Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 04.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 4. April 2018 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in fünf Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in acht Fällen” zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 3
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 4
3. Der gesamte Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung bei allen Taten zu Lasten des Angeklagten „auch bedacht, dass der Geschädigte [L. Z.] zwar nach der Therapie von seiner Mutter als fröhliches Kind bezeichnet wurde, aber dass dadurch keinesfalls eine vollständige Heilung eingetreten ist. Vielmehr kann die schwere Verletzung seiner Integrität auch Jahre später und immer wieder sein Leben beeinflussen und ihn belasten. Gleiches gilt auch für die beiden Schwestern, die Geschädigten M. und S. Z..” Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten unzulässigerweise (§ 46 Abs. 3 StGB) den Strafzweck des § 176 StGB, der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 1998 – 4 StR 300/98, StV 1998, 656; vom 13. Juni 2000 – 4 StR 179/00, StV 2002, 74, 75; vom 20. August 2003 – 2 StR 285/03, NStZ-RR 2004, 41; vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 379/13), strafschärfend angelastet hat. Im Übrigen lassen diese Ausführungen auch besorgen, dass die Strafkammer verkannt hat, dass der Zweifelssatz uneingeschränkt auch für die Strafzumessung gilt (vgl. BGH, Urteile vom 28. Juli 1983 – 4 StR 310/83, StV 1983, 456; vom 15. Mai 1985 – 2 StR 149/85, StV 1986, 5). Kann das Gericht keine sicheren Feststellungen über Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 1997 – 4 StR 601/96, NStZ 1997, 336, 337; vom 7. Juli 1998 und vom 20. August 2003, jeweils aaO).
Rz. 6
b) Soweit der Generalbundesanwalt meint, hierauf beruhe der Strafausspruch nicht, jedenfalls seien die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn der Strafausspruch leidet an einem weiteren durchgreifenden Rechtsfehler: Das Landgericht hat im Rahmen seiner straferschwerenden Erwägungen weiter darauf abgestellt, dass der Angeklagte im Ermittlungsverfahren zunächst behauptet habe, die Geschädigten hätten seinen Misshandlungen durch ihr Verhalten zugestimmt. Wörtlich fährt es sodann fort: „Aufgrund dessen wurde ein aussagepsychologisches Gutachten zu allen Geschädigten eingeholt. Hierdurch mussten sich alle drei Kinder noch einmal intensivst mit den Taten auseinandersetzen.” Auch diese Strafzumessungserwägung ist rechtsfehlerhaft. Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung der Geschädigten war nur deshalb erforderlich, weil der Angeklagte die Taten abgeschwächt hat, wozu er hier befugt war. Ein zulässiges Prozessverhalten des Angeklagten darf aber nicht zu seinen Lasten bewertet werden, da hierin eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge (BGH, Beschlüsse vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, NStZ 1996, 80; vom 22. Mai 2013 – 4 StR 151/13, StraFo 2013, 340; vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 282/13; vom 8. Januar 2014 – 3 StR 272/13; vom 4. Februar 2014 – 3 StR 332/13).
Rz. 7
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe von den aufgezeigten Rechtsfehlern beeinflusst sind. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird darauf hingewiesen, dass auch die strafschärfende Berücksichtigung der „Steigerung der Intensität seiner Übergriffe” angesichts des festgestellten Tatbildes – jedenfalls in dieser Pauschalität – Bedenken begegnet.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Franke, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 12066938 |
NStZ-RR 2018, 333 |
NStZ-RR 2019, 37 |
NStZ-RR 2019, 39 |
NStZ-RR 2020, 2 |