Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des Referenzzeitraums bei der Ermittlung des Börsenwerts von Aktien. Gerichtliche Bestimmung einer Barabfindung. Ermittlung einer angemessenen Abfindung. Börsenwert einer Aktie
Leitsatz (redaktionell)
1. Der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert einer Aktie ist grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme zu ermitteln.
2. Der Börsenwert einer Aktie ist nur dann entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochzurechnen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt (so schon BGH Urteil v. 19.07.2010 – II ZB 18/09 – BGHZ 186,229 Rz. 20ff.)
Normenkette
FGG § 28 Abs. 2 S. 1; AktG § 327b Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Sache wird an das OLG Frankfurt zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragsteller waren Aktionäre der Antragsgegnerin zu 1). Am 5.2.2003 gab die Antragsgegnerin zu 2), die Hauptaktionärin der Antragsgegnerin zu 1), ihre Absicht bekannt, die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf sich zu verlangen. Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 1) beschloss am 22.5.2003 die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Antragsgegnerin zu 2) gegen eine Barabfindung i.H.v. 31,79 EUR je Aktie. Der Beschluss wurde am 17.7.2003 in das Handelsregister eingetragen und am 22.7.2003 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Rz. 2
Die Antragsteller haben die gerichtliche Bestimmung der Barabfindung beantragt. Das LG hat die Barabfindung auf 33,30 EUR festgesetzt. Dagegen haben die Antragsteller zu 1) bis 11), 13), 14), 18), 26) bis 28) Beschwerde und die Antragsgegnerinnen Anschlussbeschwerde eingelegt. Das OLG hat mit Beschluss vom 30.3.2010 die Beschwerden, soweit sie sich gegen die Antragsgegnerin zu 1) richten, zurückgewiesen und die Anträge, soweit gegenüber der Antragsgegnerin zu 1) die Bestimmung der Barabfindung begehrt wird, auf ihre Anschlussbeschwerde zurückgewiesen. Im Übrigen hat es die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin zu 2) dem BGH zur Entscheidung vorgelegt, weil es von einer Entscheidung des BGH zur Bestimmung des Referenzzeitraums bei der Ermittlung des Börsenwertes von Aktien (BGH, Beschl. v. 12.3.2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 118) abweichen wollte.
II.
Rz. 3
Der BGH ist zur Entscheidung über die sofortigen Beschwerden und die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin zu 2) nicht mehr berufen. Die Voraussetzungen für die Vorlage an den BGH sind inzwischen weggefallen.
Rz. 4
1. Die Vorlagevoraussetzungen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG entfallen, wenn der BGH nach dem Vorlagebeschluss die streitige Frage im Sinn des vorlegenden OLG entscheidet. Die Wahrung der Rechtseinheit, der die Divergenzvorlage dient, erfordert nicht, dass der BGH die umstrittene Rechtsfrage nochmals entscheidet (BGH, Beschl. v. 7.4.1952 - IV ZB 23/52, BGHZ 5, 356, 358; Beschl. v. 1.6.1955 - V ZB 38/54, WM 1955, 1203, 1204; Beschl. v. 27.6.1985 - VII ZB 25/84, WM 1985, 1325, 1326; Beschl. v. 25.9.2003 - V ZB 40/03, NJW 2003, 3554, 3555).
Rz. 5
Die Zulässigkeit der Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG zu beurteilen, dessen entsprechende Anwendung in § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG in der Fassung des Gesetzes vom 12.6.2003 (BGBl. I, 838) angeordnet war. Nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG finden das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und das Spruchverfahrensgesetz in der bis zum 1.9.2009 geltenden Fassung weiter Anwendung, wenn das Verfahren in erster Instanz vor Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) am 1.9.2009 eingeleitet worden ist (BGH, Beschl. v. 19.7.2010 - II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 Rz. 5 - STOLLWERCK). Das Spruchverfahren wurde bereits 2003 eingeleitet.
Rz. 6
2. Die Rechtsfrage, die der Vorlage zugrunde lag, hat der Senat nach dem Vorlagebeschluss unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 12.3.2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 118) im Sinn des OLG entschieden (BGH, Beschl. v. 19.7.2010 - II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 Rz. 20 ff. - STOLLWERCK). Die Entscheidung betraf - ebenso wie die Vorlage - die Abfindung nach der Übertragung von Aktien auf den Hauptaktionär (§ 327b Abs. 1 Satz 1 AktG).
Rz. 7
Danach ist der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der Aktie grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme zu ermitteln. Er ist lediglich dann entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochzurechnen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht - was hier nicht der Fall ist - und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt.
Rz. 8
Auf die in den Stellungnahmen der Antragsteller aufgeworfene Frage, ob der Anteilswert durch eine Kapitalisierung der Ausgleichszahlungen aus dem zwischen den Antragsgegnerinnen abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zu ermitteln ist, hat das OLG die Vorlage ausdrücklich nicht erstreckt.
Fundstellen