Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 26.01.2023; Aktenzeichen 8 KLs 104 Js 125878/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Januar 2023 im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Unterschlagung, Betrugs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten, Computerbetrugs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten in zwei Fällen, Computerbetrugs in zwei Fällen, Computerbetrugs in 34 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug in 57 tateinheitlichen Fällen und mit Fälschung beweiserheblicher Daten, Computerbetrugs in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten sowie Betrugs in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 17. Dezember 2020 ( ) und nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13. Juli 2021 ( ) unter Einbeziehung der Einzelstrafen für die Taten vom 2. Dezember 2020 und vom 7. Dezember 2020 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen Betrugs in sechs Fällen hat es ihn außerdem unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13. Juli 2021 für die Taten vom 11. Januar 2021, 26. Januar 2021 und 22. Februar 2021 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er - ohne weitere Ausführungen - die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 3
2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat Rechtsfehler im Schuldspruch, in den Einzelstrafaussprüchen sowie in der Einziehungsentscheidung nicht ergeben.
Rz. 4
3. Hingegen hält der Gesamtstrafenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten mit dem - nicht erledigten - Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 17. Dezember 2020 eine Zäsurwirkung angenommen, die einer Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen für die zeitlich nachfolgenden Taten sowohl aus dem - ebenfalls nicht erledigten - Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13. Juli 2021 als auch aus dem angefochtenen Urteil (Fälle unter Ziffer II. 14. bis 18. der Urteilsgründe) entgegenstehe. Dies erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn der Senat kann anhand der schriftlichen Urteilsgründe nicht ausschließen, dass sich das Landgericht an der Bildung einer einheitlichen Gesamtstrafe zu Unrecht gehindert gesehen hat.
Rz. 5
Zäsurwirkung entfaltet gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Bei einem Strafbefehl ist für die Zäsurwirkung daher grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses maßgeblich. Dies gilt jedoch nicht, wenn nach einem Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ein Urteil nach Tatsachenverhandlung oder ein Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ergeht; dann ist auf den Tag einer solchen Entscheidung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 2020 - 3 StR 561/19, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Sachentscheidung 2 Rn. 7-12 und vom 3. Dezember 2019 - 1 StR 535/19, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 4 Rn. 13-18; je mwN). Der Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 17. Dezember 2020 ist erst am 20. Mai 2021 rechtskräftig geworden, was auf die Einlegung eines Rechtsmittels hindeutet. Dazu verhält sich das Urteil jedoch nicht. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, ob das Strafbefehlsverfahren durch eine anschließende Sachentscheidung beendet worden ist. Sollte eine solche nach dem 23. März 2021 (Zeitpunkt der letzten Tat unter Ziffer II. 18. der Urteilsgründe) tatsächlich ergangen sein, wäre eine einheitliche Gesamtstrafe zu bilden gewesen. Obschon das Landgericht das mit der Bildung zweier gesonderter Gesamtfreiheitsstrafen verbundene Gesamtstrafübel ausdrücklich bedacht hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch beschwert ist. Die Sache bedarf deshalb im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung neuer Verhandlung und Entscheidung; hierzu hebt der Senat vorsorglich die zugehörigen Feststellungen auf (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2023 - 1 StR 139/23 und vom 9. Januar 2023 - 1 StR 381/22 Rn. 5 f.).
Rz. 6
Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§§ 55, 53 StGB), durch die ein Angeklagter nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden soll, wird das Tatgericht in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verhandlung - hier also dem 26. Januar 2023 - zu beurteilen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - 4 StR 437/15 Rn. 5; Beschlüsse vom 16. März 2021 - 2 StR 37/21 Rn. 4; vom 25. Oktober 2017 - 1 StR 136/17, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 3 Rn. 3 und vom 5. Juli 2011 - 3 StR 188/11 Rn. 5). Eine Erledigung der Geldstrafe nach Verkündung des ersten Urteils stünde ihrer Einbeziehung daher nicht entgegen, obwohl der dadurch bedingte Wegfall der Zäsurwirkung dem Angeklagten an sich günstig wäre (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - 4 StR 437/15 Rn. 5 f.).
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Fundstellen
Haufe-Index 15798105 |
NStZ-RR 2023, 305 |