Leitsatz (amtlich)

a) Dass eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen eingerichtet oder verlängert wird, begründet für sich genommen noch nicht die Notwendigkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen (Abgrenzung zu BGH v. 29.6.2011 - XII ZB 19/11, FamRZ 2011, 1577).

b) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist in der Regel erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand eine Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an BGH v. 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648; v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648).

 

Normenkette

BGB § 1896 Abs. 1a; FamFG § 295 Abs. 1 S. 1, § 276 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Bad Kreuznach (Beschluss vom 26.11.2013; Aktenzeichen 1 T 197/13)

AG Idar-Oberstein (Beschluss vom 09.10.2013; Aktenzeichen 9 XVII 359/10)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach vom 26.11.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Für die heute 59-jährige Betroffene, die an einer leichten intellektuellen Beeinträchtigung vom Ausmaß einer Lernbehinderung leidet, wurde nach dem Tod ihres Ehemanns im November 2010 auf ihre Anregung eine rechtliche Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Organisation der Haushaltsführung und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise eingerichtet sowie ein Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge angeordnet. Eine 2012 von der Betroffenen beantragte Aufhebung der Betreuung lehnte das AG ab.

Rz. 2

Durch Beschluss vom 9.10.2013 hat das AG die Betreuung im gleichbleibenden Umfang mit Überprüfungsfrist zum 8.10.2020 verlängert. Die Beschwerde der Betroffenen ist vom LG zurückgewiesen worden. Mit der von ihr eingelegten Rechtsbeschwerde rügt sie vor allem, dass ihr kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, denn der angefochtene Beschluss beruht auf einem fehlerhaften Verfahren.

Rz. 4

1. Nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist, wenn sich das Verfahren auf eine Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten seiner Post erstreckt (§ 1896 Abs. 4 BGB) oder die Sterilisation des Betreuten zum Gegenstand hat (§ 1905 BGB). Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats aufgrund der Bedeutung des Verfahrensgegenstands die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel schon dann erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand eine Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (BGH v. 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rz. 11 f.; v. 28.9.2011 - XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rz. 9; v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648 Rz. 11). Abgesehen von den Regelfällen nach § 276 Abs. 1 Nr. 2 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Senats hängt die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab (BGH v. 13.11.2013 - XII ZB 339/13, FamRZ 2014, 192 Rz. 10; v. 11.12.2013 - XII ZB 280/11, FamRZ 2014, 378 Rz. 11).

Rz. 5

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begründet der Umstand, dass die Betreuung letztlich gegen den Willen des Betroffenen eingerichtet oder verlängert wird, weil dieser nicht in der Lage ist, einen der Betreuung entgegenstehenden freien Willen nach § 1896 Abs. 1a BGB zu bilden, für sich genommen noch nicht die Notwendigkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Senatsbeschluss vom 29.6.2011 (XII ZB 19/11, FamRZ 2011, 1577 Rz. 8 m.w.N.). Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs kommt es vielmehr darauf an, ob der Betroffene die Möglichkeit hat, seine Interessen gegenüber dem Betreuungsgericht geltend zu machen und seinen Willen kundzutun. Das wird noch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Betroffene - etwa wegen mangelnder Krankheitseinsicht - nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit der Betreuung zu erkennen. Ob in diesem Fall die Bestellung eines Verfahrenspflegers zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen notwendig ist, hängt vielmehr von den weiteren Umständen, insb. vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab (BGH v. 13.11.2013 - XII ZB 339/13, FamRZ 2014, 192 Rz. 10; v. 11.12.2013 - XII ZB 280/11, FamRZ 2014, 378 Rz. 11). Je weniger der Betroffene in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen, je eindeutiger erkennbar ist, dass die geplanten Betreuungsmaßnahmen gegen seinen natürlichen Willen erfolgen und je schwerer und nachhaltiger der beabsichtigte Eingriff in die Rechte des Betroffenen ist, umso eher ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich (vgl. BGH v. 11.12.2013 - XII ZB 280/11, FamRZ 2014, 378 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 6

2. Nach den genannten Grundsätzen war im vorliegenden Fall die Bestellung eines Verfahrenspflegers notwendig.

Rz. 7

Die verlängerte und vom Umfang her beibehaltene Betreuung bezieht sich auf die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Organisation der Haushaltsführung und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise sowie den Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge. Damit handelt es sich um eine umfassende Betreuung im Sinne der oben genannten Senatsrechtsprechung.

Rz. 8

Die Begründung dafür, dass von einer Verfahrenspflegerbestellung abgesehen worden ist, ist unzutreffend. Das AG hat in seinem Beschluss darauf abgestellt, dass aufgrund der durchgeführten Ermittlungen die Betreuungsbedürftigkeit für die angeordneten Wirkungskreise und die Geeignetheit des Betreuers offenkundig seien. Diese Gründe tragen ein Absehen von der Verfahrenspflegerbestellung nicht, weil es auf die Offenkundigkeit insoweit nicht ankommt und die Verfahrenspflegerbestellung gerade auch in diesem Fall das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisten soll. Dem Beschluss des LG mangelt es gänzlich an einer Begründung.

Rz. 9

3. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil sich nicht ausschließen lässt, dass nach Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers eine andere Entscheidung veranlasst ist. Ob das LG von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen durfte, bedarf keiner Entscheidung. Aufgrund der gebotenen Verfahrenspflegerbestellung und des weiteren Zeitablaufs wird das LG nach Zurückverweisung zu prüfen haben, ob es von einer eigenen Anhörung der Betroffenen absehen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7040136

NJW 2014, 6

EBE/BGH 2014

FamRZ 2014, 1446

NJW-RR 2014, 1153

BtPrax 2014, 232

JZ 2014, 557

JZ 2014, 562

MDR 2014, 1090

Rpfleger 2014, 590

FF 2014, 378

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