Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperverletzung
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 27.01.2010) |
Tenor
1. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 27. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, soweit sie zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt ist.
2. Soweit das Rechtsmittel zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), wird das vorbezeichnete Urteil
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig ist,
- im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht – Strafrichter – Aschersleben zurückverwiesen.
4. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Nebenklägerin erstrebt mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung.
Rz. 2
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Das Urteil ist jedoch in entsprechender Anwendung des § 301 StPO zu Gunsten des Angeklagten im Schuldspruch abzuändern und im Strafausspruch aufzuheben, weil es einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, der auf die Revision der Nebenklägerin zu beachten ist, obwohl das Rechtsmittel nur zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 1995 – 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130 und vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206).
Rz. 3
1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen fasste der Angeklagte der Nebenklägerin im Verlauf einer Rangelei mit einer Hand an ihre linke Halsseite und drückte während einer kurzen Zeit mit zwei Fingern mit einiger Kraft dagegen. Damit wollte er erreichen, dass sie aufhörte, ihn zu kratzen, und sie dafür bestrafen, dass sie sich über ihn lustig gemacht und ihn beleidigt hatte; töten wollte er sie nicht. Die Nebenklägerin erlitt zwei dicht beieinander befindliche Hämatome an der linken Halsseite. Die rechtsmedizinische Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass es sich nicht um „klassische” Würgemale handele, vielmehr seien die Hämatome durch einfachen Druck gegen den Hals mit einer Hand verursacht worden. Der ausgeübte Druck sei zu gering gewesen, um eine Halsschlagader zu verschließen oder eine Unterbrechung der Luftzufuhr zu bewirken. Zwar könne auch eine Kompression der Halsweichteile, selbst wenn sie nicht zu einem Verschluss der Halsgefäße geführt habe, potenziell lebensgefährlich sein; dies erfordere aber eine längere Einwirkung auf bestimmte, im Hals verlaufende Nervenbahnen [UA 16, 23]. Diesen Ausführungen hat sich das Landgericht angeschlossen.
Rz. 4
2. Diese Feststellungen tragen die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB), nicht jedoch die einer gefährlichen Körperverletzung in der Tatbestandsvariante der lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
Rz. 5
Zwar kann festes Würgen am Hals geeignet sein, eine Lebensgefährdung herbeizuführen; es reicht hierfür jedoch nicht jeder Griff an den Hals aus, der zu würgemalähnlichen Druckmerkmalen oder Hämatomen führt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 4 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 44 m.w.N.). Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die zwar nicht dazu führen muss, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rn. 12, 12c). Die vom Landgericht zu Intensität und Dauer der Einwirkung auf den Halsbereich der Nebenklägerin getroffenen Feststellungen belegen eine solche Eignung nicht: Danach war die Einwirkung zu schwach, um eine Unterbrechung der Blutzirkulation oder der Luftzufuhr zu bewirken, und zu kurz, um wichtige Nervenbahnen so zu schädigen, dass dadurch ein Herzstillstand eintreten konnte.
Rz. 6
3. Der Senat stellt den Schuldspruch auf vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) um. Die Voraussetzung des § 230 Abs. 1 StGB liegt vor, da der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 7
4. Die Änderung des Schuldspruchs zieht angesichts des gegenüber § 224 StGB milderen Strafrahmens des § 223 StGB die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung durch den Senat kam dagegen nicht in Betracht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96 f.; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 406a Rn. 8 m.w.N.).
Rz. 8
5. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht – Strafrichter – Aschersleben zurück, da dessen Strafgewalt hier ausreicht.
Unterschriften
Ernemann, Solin-Stojanović, Cierniak, Franke, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 2463111 |
NStZ 2011, 90 |
NStZ-RR 2011, 34 |