Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 17. Juli 2000, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen „Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Körperverletzung, sowie wegen Vergewaltigung in zwei weiteren Fällen, jeweils in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall mit Körperverletzung” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, den Angeklagten Mo. wegen „Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung” zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten S. wegen Vergewaltigung ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Rechtsmittel haben mit der von allen drei Beschwerdeführern erhobenen, jeweils den Begründungserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Rüge der Verletzung des § 247 Satz 4 StPO Erfolg.
Der Rüge liegen folgende Verfahrenstatsachen zugrunde:
Das Landgericht hatte im Hauptverhandlungstermin vom 21. Juni 2000 beschlossen, die Angeklagten gemäß § 247 Satz 1 und 2 StPO für die Dauer der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin W. aus dem Sitzungssaal zu entfernen. Die Nebenklägerin wurde in den Verhandlungsterminen vom 21., 26. und 28. Juni 2000 vernommen, wobei die Vernehmung wegen der psychischen Verfassung der Nebenklägerin jeweils mehrfach unterbrochen und während der Unterbrechungen die Hauptverhandlung fortgesetzt wurde. Die Angeklagten wurden jeweils vor Beginn oder Fortsetzung der Vernehmung der Nebenklägerin aus dem Sitzungssaal geführt und nach Unterbrechung der Vernehmung wieder zur Verhandlung zugelassen. Am 26. und 28. Juni 2000 wurden nach Unterbrechungen der Vernehmung der Nebenklägerin insgesamt fünfzehn Zeugen und drei Sachverständige gehört. Die Angeklagten wurden am 26. Juni 2000 überhaupt nicht und am 28. Juni 2000 erst nach Abschluß der Befragung der Nebenklägerin vom Vorsitzenden von „dem wesentlichen Inhalt der Aussage der Zeugin W. in Kenntnis gesetzt”.
Dieses Verfahren beanstanden die Beschwerdeführer mit Recht. Ist der Angeklagte während einer Zeugenvernehmung aus dem Sitzungssaal entfernt worden, so muß er, bevor in seiner Anwesenheit die Beweisaufnahme fortgesetzt wird, auch dann von dem in seiner Abwesenheit Ausgesagten unterrichtet werden, wenn die in seiner Abwesenheit durchgeführte Vernehmung lediglich unterbrochen wurde. Nur hierdurch ist sichergestellt, daß sein Informationsstand im wesentlichen dem der anderen Prozeßbeteiligten entspricht und er aufgrund der bereits teilweise in die Hauptverhandlung eingeführten Aussage sein Fragerecht gegenüber weiteren Zeugen und Sachverständigen oder seine Verteidigung zu sonstigen Verfahrensgegenständen sachgerecht auszuüben vermag (BGHSt 38, 260 f.; BGH NStZ 1999, 522). Dies gilt auch dann, wenn die Aussage unergiebig war (vgl. BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 5 für den Fall der Aussageverweigerung). Auch über alle sonstigen in seiner Abwesenheit gestellten Anträge und abgegebenen Erklärungen ist der Angeklagte zu unterrichten (vgl. BGH NStZ 1983, 181; BGHR aaO). Danach war der Vorsitzende hier nach jeder Unterbrechung der Befragung der Nebenklägerin verpflichtet, die Angeklagten über deren Bekundungen und die sonstigen im Zusammenhang mit deren Vernehmung abgegebenen verfahrenswesentlichen Erklärungen zu unterrichten, und zwar auch dann, wenn die Aussage der Nebenklägerin während eines der kurzen Vernehmungsabschnitte am 26. Juni 2000 zur Klärung des Tatvorwurfs nichts beigetragen haben sollte.
Die Verurteilung der Angeklagten beruht auf dem dargestellten Verfahrensmangel. Das Landgericht hat ohne die vorherige Unterrichtung der Angeklagten nach § 247 Satz 4 StPO mehrere Sachverständige gehört und eine Vielzahl von Zeugen vernommen, darunter die Zeugen B., H. und Be., auf deren Angaben die Verurteilung der Angeklagten neben der Aussage der Nebenklägerin maßgeblich gestützt wird. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn die Angeklagten ordnungsgemäß unterrichtet worden wären und dadurch die Möglichkeit gehabt hätten, ihr Fragerecht sachgerecht auszuüben bzw. ihre Verteidigung unter Berücksichtigung der bereits in die Hauptverhandlung eingeführten Teile der Aussage der Nebenklägerin zu führen.
Die Verurteilung der Angeklagten kann daher keinen Bestand haben, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Verfahrenrügen und die Sachrügen bedarf. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß es aus sachlich-rechtlichen Gründen geboten sein kann, aus den Akten über frühere Strafverfahren gegen einen Angeklagten Feststellungen zu seinem Werdegang und seinen persönlichen Verhältnissen zu treffen, wenn er insoweit in dem aktuell gegen ihn geführten Verfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (BGH NStZ 1991, 231). Bei einem ausländischen Angeklagten lassen sich insoweit gegebenenfalls auch über die zuständigen Ausländer- oder Asylbehörden Erkenntnisse gewinnen.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 557854 |
StV 2002, 353 |