Mai 2021 - 3 StR 67/21, juris Rn. 3). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, also die sichergestellten Gelder aus anderen Taten der Angeklagten als den verfahrensgegenständlichen herrühren und eine Strafverfolgung der Angeklagten wegen der weiteren Taten ausscheidet, weil diese nicht näher aufklärbar sind, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Weil nicht ausgeschlossen erscheint, dass andere Taten konkretisierbar sind, aus denen die Gelder herrühren, kann eine auf § 73a Abs. 1 StGB gestützte Einziehung auch nicht mit der - grundsätzlich statthaften - Erwägung begründet werden, die Gelder stammten entweder aus den urteilsgegenständlichen oder aus anderen rechtswidrigen Taten (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21, wistra 2023, 121 Rn. 8; vom 31. Mai 2022 - 3 StR 122/22, juris Rn. 23; vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21, wistra 2022, 83 Rn. 6; vom 19. August 2020 - 3 StR 219/20, juris Rn. 6 f.).
Rz. 12
(2) Darüber hinaus ist Folgendes in den Blick zu nehmen:
Rz. 13
Für eine erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1 i.V.m. § 73c Satz 1 StGB ist erforderlich, dass das durch eine nicht konkretisierbare andere rechtswidrige Tat Erlangte bei Begehung der Anlasstat im Vermögen des Angeklagten gegenständlich oder in Gestalt eines Surrogats vorhanden war (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, NJW 2023, 460 Rn. 36; Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 238/21, NZWiSt 2022, 404 Rn. 14; Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 StR 312/21, juris Rn. 12; Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 - 5 StR 327/21, juris Rn. 3; vom 5. Oktober 2021 - 3 StR 294/21, juris Rn. 5; vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21, BGHR StGB § 73a Abs. 1 Wertersatz 1 Rn. 13; vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20, BGHR StGB § 73c nF Anwendungsbereich 1 Rn. 8 ff.; vom 3. November 2020 - 6 StR 258/20, juris Rn. 7; insofern kritisch Tschakert, wistra 2022, 309, 314; Wiersch, NStZ 2022, 385, 388 ff.). Mit dieser Voraussetzung für eine erweiterte Wertersatzeinziehung - von der Abstand zu nehmen entgegen dem Vorbringen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts kein Anlass besteht - soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine grenzenlose Abschöpfung des Wertes von Taterträgen auch aus sehr lange zurückliegenden und mit der jetzigen Anlasstat in keiner Beziehung stehenden urteilsfremden Taten, über deren Erträge der Einziehungsbetroffene nicht mehr verfügt, verhindert werden (vgl. insofern zur Vorgängerregelung § 73d StGB aF BT-Drucks. 11/6623 S. 8; BT-Drucks. 12/989 S. 24; s. auch Bittmann, NZWiSt 2022, 406, 407; Zivanic, NZWiSt 2023, 212, 216).
Rz. 14
Dieses Erfordernis ist von Teilen der Rechtsprechung, obgleich es vom historischen Gesetzgeber des § 73d StGB aF allein für den erweiterten Verfall des Wertersatzes, nicht aber auch für den erweiterten Verfall von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers postuliert worden ist (vgl. BT-Drucks. 11/6623 S. 6, 8; BT-Drucks. 12/989 S. 24), der Wortlaut des § 73a Abs. 1 StGB es nicht gebietet und ein Bedürfnis hierfür nicht ersichtlich ist, unlängst auch auf die erweiterte Einziehung des gegenständlich Erlangten selbst erstreckt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022 - 4 StR 221/22, wistra 2023, 209 Rn. 6; s. zudem - nicht tragend - BGH, Urteil vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, NJW 2023, 460 Rn. 36; Beschluss vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20, BGHR StGB § 73c nF Anwendungsbereich 1 Rn. 8 ff.; aA MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 73a Rn. 20; Wiersch, NStZ 2022, 385, 388 ff.).
Rz. 15
Folgt man dem, kommt eine erweiterte Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern nach § 73a Abs. 1 StGB nur in Betracht, wenn - was die Urteilsgründe vorliegend nicht erkennen lassen - der Angeklagte, gegen den sich die Einziehungsentscheidung richtet, über den erlangten Gegenstand (noch beziehungsweise bereits) zum Zeitpunkt der Anlasstat, also der Tat, wegen der er nunmehr verurteilt wird, verfügte.
Rz. 16
cc) Auch die Einziehungsentscheidungen unterliegen daher - insofern mit den jeweils zugehörigen Feststellungen - der Aufhebung.
Rz. 17
c) Im Umfang der Aufhebungen bedarf die Sache der neuen Verhandlung und Entscheidung.
Schäfer |
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Hohoff |
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Anstötz |
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Erbguth |
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Kreicker |
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Fundstellen
Haufe-Index 15972078 |
NStZ 2023, 7 |
NStZ-RR 2023, 5 |