Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer sexueller Mißbrauch eines Kindes
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 1. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer ergriff der Angeklagte auf dem Flur vor seinem Appartement die 7-jährige Katharina K., „hielt ihr den Mund zu und schleppte sie in seine Wohnung”, um an dem Kind sexuelle Handlungen vorzunehmen, „wobei nicht geklärt werden konnte, welche genauen Handlungen der Angeklagte beabsichtigte”. Er forderte das Mädchen auf, „Hose und Schlüpfer auszuziehen und sich so auf einen Sessel zu setzen”, was das Kind auch tat. „Nunmehr zögerte der Angeklagte, da er erkannte, daß er im Begriff war, eine erneute Straftat zu tun. Er blieb unschlüssig stehen und wandte sich von dem Kind ab. Dieses versuchte daraufhin zu fliehen und lief zur Tür hin. Der Angeklagte verfolgte das Kind, griff (ihm) in sexueller Absicht von hinten zwischen die Beine, hob (es) hoch und verbrachte (es) zurück zum Sessel.” Er überlegte, „was er nun machen sollte. Er hatte erkannt, in welche Situation er sich gebracht hatte, und schämte sich der Tat” (UA 13). Er erlaubte dem Kind, sich anzuziehen, setzte es auf einen Schuhschrank und verließ die Wohnung.
2. Diese Feststellungen könnten den Schuldspruch (§§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB) nur dann tragen, wenn es sich bei dem Griff des Angeklagten zwischen die Beine des Mädchens um eine – vom Vorsatz des Angeklagten umfasste – „sexuelle Handlung” im Sinne des § 184c Nr. 1 StGB handelte (vgl. hierzu BGHSt 29, 336, 338; BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 1 bis 7). Zu Recht rügt die Revision, daß sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, daß der Angeklagte das Kind spontan zur Verhinderung eines Fluchtversuchs ergriff und deshalb der Sexualbezug der Handlung nicht ohne weiteres „unterstellt” werden kann.
3. Die Sache muß daher neu verhandelt werden. Da der Angeklagte zu seinem Motiv für den Übergriff auf das Mädchen keine Angaben gemacht hat, wird es sich nicht vermeiden lassen, das Kind zu vernehmen. Für den Fall, daß der Tatbestand des § 176 StGB nicht vollendet wurde und der Angeklagte vom Versuch des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB), wird – nach Wiedereinbeziehung gemäß § 154 a Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. Bd. I Bl. 218 d.A.) – zu erörtern sein, ob das Verhalten des Angeklagten die Straftatbestände der Nötigung (§ 240 StGB) und der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) erfüllt hat. Bei erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, zur Veröffentlichung vorgesehen) wird § 62 StGB zu beachten sein.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen