Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 13.07.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 13. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte unter einer paranoiden Psychose mit ausgeprägtem Wahnsystem. Er hatte sich anfangs in einem Liebeswahn zu einer – entweder wirklich existierenden oder auch nur imaginären – Frau B. befunden. Später fühlte er sich zur Tatzeit von dieser Person und deren Gehilfen verfolgt, „bestrahlt und abgehört”. „Um der Verfolgung durch Frau B. und deren Schergen zu entkommen, entschloss sich der Angeklagte Ende Januar 2010” dazu, in die Justizvollzugsanstalt „umzuziehen, da ihm dies als der einzig sichere Ort erschien”. Er begab sich am 28. Januar 2010 zur Mittagszeit in die Räume der Sparkasse G. und wandte sich an eine Angestellte mit den Worten: „Dies ist ein Überfall. Geben Sie mir 20.000 Euro.” Er wurde daraufhin aber von anderen Mitarbeitern aus den Geschäftsräumen hinaus gedrängt. Der Angeklagte setzte sein Vorhaben in einer Filiale der Deutschen Bank in gleicher Weise fort, wobei er seine Forderung noch damit unterstrich, dass er eine Hand in der Jackentasche ausstreckte, um den Eindruck entstehen zu lassen, er sei bewaffnet. Hier wurde er mit dem Hinweis darauf, dass die Bankmitarbeiter keinen Zugriff auf größere Bargeldbestände hätten, zum Verlassen des Gebäudes veranlasst. Er unternahm danach einen dritten Anlauf bei der SEB-Bank, wo er mit denselben Worten einen „Überfall” behauptete und das Vorhandensein einer Waffe simulierte. Kurze Zeit darauf wurde er in den Bankräumen von der herbeigerufenen Polizei festgenommen, worauf es ihm zumindest in erster Linie angekommen war.
Rz. 3
Das Landgericht hat angenommen, dass es sich um Nötigungsversuche des Angeklagten gehandelt habe. Dabei habe sicher eine „erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit” vorgelegen, „aber nicht eine gänzliche Aufhebung seiner Schuldfähigkeit.” Unmittelbarer Beweggrund sei der Wunsch gewesen, verhaftet zu werden und danach in die Justizvollzugsanstalt „umzuziehen”. Dabei sei er „kontrolliert und planerisch” vorgegangen. Es sei nicht auszuschließen, dass er vor dem Hintergrund vorhandener Schulden im Falle einer Herausgabe von Bargeld dieses angenommen hätte, was aber nicht sein vorrangiges Ziel gewesen sei.
Rz. 4
Gegen die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht die von ihm angenommene verminderte Einsichtsfähigkeit nicht richtig bewertet hat. Eine infolge krankhafter seelischer Störung reduzierte Einsichtsfähigkeit ist zunächst ohne Belang (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 73). Sie erlangt erst dann rechtliche Bedeutung, wenn sie tatsächlich das Fehlen der Unrechtseinsicht bei der Begehung der Tat zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 21. November 2007 – 2 StR 548/07). In diesem Fall ist die Schuldfähigkeit sogar aufgehoben. Der Hinweis des Landgerichts auf die erheblich verminderte „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit” des Angeklagten bei pauschaler Verneinung einer Aufhebung seiner „Schuldfähigkeit” lässt es möglich erscheinen, dass das Gericht nicht ausreichend zwischen den gesondert zu bewertenden Fähigkeiten zur Unrechtseinsicht einerseits und zur einsichtsgemäßen Steuerung andererseits unterschieden hat.
Rz. 5
Das Landgericht hat ferner nicht berücksichtigt, dass die Unrechtseinsicht des Angeklagten in Form seines Wissens um das Verbotensein der Handlungen (vgl. BGHSt 35, 347, 349) jedenfalls nicht defektfrei war. Zwar gehörte es zu seinem Plan, „Überfälle” zu begehen oder sie zumindest vorzutäuschen, um verhaftet zu werden; insofern war ihm das Verbotensein seines Handelns bewusst und sogar Bedingung der Verwirklichung seines Plans. Jedoch hat er sich infolge seines Wahnes einer konkreten Bedrohung für Leib oder Leben ausgesetzt gesehen, der er nur durch Herbeiführung seiner Festnahme entgehen zu können glaubte. Insoweit hat er sich wahnbedingt eine Notstandslage vorgestellt. Das hätte bereits unter dem Gesichtspunkt fehlender Einsicht in das Unrecht der Handlung näherer Erörterung bedurft. Darauf, dass der Angeklagte „kontrolliert” und planvoll gehandelt hat, kommt es insoweit nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob er wahnbedingt in einem Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt oder einen Entschuldigungsgrund (§ 35 StGB) angenommen hat. Dazu sind auch genauere Feststellungen zur Qualität der von dem Angeklagten angenommenen Bedrohungslage und zu seinem Handlungsziel erforderlich.
Rz. 6
Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruches. Er ergreift zudem die Maßregelanordnung. Die Beurteilung von Unrechtseinsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit bedarf insgesamt einer genaueren Bewertung, auf deren Grundlage der neue Tatrichter über eine mögliche Maßregelanordnung zu entscheiden haben wird.
Unterschriften
Fischer, Appl, Schmitt, Eschelbach, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 2560454 |
NStZ 2011, 336 |
StraFo 2011, 100 |