Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Entscheidung vom 30.07.2019; Aktenzeichen 7111 Js 6783/17 1 KLs 2) |
Tenor
Der Antrag des Angeklagten vom 29. April 2020, ihm die portugiesische Anwältin K. aus H. anstelle von Rechtsanwalt F. aus Ka. und Rechtsanwältin S. aus Ka. als Pflichtverteidigerin beizuordnen, sowie die Anträge des Rechtsanwalts F. vom 22. Mai 2020 und der Rechtsanwältin S. vom 24. April 2020 auf Aufhebung ihrer Bestellung zu Pflichtverteidigern des Angeklagten werden abgelehnt.
Gründe
Rz. 1
Rechtsanwalt F. wurde dem Angeklagten antragsgemäß am 2. April 2019 als Pflichtverteidiger bestellt. Er nahm an der Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens teil und begründete die Revision des Angeklagten. Rechtsanwältin S. wurde dem Angeklagten auf dessen Anregung während des Revisionsverfahrens am 7. November 2019 als weitere Pflichtverteidigerin beigeordnet. Auch sie reichte eine Revisionsbegründung ein.
Rz. 2
Der Antrag des Angeklagten und die Anträge der Pflichtverteidiger auf Aufhebung der Beiordnung werden zurückgewiesen.
Rz. 3
1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nur aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen wichtigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auf diese am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Vorschrift (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134) finden die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze weiterhin Anwendung (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 48; BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – SB 6/20 mwN). Danach ist Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 1 StR 649/07, StraFo 2008, 243; und Urteil vom 8. Februar 1995 – 3 StR 586/94, NStZ 1995, 296; jeweils mwN). Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 2 BvR 426/06; BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – SB 6/20 mwN). Ein wichtiger Grund wird eher fernliegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 26. August 1993 – 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 f.; und Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 453/78).
Rz. 4
2. Daran gemessen ergibt sich weder aus dem Vorbringen des Angeklagten noch des Rechtsanwalts F. ein Grund für dessen Entpflichtung.
Rz. 5
a. Der Angeklagte hat eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Rechtsanwalt F. lediglich pauschal behauptet. Konkrete Tatsachen hat er insoweit indes nicht vorgebracht. Das gilt insbesondere für seine Behauptungen, Rechtsanwalt F. habe ihn „mehrfach massiv verraten” und die Verteidigung „vorsätzlich verhindert”. Auch der Vorwurf, Rechtsanwalt F. habe ihn wegen „angeblicher Beleidigung” angezeigt, bleibt unklar. Auch sonst bestehen für eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses keine Anhaltspunkte. Vielmehr hat Rechtsanwalt F. den Angeklagten auf dessen Antrag in erster Instanz verteidigt, die Revision fristgerecht eingelegt und mit einer ausgeführten Sachrüge näher begründet. Die Revisionsbegründung hat er zudem mit einem weiteren Schriftsatz nachträglich ergänzt. Der Umstand, dass der Angeklagte einer anderen Anwältin sein Vertrauen schenkt und deshalb ihre Beiordnung wünscht, reicht zur Auswechslung des Pflichtverteidigers nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2019 – 3 StR 149/19).
Rz. 6
b. Die von Rechtsanwalt F. vorgetragenen Gründe können eine Entpflichtung ebenfalls nicht rechtfertigen. Denn der Angeklagte hat die aufgezeigten Umstände, die zur Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Rechtsanwalt F. führten, allein verschuldet. Die Möglichkeit, seinen Pflichtverteidiger im Internet zu verunglimpfen, sich über ihn bei der Rechtsanwaltskammer zu beschweren, ihn mit Schadensersatz zu drohen und unbegründete Forderungen im einstweiligen Rechtsschutz zu verfolgen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 1 StR 649/07, StraFo 2008, 243).
Rz. 7
3. Auch aus dem Vortrag des Angeklagten und der Rechtsanwältin S. ergibt sich kein Grund für deren Entpflichtung.
Rz. 8
Die vorgetragenen Schwierigkeiten im Mandatsverhältnis, vor allem die Meinungsverschiedenheiten über die Art und den Umfang der Weiterleitung von Verfahrensakten an den Angeklagten, können eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses oder einen sonstigen Grund im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 1995 – 3 StR 586/94, NStZ 1995, 296). Das gilt auch für die Behauptung des Angeklagten, eine Kommunikation zwischen ihm und Rechtsanwältin S. finde nicht mehr statt. Diese hat mitgeteilt, dass sie zu keinem Zeitpunkt die Kommunikation mit dem Angeklagten abgelehnt und ihm feste Gesprächstermine vorgeschlagen habe. Die von beiden Seiten vorgelegten zahlreichen Schriftstücke belegen, dass eine Kommunikation tatsächlich stattfindet. Auch das von Rechtsanwältin S. vorgelegte Drohschreiben vom 7. Mai 2020 rechtfertigt keine andere Bewertung, weil schon unklar ist, ob das Schreiben vom Angeklagten stammte oder auf dessen Veranlassung verfasst wurde. Schließlich besteht für die nicht näher konkretisierte Behauptung des Angeklagten, Rechtsanwältin S. habe die Verteidigung des Angeklagten „vorsätzlich verhindert”, kein Anhaltspunkt. Vielmehr hat Rechtsanwältin S. die Revision für den Angeklagten fristgerecht mit mehreren Verfahrensrügen und einer ausgeführten Sachrüge begründet.
Unterschriften
Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 13932067 |
NStZ-RR 2022, 167 |