Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 18.10.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 18. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht – Schöffengericht – Wilhelmshaven zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat wegen des Mangels einer von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung Erfolg, so dass es auf die Rügen im Einzelnen nicht ankommt. Das Landgericht hat als sachlich unzuständiges Gericht entschieden.
Rz. 2
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in Anlehnung an eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121 ff.; bestätigt durch Urteil vom 22. April 1999 – 4 StR 19/99, BGHSt 45, 58, 62) in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„[…] Die Annahme der Strafkammer, sie sei infolge des Beschlusses des Schöffengerichts vom 7. September 2010 zuständig geworden, war rechtsfehlerhaft. Eine Verweisung der Sache durch das Schöffengericht konnte nach § 270 StPO nicht erfolgen, weil diese Bestimmung – auch nach vorangegangener Aussetzung – erst nach Beginn der Hauptverhandlung anwendbar ist (dazu BGH, Beschluss vom 26. September 1980 – StB 32/80, BGHSt 29, 341, 344 f.; Urteil vom 31. Januar 1996 – 2 StR 621/95, BGHSt 42, 39, 40; Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 122; Jäger in LR StPO 26. Aufl. § 225a Rdnr. 5; Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 225a Rdnr. 3; Deiters in SK StPO 4. Aufl. § 225a Rdnr. 2; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 225a Rdnr. 4, jeweils mwN). Nach der verfahrensrechtlichen Situation (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 506/91, BGHSt 38, 172, 174) handelte es sich vielmehr um einen Vorlegungsbeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO (zum umgekehrten Fall siehe OLG Hamm MDR 1993, 1002 f.). Einen die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung erst begründenden (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 123; Jäger in LR aaO Rdnr. 31; Meyer-Goßner aaO Rdnr. 17), ausdrücklichen Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO, der erst nach Einhaltung des in § 225a Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Verfahrens sowie nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33 Abs. 2 und 3 StPO) hätte ergehen können und der dem Angeklagten entsprechend § 215 StPO förmlich zuzustellen gewesen wäre, hat das Landgericht nicht erlassen. Die in der strafprozessualen Literatur (dazu etwa Jäger in LR aaO Rdnr. 19; dagegen Deiters in SK aaO Rdnr. 20) umstrittene Frage, ob ein Übernahmebeschluss im Sinne von § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO auch stillschweigend ergehen kann, obwohl dieser grundsätzlich ‚in zweifelsfreier Form erkennen lassen [muss], welches Gericht welchen Tatvorwurf mit welcher (vorläufigen) rechtlichen Würdigung abzuurteilen hat’ (BT-Drucks. 8/976, S. 49), bedarf hier keiner Entscheidung. Ein konkludenter Übernahmebeschluss – etwa durch die Anordnung der Haftfortdauer oder die Zurückweisung der ‚Zuständigkeitsrüge’ – scheidet schon deshalb aus, weil die Strafkammer sich, wie der Wortlaut ihres Beschlusses vom 30. September 2010 deutlich macht, an die Abgabeentscheidung des Schöffengerichts vom 7. September 2010 ‚gebunden’ glaubte. Ein stillschweigender Übernahmebeschluss kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Erklärende überhaupt das Bewusstsein hat, eine solche Entscheidung treffen zu können. Dies war vorliegend nicht der Fall. Das Landgericht ist vielmehr fehlerhaft davon ausgegangen, dass es nur eine eingeschränkte Willkürprüfung gemäß § 270 StPO vornehmen kann und sah sich daher, da es das Vorliegen von Willkür verneint hat, an die Verweisung des Amtsgerichts gebunden. Aus dem gleichen Grund kommt eine schlüssige Übernahme der Sache in der von der Strafkammer durchgeführten Hauptverhandlung von vornherein nicht in Betracht, zumal darin ausweislich der Sitzungsniederschrift auch der ‚Abgabebeschluss’ des Schöffengerichts vom 7. September 2010 nicht verlesen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1974 – 2 StR 69/74, BGHSt 25, 309, 312 und Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 123; Meyer-Goßner aaO § 243 Rdnr. 14). Der Feststellung der Unzuständigkeit des Landgerichts steht schließlich die Vorschrift des § 269 StPO nicht entgegen. Zwar liegt dieser Norm der Gedanke zugrunde, dass die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung den Angeklagten generell nicht benachteiligen kann (RGSt 62, 265, 271; Meyer-Goßner aaO § 269 Rdnr. 1); die Anwendbarkeit der Bestimmung setzt jedoch voraus, dass die Sache nicht mehr beim Gericht niederer Ordnung anhängig ist, sondern die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung prozessordnungsgemäß begründet wurde (BGH, Beschluss vom 24. April 1990 – 4 StR 159/90, BGHSt 37, 15, 20; Beschluss vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 506/91, BGHSt 38, 172, 176 und Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 124). Daran fehlte es hier, weshalb das Landgericht überhaupt nicht zur Sache verhandeln durfte.
[…] Die mangelnde sachliche Zuständigkeit führt – im Gegensatz zu anderen Prozesshindernissen – nicht zu einer Einstellung des Verfahrens, sondern gemäß § 355 StPO zu einer Verweisung der Sache an das zuständige Gericht. Das Landgericht hat sich im Sinne der Vorschrift ‚mit Unrecht für zuständig erachtet’, da es bei objektiver Betrachtung nicht zuständig war (dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 124; Kuckein in KK aaO § 355 Rdnr. 2 und Meyer-Goßner aaO § 355 Rdnr. 3, jeweils mwN); zuständig war das Amtsgericht – Schöffengericht – Wilhelmshaven. Dies entspricht auch dem jetzigen Verfahrensstand (BGH aaO), zumal bei neuer Verhandlung und Entscheidung eine höhere als die ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 358 Abs. 2 StPO, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 25, 28 GVG)”.
Rz. 3
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.
Unterschriften
Becker, von Lienen, Schäfer, Mayer, Menges
Fundstellen
Haufe-Index 2727710 |
NStZ 2012, 46 |