Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrag über Vollstreckbarerklärung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zwischen Deutschand und Israel. Prüfugnsrecht des Anerkennungsgerichts
Leitsatz (amtlich)
Dem Anerkennungsgericht obliegt die Prüfung bei der Anerkennung israelischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaats in Anspruch genommene Zuständigkeit im Vertragskatalog enthalten ist.
Normenkette
Deutsch-israelischer Vollstr.Vertrag Art. 8 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Beschluss vom 05.10.2009; Aktenzeichen 9 W 279/09) |
LG Gera (Beschluss vom 16.03.2009; Aktenzeichen 2 HKO 233/08) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Antragsgegnerin werden die Beschlüsse des 9. Zivilsenats des OLG Jena vom 5.10.2009 und der 2. Kammer für Handelssachen des LG Gera vom 16.3.2009 aufgehoben.
Der Antrag, die Entscheidung des AG Haifa vom 26.10.2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens aller Instanzen zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 68.804,78 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin (fortan: Gläubigerin), eine Gesellschaft mit Sitz in Israel, kaufte bei der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin (fortan: Schuldnerin) ein technisches Gerät. In die Vertragsverhandlungen und die Vertragsabwicklung war eine in Israel ansässige Person eingeschaltet, die von der Schuldnerin in der Korrespondenz mit der Gläubigerin als vor Ort tätige Vertreterin ("local agent") bezeichnet wurde. Die Gläubigerin verklagte die Schuldnerin und ihren lokalen Agenten aus Vertrag auf Schadensersatz vor dem AG Haifa. In dem Rechtsstreit vor den israelischen Gerichten machte die Schuldnerin - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang - geltend, das AG Haifa sei international nicht zuständig. In der Sache machte sie keine Angaben.
Rz. 2
Das AG Haifa hielt sich für international zuständig, weil die Klage der Beklagten nach israelischem Recht wirksam zu Händen ihres israelischen Agenten als einen Berechtigten der Geschäftsverwaltung zugestellt worden sei. Im Übrigen liege der Erfüllungsort zuständigkeitsbegründend in Haifa. Durch Entscheidung vom 26.10.2005 verurteilte es die Schuldnerin zur Zahlung von 392.029 Neuen Israelischen Shekel (NIS) nebst Zinsen, Teuerungsausgleich und Anwaltskosten. Das Rechtsmittel der Schuldnerin gegen diese Entscheidung hatte keinen Erfolg. Am 13.2.2008 bescheinigte das AG Haifa der Gläubigerin, der Gerichtsbeschluss sei durchführungs- und durchsetzungsfähig sowie unanfechtbar.
Rz. 3
Auf Antrag der Gläubigerin hat das LG die Entscheidung des AG Haifa vom 26.10.2005 für vollstreckbar erklärt. Mit ihrer Beschwerde hat die Schuldnerin u.a. gerügt, das AG Haifa sei international nicht zuständig gewesen. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Ziel weiter, dass der Antrag der Gläubigerin auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des AG Haifa abgewiesen wird.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen gem. § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Antrag der Gläubigerin, die Entscheidung des AG Haifa vom 26.10.2005 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen (§§ 4 Abs. 2, 8 Abs. 1 AVAG), ist unbegründet.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nach dem Vertrag vom 20.7.1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1980 II S. 926 - nachfolgend: Vertrag) lägen vor. Auf eine fehlende Zuständigkeit des AG Haifa könne sich die Schuldnerin nicht berufen, weil die deutschen Gerichte gem. Art. 8 Abs. 2 des Vertrages bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Gerichts in Israel an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, aufgrund deren das Gericht seine Zuständigkeit angenommen habe, gebunden seien.
Rz. 6
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Gemäß Art. 10 des Vertrages sind Entscheidungen des Gerichts des einen Staates in dem anderen Staat zur Zwangsvollstreckung zuzulassen, wenn sie im Entscheidungsstaat vollstreckbar und im Vollstreckungsstaat anzuerkennen sind. Nach Art. 3 des Vertrages werden die in Zivil- und Handelssachen über Ansprüche der Parteien ergangenen Entscheidungen der Gerichte, die nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden können, in dem jeweils anderen Staat anerkannt. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung hat sich das angerufene Gericht gem. Art. 16 Abs. 1 des Vertrages auf die Prüfung zu beschränken, ob die nach Art. 15 des Vertrages erforderlichen Urkunden - wie hier - beigebracht sind und ob einer der in Art. 5 oder 6 Abs. 2 des Vertrages genannten Versagungsgründe vorliegt.
Rz. 8
Nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Vertrages ist die Anerkennung zu versagen, wenn für die Gerichte im Entscheidungsstaat keine Zuständigkeit i.S.d. Art. 7 des Vertrages (indirekte Zuständigkeit - Denkschrift, BT-Drucks. 8/3866, 14) gegeben war. Nach Abs. 1 der genannten Regelung wird die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats in den dort aufgeführten Fällen anerkannt, soweit der Anerkennungsstaat nach seinem Recht für die Klage, die zur Entscheidung geführt hat, nicht ausschließlich zuständig ist (Art. 7 Abs. 2 des Vertrages). Dies beurteilt sich danach, ob aus Sicht des Anerkennungsstaats das Gericht des Urteilsstaats zur Entscheidung berufen war (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Rz. 852).
Rz. 9
b) Die Überprüfung, ob das AG Haifa sich zu Recht als im Sinne des Vertrages zuständig angesehen hat, ist den deutschen Gerichten im Anerkennungsverfahren nicht durch Art. 8 Abs. 2 des Vertrages verwehrt. Allerdings schreibt diese Bestimmung vor, dass die Gerichte im Anerkennungsstaat bei der Beurteilung der Zuständigkeit des Entscheidungsgerichts an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gebunden sind, aufgrund derer das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit bejaht hat. Die Regelung will erreichen, dass bei der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus dem anderen Vertragsstaat grundsätzlich nicht mehr geprüft wird, ob das Gericht im Entscheidungsstaat seine Zuständigkeit zu Recht oder Unrecht angenommen hat (Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. 8/3866, 15 f zu Art. 8; vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.9.2001 - IX ZB 75/99, WM 2001, 2121, 2122; v. 14.4.2005 - IX ZB 175/03, WM 2005, 1341, 1343). Dadurch sollen widerstreitende Zuständigkeitsentscheidungen vermieden und die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung erleichtert und beschleunigt werden. Die Vertragsstaaten unterwerfen durch Art. 8 Abs. 2 des Vertrages im Anwendungsbereich von Art. 7 des Vertrages die Mitglieder ihrer Rechtsgemeinschaft weitgehend der Anwendung des Rechts des anderen Staates. Soweit das Gericht des Entscheidungsstaates für die Prüfung seiner Zuständigkeit die lex fori anzuwenden hat, ist im Zweifel davon auszugehen, dass es die einschlägigen Normen geprüft hat. Dies gilt sogar dann, wenn die Urteilsgründe die Frage der Zuständigkeit nicht behandeln (BGH, Beschl. v. 18.9.2001, a.a.O., S. 2122; vom 14.4.2005, a.a.O.).
Rz. 10
Doch ist schon nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 des Vertrages eine Überprüfung der Anerkennungszuständigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Den Gerichten des Anerkennungsstaates ist es nur verwehrt, die tatsächliche und rechtliche Würdigung, die das Gericht im Entscheidungsstaat vorgenommen hat, einer Überprüfung zu unterziehen. Ungeachtet dieser Bindungswirkung obliegt dem Anerkennungsgericht aber die Prüfung, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaats in Anspruch genommene Zuständigkeit im Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages erwähnt ist und sie durch keine ausschließliche Zuständigkeit des Anerkennungsstaates verdrängt wird (BGH, Beschl. v. 14.4.2005, a.a.O., S. 1342). Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der Vertragsbestimmungen. Die Zuständigkeitsregelungen des Art. 7 des Vertrages würden obsolet, würde man dem Gericht des Anerkennungsstaates nicht einmal die Befugnis einräumen zu prüfen, ob die vom Gericht des Entscheidungsstaates angenommene Zuständigkeit im Katalog genannt ist. Von einer unbestimmten Bindung im Anerkennungsverfahren kann in Anbetracht der detaillierten Bestimmungen, die der Vertrag enthält, nicht ausgegangen werden (vgl. BGH, a.a.O., S. 1343).
Rz. 11
c) Die Entscheidungen des AG und des LG Haifa leiten die von ihnen angenommene internationale Zuständigkeit, ohne eine Katalogzuständigkeit gem. Art. 7 Abs. 1 des Vertrages zu nennen, aus dem Umstand ab, dass die Klage der damaligen Beklagten und heutigen Schuldnerin wirksam nach israelischem Recht an den in Israel ansässigen lokalen Agenten zugestellt worden sei. Weiter stellen die israelischen Gerichte darauf ab, dass in Haifa der Erfüllungsort liege.
Rz. 12
Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages nicht erwähnt. Einen Gerichtsstand, der an den (Wohn-)Sitz des "Berechtigten der Geschäftsverwaltung" anknüpft, kennt Art. 7 Abs. 1 des Vertrages ebenfalls nicht. Das Erstgericht begründet seine Zuständigkeit mithin nicht mit einem im Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages genannten Gerichtsstand, insb. nicht mit dem Gerichtsstand des rügelosen Einlassens zur Hauptsache nach Art. 7 Abs. 1 Nr. 11 - das AG Haifa stellt ausdrücklich fest, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin keine Verteidigungsschrift eingereicht habe und es deswegen eine Säumnisentscheidung (Gerichtsbeschluss wegen fehlender "Verteidigungsschrift") erlasse - oder mit dem Gerichtsstand der Niederlassung der Schuldnerin in Israel, Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 - diesbezüglich verweist das AG Haifa ausdrücklich darauf, dass die damalige Beklagte und heutige Schuldnerin in Israel nicht ansässig war.
Rz. 13
3. Die Entscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen richtig.
Rz. 14
Nach den tatsächlichen Feststellungen des AG und des LG Haifa waren die israelischen Gerichte nicht gem. Art. 7 Abs. 1 des Vertrages international zuständig. Insbesondere hatte die Schuldnerin keine geschäftliche Niederlassung oder eine Zweigniederlassung in Israel.
Rz. 15
Sie unterhielt in Israel kein Büro. Zwar vertrieb der lokale Agent nach den Feststellungen der israelischen Entscheidungen ihre Produkte nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Er schloss die Verträge mit der Gläubigerin jedoch nicht selbständig ab. Vielmehr bahnte die Gläubigerin die Geschäftsbeziehung direkt mit der Schuldnerin an. Diese erstellte selbst das Angebot, auch wenn sie es über ihren Agenten der Gläubigerin übermitteln ließ. Der Vertragsschluss wiederum erfolgte unmittelbar zwischen Gläubigerin und Schuldnerin ohne seine Einschaltung. Er war dann erst wieder mit der Vertragsabwicklung befasst und wurde der Gläubigerin von der Schuldnerin als örtlicher Ansprechpartner genannt. Dies genügt nicht, um eine Niederlassung der Schuldnerin zu begründen (EuGH, Urt. v. 22.11.1978 - Rs. C-33/78, RIW 1979, 56, 58 zu Art. 5 Nr. 5 EuGVK; vgl. auch Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 5 EuGVO Rz. 103; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A.1, Art. 5 Rz. 304 ff.).
Rz. 16
Dass ein Gerichtsstand aus dem Zuständigkeitskatalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages vorgelegen hätte, wurde von der Gläubigerin im Anerkennungsverfahren auch nicht geltend gemacht. Dazu hätte sie aber Anlass gehabt, nachdem die israelischen Gerichte die internationale Zuständigkeit nicht mit einem Gerichtsstand aus Art. 7 Abs. 1 des Vertrages begründet haben.
III.
Rz. 17
Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Der Antrag der Gläubigerin auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ist unter Aufhebung auch der Entscheidung des LG als unbegründet abzulehnen.
Fundstellen
EBE/BGH 2012 |
WM 2012, 902 |
MDR 2012, 1000 |
RIW 2012, 406 |
ZInsO 2012, 1089 |
Mitt. 2012, 374 |