Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 03.12.2019; Aktenzeichen 1136 Js 15799/18 2 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 3. Dezember 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg, da die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat. Dies führt gemäß § 5 Abs. 3 JGG auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist seine Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
Rz. 3
2. Auch die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiell-rechtliche Prüfung des Schuldspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben.
Rz. 4
3. Keinen Bestand haben kann hingegen der Rechtsfolgenausspruch.
Rz. 5
a) Die sachverständig beratene Jugendkammer hat im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB bei dem Angeklagten einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, für gegeben erachtet, einen symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat jedoch verneint. Zudem fehle es an einer hinreichenden konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung nach § 64 Satz 2 StGB.
Rz. 6
b) Das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
„aa) Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB kommt in Betracht, wenn es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, die der Täter im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht. Dabei ist die erste Alternative nur ein Unterfall der zweiten, so dass diese den Oberbegriff darstellt. In beiden Fällen muss zwischen der Tat und dem Hang ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 StR 320/17 –, juris Rn. 42). Dabei ist allerdings nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 – 3 StR 191/09 –, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5). Es reicht bereits aus, wenn der Hang lediglich Einfluss auf die Qualität der bisherigen Straftaten bzw. auf die Intensität der Tatausführung hatte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 1996 – 2 StR 470/96 –, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1; BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 4 StR 443/05 –, NStZ-RR 2006, 104 f.; Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 351/16 –, StV 2017, 321 ≪322≫; Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18 –, juris Rn. 16).
Die – sachverständig beratene – Strafkammer hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat mit der Begründung verneint, es sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Tat auch ohne oder im Zustand nur geringer Alkoholisierung begangen hätte. Dies schließt die Strafkammer daraus, dass die Vorverurteilungen des Angeklagten, bei denen das Gericht von verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB infolge einer Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt ausgegangen ist, sämtlich Körperverletzungsdelikte und keine Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Gegenstand hatten. Hieraus folge, dass der Angeklagte im berauschten Zustand nicht dazu neige, Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern gegen die körperliche Integrität anderer Personen zu begehen, so dass die vorliegende Tat gerade nicht im inneren Zusammenhang zu seinem Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum stehe, auch wenn er bei dieser Tat aufgrund einer Alkoholisierung von maximal 2,33 Promille vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB gewesen sei.
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat ausgegangen ist und insbesondere verkannt hat, dass hierfür bereits eine Mitursächlichkeit und ein Einfluss des Hangs auf die Intensität der Tatausführung ausreicht. Bei einer Tatbegehung im Rausch liegt ein symptomatischer Zusammenhang nahe, wenn der Täter – wie hier – erheblich unter dem Einfluss desjenigen berauschenden Mittels stand, hinsichtlich dessen auch sein Hang besteht (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, 45. Edition, Stand: 01.02.2020, § 64 Rn. 7). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass das Landgericht aufgrund der Alkoholintoxikation des Angeklagten zum Tatzeitpunkt von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgegangen ist (UA S. 11). Bei der Strafzumessung hat das Landgericht ausdrücklich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bei der Tat infolge seiner Alkoholisierung deutlich enthemmt war (UA S. 21). Bei dieser Sachlage versteht sich die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tatbegehung von selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 – 3 StR 191/09 –, NStZ 2010, 83 ≪84≫; Senat, Beschluss vom 15. August 2013 – 2 StR 225/13 –, juris Rn. 2). Mit der vom Landgericht angeführten Begründung lässt sich ein symptomatischer Zusammenhang daher nicht verneinen. Die Strafkammer hätte sich jedenfalls mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die festgestellte alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten Auswirkungen auf die Tatintensität hatte. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass der Angeklagte nach den Feststellungen sowohl den vaginalen als auch den analen Geschlechtsverkehr jeweils ungeschützt mit der Geschädigten durchgeführt und diesen ungeachtet der Tatsache fortgesetzt hat, dass sich die Geschädigte während des Geschlechtsverkehrs mindestens einmal stark erbrochen hat.
bb) Soweit die Strafkammer eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB verneint hat, begegnet dies ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer begründet ihre Einschätzung damit, dass der Angeklagte eigenen Äußerungen zufolge zu einem alkoholabstinenten Leben derzeit nicht bereit sei. Er wolle seinen Alkoholkonsum lediglich reduzieren, wisse aber nicht, wie er dies umsetzen könne. Ein Verzicht auf Alkohol komme für ihn keinesfalls in Betracht, da in seinem Freundeskreis gerade an den Wochenenden und nach Fußballspielen oder -trainingseinheiten immer wieder viel Alkohol konsumiert werde, dies sozusagen „dazugehöre” und er hieran auch weiterhin teilnehmen wolle.
Diese Begründung greift zu kurz. Sie verkennt, dass das Tatgericht bei einer fehlenden Therapiewilligkeit zu prüfen hat, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 2 StR 170/09 –, juris Rn. 5). Hierfür spricht vorliegend, dass es sich bei dem Angeklagten noch um einen Heranwachsenden handelt und er sich immerhin bereit erklärt hat, seinen Alkoholkonsum zu reduzieren, aber nicht weiß, wie er dies umsetzen soll. Auch darin kann bereits ein Ziel der Behandlung im Maßregelvollzug liegen. Eine entsprechende Prüfung hat die Strafkammer nicht vorgenommen.”
Rz. 7
Dem schließt sich der Senat an, zumal der Angeklagte nach den Feststellungen noch im Oktober 2019 eigeninitiativ bei der D. in H. vorgesprochen hat, um eine Lösung für sein Alkoholproblem zu finden.
Rz. 8
c) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – 2 StR 306/19, juris Rn. 10). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Rz. 9
d) Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich; denn danach kann bei schuldhaft begangenen Straftaten von der an sich erforderlichen Verhängung von Jugendstrafe abgesehen werden, wenn sie als zusätzliche erzieherische Maßnahme neben der Maßregelanordnung nicht erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2020 – 1 StR 490/19, juris Rn. 12 mwN; MüKo-StGB/Laue, 3. Aufl., § 5 JGG Rn. 22 ff.).
Rz. 10
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen sein wird, auf welcher Grundlage für den Angeklagten von einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,33 ‰ auszugehen ist.
Unterschriften
Franke, Appl, Zeng, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 13913612 |
NStZ-RR 2020, 338 |
RPsych 2020, 456 |