Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 21.10.2010) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 21. Oktober 2010 in den jeweiligen Rechtsfolgenaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten Ö. wegen schweren Raubes und falscher Verdächtigung zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen den Angeklagten K. hat es wegen schweren Raubes und vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Krefeld vom 18. November 2009 die Jugendstrafe von drei Jahren festgesetzt. Die Angeklagten wenden sich hiergegen mit ihren auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Der jeweilige Ausspruch über die Rechtsfolgen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei beiden Angeklagten die Prüfung der Anordnung ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Drogenkonsum der Angeklagten und seinen Auswirkungen aufdrängte. Dies führt hier auch zur Aufhebung der gegen die Angeklagten festgesetzten Jugendstrafen.
Rz. 3
1. Das Landgericht hat zum Verhältnis der Angeklagten zu illegalen Drogen Folgendes festgestellt:
Rz. 4
a) Der Angeklagte Ö. hatte bereits vor mehreren Jahren erstmals Erfahrungen mit Betäubungsmitteln. Zu Beginn des Jahres 2010 rauchte er zwei bis drei Joints (Marihuana) am Tag. Auch vor dem am Abend des 22. Januar 2010 begangenen schweren Raub konsumierte er im Tagesverlauf Cannabis. Die gewährte Strafaussetzung der verhängten Jugendstrafe zur Bewährung hat das Landgericht unter anderem damit begründet, Voraussetzung für eine erfolgreiche Erprobung sei, dass der Angeklagte es künftig unterlasse, Betäubungsmittel zu konsumieren; denn anderenfalls drohten erneut Fehlhandlungen als Folge der Haltschwäche, die auch die hier abgeurteilte Raubtat nach sich gezogen habe. Der Angeklagte werde daher angewiesen, unverzüglich Kontakt zu einer Drogenberatungsstelle aufzunehmen und vier Drogenscreenings pro Jahr durchführen zu lassen.
Rz. 5
b) Der Angeklagte K. konsumierte seit etwa 2005 gelegentlich Marihuana. Das Jugendschöffengericht Krefeld ordnete in seinem Urteil vom 18. November 2009, durch das der Angeklagte wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Sachbeschädigung – unter Einbeziehung einer vorangegangenen Verurteilung zu Jugendstrafe – zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, an, dass der Angeklagte mit Blick auf den selbst eingeräumten Drogenkonsum ein monatliches Drogenscreening vorzulegen habe. Bereits zum Jahreswechsel 2009/2010 konsumierte er indes erneut Cannabis. Wegen der hierauf ergangenen, zunächst zurückgestellten Entscheidung des Jugendschöffengerichts, die verhängte zweijährige Jugendstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, rauchte der Angeklagte fortan täglich Cannabis und begann damit, gelegentlich Heroin „vom Blech” zu konsumieren.
Rz. 6
Sowohl bei der ursprünglich beabsichtigten Tat, einen Drogenhändler in seiner Wohnung zu überfallen, als auch bei dem schließlich ausgeführten und hier abgeurteilten Straßenraub sollten nach der Planung und Vorstellung der Angeklagten neben Bargeld auch Betäubungsmittel erbeutet werden.
Rz. 7
2. Diese Sachlage legt es nahe, dass bei den Angeklagten der Hang gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und dass zumindest die der Verurteilung zu Grunde liegende Raubtat auf diesen Hang zurückgeht. Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Den Gründen des angefochtenen Urteils ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind. Vielmehr ergeben die bisherigen Feststellungen, dass das Landgericht von der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Angeklagten Ö. überzeugt war, falls er seinen Betäubungsmittelkonsum fortführt. Die Bejahung einer hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (§ 64 Satz 2 StGB) scheitert bei dem Angeklagten K. jedenfalls nicht ohne weiteres daran, dass er kurz nach seiner Verurteilung durch das Jugendschöffengericht Krefeld im November 2009 entgegen der erteilten Bewährungsweisung wiederum Betäubungsmittel konsumierte.
Rz. 8
Der Umstand, dass die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Angeklagten nicht beschwert, hindert das Revisionsgericht nicht, auf eine zulässig erhobene – und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362) – Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen dazu gedrängt haben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 – 3 StR 458/08, BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Die Nachholung der Unterbringungsanordnung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil allein die Angeklagten Revision eingelegt haben (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Rz. 9
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt hier den jeweiligen Strafausspruch nicht unberührt. Der Senat kann unter den gegebenen Umständen nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, gegen die Angeklagten Jugendstrafen zu verhängen. Der neue Tatrichter wird daher über den gesamten Rechtsfolgenausspruch nochmals zu befinden haben. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO).
Rz. 10
Der neue Tatrichter wird bei erneuter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Krefeld vom 18. November 2009 gegen den Angeklagten K. zu beachten haben, dass in der Formel auch das bereits in jenes Urteil einbezogene Urteil des Jugendschöffengerichts Krefeld vom 1. August 2008 aufzuführen sein wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 434/02).
Unterschriften
Becker, Pfister, Hubert, Schäfer, RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
Fundstellen