Verfahrensgang
LG Zweibrücken (Urteil vom 30.09.2019; Aktenzeichen 4144 Js 10611/18 2 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 30. September 2019 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, Vergewaltigung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in zwei Fällen und Besitzes kinderpornografischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine hiergegen eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen zeigte der Angeklagte im Juli 2004 der zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alten Nebenklägerin C. L. und deren zwei Jahre alten Bruder seinen entblößten Penis. Im Sommer 2004 veranlasste er die Nebenklägerin dazu, an seinem entblößten Penis zu manipulieren und diesen in den Mund zu nehmen. Bei zwei weiteren Gelegenheiten im selben Zeitraum rieb er seinen entblößten Penis zwischen den Gesäßbacken der Nebenklägerin und leckte sie im Genital- und Analbereich. Im Sommer/Herbst 2007 entkleidete der Angeklagte die Nebenklägerin und führte seinen erigierten Penis auf eine für sie schmerzhafte Weise zumindest in ihren Scheidenvorhof ein. Im Herbst 2007 packte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alte Nebenklägerin S. L., entkleidete sie und warf sie mit erheblicher Kraftentfaltung auf ihr Bett. Sodann vollzog er mit der sich aus Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten nicht zur Wehr setzenden Nebenklägerin – wie von vornherein beabsichtigt – den vaginalen Geschlechtsverkehr. In den Jahren 2016 oder 2017 filmte der Angeklagte bei zwei Gelegenheiten die Nebenklägerin C. L. sowie weitere Personen mit einer installierten Kamera beim Toilettengang. Schließlich war der Angeklagte am 26. Oktober 2018 und am 25. April 2019 jeweils in Besitz von kinderpornografischen Bildaufnahmen und Videosequenzen.
Rz. 3
2. Der Strafausspruch weist auch unter Berücksichtigung der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann dagegen nicht bestehen bleiben, weil die Begründung für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 2 StGB i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB lückenhaft ist.
Rz. 4
a) Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Hangtäter ist auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen. Dabei hat es alle für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und der Anlasstaten maßgeblichen Umstände festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – 4 StR 578/18, NStZ 2020, 346, 347 mwN). Gesichtspunkte die sowohl hangbegründende, als auch hangkritische Deutungsmöglichkeiten zulassen, müssen dabei unter beiden Aspekten in den Blick genommen werden (vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 31. März 1993 – 2 StR 6/93, StV 1993, 509).
Rz. 5
b) Die sachverständig beratene Strafkammer hat – gerade auch mit Blick auf die (strikte) Verhältnismäßigkeitsprüfung – angenommen, dass der Angeklagte einen Hang zur Begehung von schweren Straftaten, nämlich von sexuellem Missbrauch von Kindern und von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern habe. Bei ihm liege eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Paraphilie (ICD 10: F 65.4) vor. Zwar sei seit den letzten Taten des Angeklagten im Jahr 2007, bei denen es zu körperlichen Berührungen mit den Tatopfern gekommen sei, sehr viel Zeit verstrichen, doch komme diesem Umstand keine durchgreifende Bedeutung zu, denn an seiner diesen Taten zugrunde liegenden Persönlichkeitsdisposition habe sich seitdem nichts verändert. Denn das bei ihm aufgefundene äußerst umfangreiche kinderpornografische Material lasse den Schluss zu, dass er sexuell auch weiterhin an weiblichen Kindern interessiert sei (UA 159).
Rz. 6
Diese Erwägungen greifen zu kurz, weil sie den Besitz von kinderpornografischen Schriften in jüngerer Zeit nur unter dem Gesichtspunkt einer Manifestation des fortdauernden Interesses des Angeklagten an weiblichen Kindern in den Blick nehmen und nicht – wie es bei einer erschöpfenden Erörterung ambivalenter Indizien geboten gewesen wäre – in eine Beziehung zu der früheren Delinquenz des Angeklagten setzen, bei der es zu erheblichen Sexualstraftaten mit Körperberührung und Gewaltanwendung kam. Die Strafkammer hätte sich deshalb auch mit der Frage befassen müssen, ob in dem Zeitablauf und dem Übergang von körperbezogenen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern zu einem Umgang mit kinderpornografischem Bildmaterial eine Veränderung in der Disposition des Angeklagten zu sehen ist, die die Annahme des Fortbestands eines Hanges zu einem sexuellen Missbrauch von Kindern in Frage stellt.
Rz. 7
3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Sost-Scheible, Bender, Quentin, Bartel, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 14255101 |
NStZ-RR 2021, 43 |