Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 17.10.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 17. Oktober 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es 489,6 Gramm sichergestelltes Marihuana eingezogen und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 1.350 Euro angeordnet. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch sowie zur Einziehungs- und Verfallsentscheidung keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 4
2. Die Strafaussprüche halten jedoch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat mit nicht tragfähiger Begründung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 BtMG verneint.
Rz. 5
a) Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in den Jahren 2010 bis 2011 in vier Fällen Marihuana im Kilobereich von dem gesondert verfolgten M.. In drei Fällen veräußerte er das Rauschgift, das von durchschnittlicher Qualität war, an seinen Abnehmer weiter, im vierten Fall scheiterte das Geschäft, weil der Abnehmer mit der Qualität des Marihuanas unzufrieden war.
Rz. 6
Am 11. April 2012 (Fall 5) wurde bei dem Angeklagten anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung 489,60 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 8,1 % THC sichergestellt. Dieses Rauschgift stammte aus einer anderen Bezugsquelle. Soweit der Angeklagte behauptet hat, das Rauschgift nur für seinen Nachbarn „J.” aufbewahrt zu haben, ist das Landgericht von einer Schutzbehauptung ausgegangen.
Rz. 7
Als seinen Abnehmer hat der Angeklagte den am 7. Februar 1984 geborenen „K.” (G.) benannt, dessen Wohnanschrift mitgeteilt und ihn auf einer Wahllichtbildvorlage identifiziert. Zudem hat er eingeräumt, von diesem seinen „Eigenbedarf” bezogen zu haben.
Rz. 8
Gegen K. G. wird seit 2011 ein Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmittelstraftaten geführt. Er ist flüchtig und wird mit Haftbefehl gesucht.
Rz. 9
b) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 BtMG verneint. Zwar sei K. G. im Zusammenhang mit Betäubungsmittelgeschäften polizeibekannt; allein daraus lasse sich aber nicht schließen, dass er der Abnehmer des Angeklagten gewesen sei. Die Angaben des Angeklagten seien nicht stimmig. Es erschließe sich nicht, warum der Angeklagte einerseits seinen Eigenbedarf von G. bezogen, andererseits aber an diesen Betäubungsmittel veräußert haben will. Zudem sei die Glaubwürdigkeit des Angeklagten durch seine unzutreffenden Angaben im Fall 5 erschüttert.
Rz. 10
c) Mit diesen Erwägungen hat die Strafkammer ihre fehlende Überzeugung von einer erfolgreichen Aufklärungshilfe des Angeklagten nicht nachvollziehbar aufgezeigt. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
„Das Landgericht geht zwar zu Recht davon aus, dass § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht zur Anwendung kommt, wenn der Tatrichter nicht die Überzeugung gewinnt, dass die Darstellung des Angeklagten über die Beteiligung anderer an der Tat zutrifft, wobei der Zweifelsgrundsatz dem Täter hier nicht zugute kommt. Die Begründung eines Verdachts und die damit verbundene Schaffung einer Aufklärungsmöglichkeit reicht nicht aus (vgl. Körner/Patzak/Volkmer BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 104). Sieht der Tatrichter von der Strafmilderung des § 31 BtMG ab, muss er die vom Angeklagten über den eigenen Tatbeitrag hinausgehenden Angaben vollständig wiedergeben und die Gründe eingehend erörtern, die ihn zur Verneinung der Strafmilderung gemäß § 31 BtMG bewogen haben. Nur so wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt zu prüfen, ob sich der Tatrichter bei seiner Entscheidung von rechtlich zutreffenden und zulässigen Erwägungen hat leiten lassen (Körner/Patzak/Volkmer BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 117 mwN).
Daran fehlt es hier: Die Strafkammer hat sich von der Richtigkeit der Darstellung des Angeklagten nicht überzeugen können. Wenn es die Glaubwürdigkeit des Angeklagten zudem durch die unzutreffenden Angaben im Fall 5 erschüttert sieht (UA S. 12) ohne hier zu berücksichtigen, dass der Angeklagte im Fall 5 versucht hat, seinen eigenen Tatbeitrag herunter zu spielen und zu beschönigen, was einer Anwendung des § 31 BtMG nicht notwendig entgegenstünde (siehe Körner/Patzak/Volkmer BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 57), liegt in dieser Überlegung noch kein durchgreifender Rechtsfehler. Die Begründung ist indes rechtlich nicht tragfähig, als das Landgericht vornehmlich auf die fehlende Stimmigkeit der Angaben des Angeklagten abstellt (UA S. 12), wonach es sich nicht erschließe, weshalb der Angeklagte einerseits seinen Eigenbedarf von Herrn G. bezogen, andererseits aber an diesen Betäubungsmittel veräußert haben will. Dieser Einwand ist nur nachvollziehbar, wenn der Angeklagte seinen Eigenbedarf tatsächlich aus den von ihm an G. verkauften Rauschgiftmengen auch bezogen hat. Ob dies aber der Fall war und ob der Angeklagte hierzu Angaben gemacht hat, ist den Urteilsgründen indes nicht zu entnehmen. Nach den Urteilsgründen hat der Angeklagte lediglich angegeben, „Herr K.” sei zudem die Person gewesen, von der er seinen Eigenbedarf bezogen habe” (UA S. 11). Das angefochtene Urteil ist insoweit lückenhaft.
Der Strafausspruch hat daher insgesamt keinen Bestand; auch die im Fall 5 verhängte Einzelstrafe ist aufzuheben. Das Landgericht geht zwar davon aus, dass die Strafmilderungsvorschrift des § 31 BtMG nur in Bezug auf die Taten 1-4 der Urteilsgründe zu prüfen ist, weil der Angeklagte nur bezogen auf diese Fälle seinen Abnehmer bezeichnet habe (UA S. 11), im Fall 5 habe er solche Tatsachen dagegen nicht preisgegeben. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Anwendung des § 31 Satz 1 BtMG nicht daran scheitert, dass die angegebenen Taten als rechtlich selbständig zu werten sind, sofern sie nur mit der strafbaren Beteiligung des Angeklagten an der Handelstätigkeit in Zusammenhang stehen (BGH StV 2013, 707; Körner/Patzak/Volkmer BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 63), hat das Tatgericht die Voraussetzungen des § 31 Satz 1 BtMG auch im Fall 5 der Urteilsgründe erneut zu prüfen.
Wenn das Landgericht zur Anwendung der Strafmilderung über § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG kommt, hat das Tatgericht erneut über das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG unter Berücksichtigung dieses vertypten Strafmilderungsgrundes zu entscheiden.”
Dem schließt sich der Senat an.
Rz. 11
d) Soweit der Generalbundesanwalt einen weiteren durchgreifenden Rechtsfehler darin sieht, dass die Strafkammer der Bemessung der Strafen fehlerhaft geschätzte Wirkstoffmengen zugrunde gelegt hat, bemerkt der Senat:
Rz. 12
Das Landgericht ist nicht auf der Grundlage der Schätzungen von Patzak/Goldhausen, NStZ 2011, 76 von einem THC-Gehalt von 6 % für Marihuana von durchschnittlicher Qualität ausgegangen. Vielmehr hat es seine Erfahrungen im eigenen Gerichtsbezirk, die den statistischen Erhebungen von Patzak/Goldhausen nahekommen, zur Grundlage seiner Schätzungen gemacht (UA 8). Dagegen ist im Ansatz nichts zu erinnern. Es liegt auf der Hand, dass der Reinheitsgehalt von „auf dem Markt befindlichen” Rauschgift örtlichen Schwankungen unterworfen ist. So kann z. B. der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Kokain in solchen Landgerichtsbezirken, in die die direkte Einfuhr aus Südamerika auf dem Luft- oder Seeweg erfolgt, deutlich höher sein als in solchen Regionen, in denen der Weitervertrieb nach zwischenzeitlicher Streckung des Rauschgifts erfolgt. Auch kann es bedeutsam sein, wenn Gruppierungen den Betäubungsmittelhandel in bestimmten Regionen beherrschen und diese jeweiligen Vertriebsorganisationen das zu handelnde Rauschgift aus bestimmten Quellen beziehen. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft, wenn Tatgerichte die örtlichen Gegebenheiten bei der Schätzung von Wirkstoffmengen berücksichtigen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Strafkammern ihre entsprechenden Erfahrungen im eigenen Bezirk in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darlegen.
Rz. 13
Sollte – wie der Generalbundesanwalt meint – einer Entscheidung des 3. Strafsenats vom 9. Juni 2004 – 3 StR 166/04, StV 2004, 602 zu entnehmen sein, der Wirkstoffgehalt von Marihuana durchschnittlicher Qualität liege ausnahmslos zwischen 2 bis allenfalls 5 % THC und die Zugrundelegung eines höheren Wirkstoffgehalts sei stets rechtsfehlerhaft, würde dem der 2. Strafsenat nicht folgen.
Unterschriften
Fischer, Appl, RiBGH Prof. Dr. Schmitt ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer, Krehl, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 7538268 |
NStZ-RR 2015, 5 |
NStZ-RR 2015, 77 |