Verfahrensgang
LG Marburg (Urteil vom 08.03.2021; Aktenzeichen 3 KLs 1 Js 7071/16) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 8. März 2021,
- soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Besitzverschaffen einer kinderpornographischen Schrift, der Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in vier Fällen sowie der Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in zwei Fällen schuldig ist,
unter Erstreckung auf die Mitangeklagte W. aufgehoben
aa) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe
bb) sowie im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Herstellung einer kinderpornographischen Schrift und in drei Fällen in Tateinheit mit dem Unternehmen des Sichverschaffens einer kinderpornographischen Schrift sowie wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in zwei weiteren Fällen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und angeordnet, dass hiervon drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.
Rz. 2
Es hat die nichtrevidierende Mitangeklagte W. wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in sechs Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern sowie wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, angeordnet, dass drei Monate hiervon wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen.
Rz. 3
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat, teilweise unter Erstreckung auf die Mitangeklagte W., den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 4
1. Die Revision des Angeklagten führt in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe zur Abänderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über diese Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe. Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Rz. 5
a) Die Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs in den Fällen II. 1 sowie II. 8 bis II. 10 der Urteilsgründe sowie der angeordneten Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 6
b) Hingegen begegnet der Schuldspruch in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen tragen weder eine mittäterschaftliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB noch die Verurteilung wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (jeweils in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung). Sie belegen indes eine Verurteilung wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 176 Abs. 4 Nr. 2, § 184b Abs. 1 Nr. 3, § 52 StGB aF, § 26 StGB) in vier Fällen bzw. der Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, § 26 StGB) in zwei Fällen. Der Ausspruch zu diesen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe hat keinen Bestand.
Rz. 7
aa) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen führten der Angeklagte und W. spätestens ab Frühjahr 2015 eine sadomasochistische Beziehung, wobei der Angeklagte der dominante Partner und W. die devote „Sub” war. Auf Anweisung des Angeklagten fertigte W. pornographische Fotos und Videos von sich und übersandte sie dem Angeklagten zu dessen sexueller Befriedigung. In der Folge forderte der Angeklagte aus derselben Motivation, dass W. von ihrer nur leicht bekleideten bzw. nackten, damals 12-jährigen Tochter, der Nebenklägerin, Fotos machen sollte, was diese in der Folge mindestens einmal – insoweit nicht verfahrensgegenständlich – tat. Der Angeklagte war der Initiator und die treibende Kraft, der immer wieder von W. forderte, ihm Nacktbilder und Videos der Nebenklägerin zu übersenden.
Rz. 8
Zwischen dem 18. Mai 2015 und dem 3. Juni 2015 fertigte W. zu sechs unterschiedlichen Zeitpunkten nach Aufforderung und Vorgaben des Angeklagten kinderpornographische Fotos bzw. Videos von der unbekleideten Nebenklägerin, die sie jeweils im Anschluss dem Angeklagten übersandte. Das Landgericht hat die Handlungen des Angeklagten als mittäterschaftlichen sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF in Tateinheit mit Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in vier Fällen (Taten II. 2 bis II. 4 und II. 7 der Urteilsgründe) sowie, soweit es keine posierende Haltung der Nebenklägerin feststellen konnte, als Herstellung einer kinderpornographischen Schrift gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (Taten II. 5 und II. 6 der Urteilsgründe) gewertet. Die Einzelstrafen hat es in diesen sechs Fällen jeweils dem § 184b Abs. 1 StGB aF entnommen. Dessen Strafrahmen hat es von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beschrieben.
Rz. 9
bb) Diese Feststellungen tragen die mittäterschaftliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF bzw. wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht.
Rz. 10
(1) Eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF setzt voraus, dass der Täter ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt. Einen der Norm genügenden Bestimmungsakt des Angeklagten hat das Landgericht indes nicht festgestellt.
Rz. 11
(a) Bestimmen ist das Verursachen eines vom Gesetz beschriebenen Verhaltens gleich mit welchen Mitteln (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 – 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 245 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. November 2017 – 4 StR 401/17, NStZ 2018, 460; Senat, Beschluss vom 4. März 2020 – 2 StR 501/19, NStZ 2020, 408, 409). Dies setzt eine unmittelbare, nicht notwendige eigenhändige, Einwirkung auf das Kind voraus, die zumindest mitursächlich dafür ist, dass dieses die sexuelle Handlung vornimmt (vgl. BeckOK-StGB/Ziegler, 50. Edition, § 176 Rn. 17; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176 Rn. 33; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 176 Rn. 10; NK-StGB/Frommel, 5. Aufl., § 176 Rn. 15; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 176 Rn. 7). Der Strafvorwurf wird durch den Bestimmungsakt als tatsächliche Verursachung der sexuellen Handlung des Kindes begründet (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 – 1 StR 236/95, aaO).
Rz. 12
(b) Hieran gemessen fehlt es an einer Bestimmung des Kindes durch den Angeklagten. Vielmehr oblag es allein W., die Nebenklägerin zur Vornahme der sexuellen Handlung zu veranlassen, ohne dass es zu einem kommunikativen oder physischen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin kam. Zwar hatte der Angeklagte ein maßgebliches Tatinteresse und seinerseits W. bestimmt, die Nebenklägerin zu veranlassen, nackt vor deren Handykamera zu posieren bzw. zu stehen. Damit hat aber nicht er, sondern W. die Nebenklägerin im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF bestimmt. Eine Täterschaft des Angeklagten in Form der Kettenanstiftung ist bei einem, wie hier, voll deliktisch handelnden Kommunikationsmittler nicht möglich, da es an der unmittelbaren Einwirkung auf die Nebenklägerin gefehlt hat (vgl. NK-StGB/ Frommel, aaO; SK-StGB/Wolters, aaO; ähnlich Fischer, aaO; vgl. auch Schönke/ Schröder/Eisele, 30. Aufl., § 176 Rn. 8; aA LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 16).
Rz. 13
(2) Die Feststellungen belegen auch keine mittäterschaftliche Herstellung kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben.
Rz. 14
(a) Beim Herstellen kinderpornographischer Schriften ist jeder, der an deren Herstellung mitwirkt, als eigenständig handelnde Person Täter. Jedoch sind auch Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft rechtlich möglich (vgl. Matt/ Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184 Rn. 52). Für die Abgrenzung gelten die allgemeinen Regeln. Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) setzt dabei einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Der eigene Tatbeitrag muss sich dabei so in die Tat einfügen, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 2 StR 220/17, NStZ 2018, 144, 145 mwN).
Rz. 15
(b) Hieran fehlt es. Der Angeklagte und W. haben bereits keinen gemeinsamen Tatentschluss zur Herstellung kinderpornographischer Schriften gefasst. Ein Tatplan, der eine Rolle des Angeklagten bei der Herstellung kinderpornographischer Schriften vorsah, war nicht verabredet. Vielmehr oblag es W., zunächst die Bereitschaft der Nebenklägerin zu wecken, anschließend den Zeitpunkt für die Aufnahme festzulegen und diese eigenständig herzustellen. Letzteres erfolgte zwar auf Wunsch und nach Vorgaben des Angeklagten. Er war indes weder beim Herstellungsprozess vor Ort anwesend, noch sonst in diesen involviert. Sein Tatbeitrag beschränkte sich darauf, den Tatentschluss bei W. herbeizuführen. Hierdurch wird kein mittäterschaftliches Handeln, sondern eine Anstiftungshandlung belegt.
Rz. 16
(3) Das Verhalten des Angeklagten stellt sich damit in den Fällen II. 2 bis II. 4 und II. 7 der Urteilsgründe als Anstiftung der W. zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 176 Abs. 4 Nr. 2, § 184b Abs. 1 Nr. 3, § 52 StGB aF, § 26 StGB) bzw. in den Fällen II. 5 und II. 6 der Urteilsgründe als Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, § 26 StGB), dar. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der in diesen Fällen geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 17
cc) Der Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe sowie der Gesamtfreiheitsstrafe unterfallen der Aufhebung.
Rz. 18
(1) Das Landgericht hat die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe dem Strafrahmen des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF entnommen und diesen mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beschrieben, während das Gesetz lediglich einen solchen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht unter Beachtung des zutreffenden Strafrahmens zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre.
Rz. 19
(2) Der Wegfall von sechs Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
Rz. 20
2. Die Aufhebung des Ausspruchs zu den Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe sowie der Gesamtfreiheitsstrafe war auf die nicht revidierende Mitangeklagte W. zu erstrecken. Das Landgericht hat auch bei ihr die Einzelstrafen in diesen Fällen dem Strafrahmen des § 184b Abs. 1 StGB aF entnommen und diesen rechtsfehlerhaft mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bezeichnet (vgl. zur Identität von Rechtsfehlern auf der Rechtsfolgenseite LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 357 Rn. 22 mwN). Der Senat kann auch bei ihr nicht ausschließen, dass das Landgericht unter Anwendung des gesetzlich vorgesehenen Strafrahmens zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre. Der Wegfall der Einzelstrafen in sechs Fällen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe auch hier die Grundlage.
Rz. 21
3. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen (vgl. KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 353 Rn. 23). Ergänzende Feststellungen, die den bestehenden nicht widersprechen dürfen, sind möglich. Unberührt von der Entscheidung des Senats bleibt der Ausspruch des Landgerichts zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2017 – 2 StR 573/16, juris Rn. 7 mwN).
Unterschriften
Franke, Krehl, RiBGH Zeng ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Franke, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14965523 |
StV 2022, 231 |