Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. Juni 1999
- im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte in den Fällen II. 216 bis 218 der Urteilsgründe des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von solchen schuldig ist,
- mit den Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zu den vom Angeklagten getätigten Verkaufsgeschäften aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 215 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist,
- im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 215 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen 215 selbständiger Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fälle II. 1 bis 215 der Urteilsgründe) hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der Taten untereinander nicht zutreffend beurteilt hat.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in diesen Fällen im Zeitraum von Ende 1993 bis Juni 1998 jeweils Opium in Einzelmengen zwischen – mit Ausnahme von Fall II. 215, der ein Rauschgiftgeschäft über „eine Stange Opium (= 18 Gramm)” betraf (UA 6) – 2 und 5 g an Konsumenten gewinnbringend veräußert. Soweit sich der Beschwerdeführer für seine Einwendungen, mit denen er sich gegen die festgestellte Anzahl der Verkaufshandlungen wendet, auf den Akteninhalt stützt und dazu die Auffassung vertritt, „aufgrund der Sachrüge (sei) der Blick in die Akten eröffnet”, verkennt er, daß dem Revisionsgericht für die Überprüfung auf Grund der Sachrüge grundsätzlich nur die Gründe des schriftlichen Urteils zur Verfügung stehen (st. Rspr.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 337 Rdn. 22, 23 m.N.). Diese ergeben – wie der Generalbundesanwalt näher ausgeführt hat – den von der Revision geltend gemachten Darstellungs- und Erörterungsmangel nicht.
b) Doch kann das Urteil insoweit nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht seine Annahme, diese Taten stünden „tatmehrheitlich zueinander (§ 53 StGB)” (UA 17), ersichtlich allein auf die Verkaufsakte abgestellt, dabei aber nicht die in der Rechtsprechung zur Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln entwickelten Grundsätze (BGHSt 30, 28, 31) beachtet hat.
Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zur Bewertungseinheit, und damit zu rechtlich einer Tat, zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, daß sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Doch ist es rechtsfehlerhaft, allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß an sich selbständige Rauschgiftgeschäfte dieselbe Rauschgiftmenge betreffen (BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4, 5, 11, 13; BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 1997 - 4 StR 194/97 - und vom 1. Dezember 1998 - 4 StR 547/98). So liegt es hier; denn das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte „meist eine größere Menge kaufte, von der er sich einen Vorrat in seiner Wohnung anlegte” (UA 4; ebenso UA 11). Einen Teil dieses Opiums verkaufte er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und der Beschaffung weiteren Rauschgifts gewinnbringend an andere Konsumenten. Dafür, daß der in Essen wohnende Angeklagte jeweils größere Mengen kaufte, spricht auch der Umstand, daß er das Opium – ersichtlich bis Juni 1998 – von seinem „Hauptdealer” aus Hamburg bezog (UA 7). Schließlich deuten hierauf auch die Fälle II. 216 bis 218 hin, in denen der Angeklagte jeweils ein Kilogramm Opium erwarb bzw. erwerben wollte. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht Feststellungen darüber treffen müssen, in wieviel Fällen der Angeklagte im Tatzeitraum welche Mengen erworben hat, aus denen die Verkaufsmengen stammen. Da es daran fehlt, ist das Urteil in den Fällen II. 1 bis 215 aufzuheben.
c) Eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat kommt insoweit nicht in Betracht; denn die getroffenen Feststellungen lassen einen verläßlichen Schluß auf die Anzahl und den Umfang der Erwerbsakte nicht zu. Zudem bedarf es sowohl wegen der bei der Prüfung des anzuwendenden Straftatbestandes zu beachtenden Grenze der „nicht geringen Menge” (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) als auch im Hinblick auf die Bestimmung des Schuldumfangs der Feststellung darüber, welcher Anteil der jeweils erworbenen Opiummengen zum Eigenkonsum und welcher zur Weiterveräußerung bestimmt war (BGH StV 1996, 214 f; zu den in Betracht kommenden Konkurrenzen vgl. BGH, Beschluß vom 12. Oktober 1999 - 4 StR 391/99; Weber BtMG § 29 a Rdn. 143 ff). Diese Feststellungen kann nur der neue Tatrichter treffen. Dabei steht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht entgegen, wenn die neuen Feststellungen ergeben, daß die Erwerbsmengen die Grenze der nicht geringen Menge erreicht oder überschritten haben. Das Verschlechterungsverbot ist lediglich bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafen zu beachten (vgl. dazu BGH StV 1997, 465 f. m.N.).
d) Von dem aufgezeigten Rechtsfehler werden die Feststellungen zu den vom Angeklagten getätigten Betäubungsmittelverkäufen nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Dies schließt ergänzende Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht in den Fällen II. 216 bis 218 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat. Jedoch bedarf der Schuldspruch insoweit der Änderung dahin, daß der Angeklagte jeweils tateinheitlich des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist.
a) Das Landgericht hat bei der rechtlichen Würdigung außer Acht gelassen, daß nach den Feststellungen der Angeklagte von den Erwerbsmengen von jeweils einem Kilogramm Opium in den Fällen II. 216 und 217 bzw. von 800 g im Fall II. 218 auch seinen Eigenkonsum bestritten hat. Zwar kann der Senat den Urteilsgründen angesichts des festgestellten Verbrauchs von „etwa 8 Gramm pro Tag” (UA 4; „8 - 10 Gramm” UA 15) und der etwa in Monatsabständen erfolgten Erwerbsgeschäfte entnehmen, daß die verbleibenden, zur gewinnbringenden Weiterveräußerung zur Verfügung stehenden Mengen die Grenze der nicht geringen Menge (BGHSt 35, 179) jeweils bei weitem überschritten haben. Doch ist der geringere Schuldgehalt des Erwerbs zum Eigenkonsum (BGH StV 1991, 105), der hier durch den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes nach § 29 a Abs.1 Nr. 2 BtMG verdrängt wird (BGH NStZ 1994, 548), auch im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen (Weber aaO Rdn. 143 m.N.).
Der Senat kann die Schuldspruchänderung selbst vornehmen, weil bei der hier gegebenen Sachlage die Verurteilung auch wegen (tateinheitlichen) Besitzes in nicht geringer Menge zu Gunsten des Angeklagten wirkt.
3. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen II. 1 bis 215 hat den Wegfall der betreffenden Einzelstrafen zur Folge. Der Senat hebt die Einzelstrafen auch in den von der Schuldspruchänderung betroffenen Fällen II. 216 bis 218 auf, weil nicht auszuschließen ist, daß das Landgericht der Strafbemessung insoweit einen zu großen Schuldumfang zugrundegelegt und nicht ausreichend bedacht hat, daß der Erwerb bzw. Besitz zum Eigenverbrauch eher zu einer milderen Beurteilung Anlaß gibt (BGH StV 1998, 599 f.; BGH, Beschluß vom 11. Februar 1999 - 4 StR 711/98). Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Im Hinblick auf die Ausführungen der Revision weist der Senat für das weitere Verfahren vorsorglich darauf hin, daß die Auffassung des Landgerichts, das – sachverständig beraten – die Voraussetzungen des § 21 StGB bei dem Angeklagten trotz „seines regelmäßigen Opiumkonsums” (UA 5) verneint hat, keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Zweifel an der Auffassung der Strafkammer ergeben sich umso weniger, als der Angeklagte nach den Feststellungen bereits „seit seiner Kindheit Kontakt mit Opium” hat (UA 4) und den Handel mit dem Rauschgift über einen Zeitraum von mehreren Jahren regelmäßig betrieben hat (vgl. BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 8).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen