Tenor
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2021 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Angeklagte wurde am 14. Februar 2020 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 15. Februar 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 128/20), seit dem 28. Juli 2021 aufgrund des an diesem Tag verkündeten Haftbefehls des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2021 (5 - 2 StE 7/20).
Rz. 2
Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist neben dem dem Angeklagten zur Last liegenden tateinheitlichen Besitz waffenrechtlich verbotener Gegenstände der Vorwurf, er habe im Februar 2020 eine Vereinigung gegründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord oder Totschlag zu begehen, und sich mitgliedschaftlich an dieser Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 1 StGB).
Rz. 3
Am 28. April 2020 hat der Senat eine erste Haftbeschwerde des Angeklagten verworfen (StB 13/20). Mit Beschlüssen vom 3. September 2020 (AK 29/20), vom 15. Dezember 2020 (AK 48/20) und vom 25. März 2021 (AK 19-28/21) hat er im besonderen Haftprüfungsverfahren jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Am 3. November 2022 hat er eine zweite Haftbeschwerde des Angeklagten verworfen (StB 49/22).
Rz. 4
Der Generalbundesanwalt hat am 4. November 2020 Anklage gegen den Angeklagten und elf Mitangeklagte erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung seit dem 13. April 2021 an.
Rz. 5
Nunmehr hat der Angeklagte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 8. Mai 2023 erneut Beschwerde gegen den aktuell vollzogenen Haftbefehl eingelegt. Er beantragt die Aufhebung dieser Haftentscheidung, hilfsweise deren Außervollzugsetzung. Er wendet sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und macht geltend, ein Haftgrund liege nicht (mehr) vor. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Rz. 6
Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 7
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der im Senatsbeschluss vom 3. November 2022 bezeichnete dringende Tatverdacht.
Rz. 8
Soweit der Beschwerdeführer nunmehr vorgetragen hat, die weitere Beweisaufnahme habe Erkenntnisse zutage gefördert, die eine für ihn günstigere Bewertung der Verdachtslage zur Folge hätten, ist dem das Oberlandesgericht mit seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 22. Mai 2023 entgegengetreten. Es hat dort dargelegt, die Beweise, die nach der im letzten Haftbeschwerdeverfahren ergangenen Nichtabhilfeentscheidung vom 10. Oktober 2022 erhoben worden sind, führten nicht zu einer abweichenden Beurteilung des dringenden Tatverdachts. Es hat die seither in die Hauptverhandlung eingeführten Bekundungen von Mitangeklagten und Zeugen sowie des den Angeklagten begutachtenden psychiatrischen Sachverständigen im Einzelnen dargestellt; auf dieser Grundlage hat es seine vorläufige Beweiswürdigung nachvollziehbar erläutert.
Rz. 9
Nach den rechtlichen Maßstäben, die für die im Haftbeschwerdeverfahren vorzunehmende Überprüfung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung gelten (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 5 Rn. 16 f. mwN), ergeben sich keine Beanstandungen.
Rz. 10
2. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität bestehen fort.
Rz. 11
a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr liegt vor, weil die Würdigung sämtlicher Umstände es weiterhin wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung stellen werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Rz. 12
aa) Von der konkreten Straferwartung geht ein erheblicher Fluchtanreiz aus; denn der Angeklagte hat noch immer mit einer zu vollstreckenden Haftzeit von Gewicht zu rechnen. Das Oberlandesgericht hat hierzu in der Nichtabhilfeentscheidung vom 10. Oktober 2022 ausgeführt, die bis zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Jahre und acht Monate andauernde Inhaftierung des Angeklagten bewege sich im Fall einer Verurteilung voraussichtlich im Bereich von zwei Dritteln der zu erwartenden Freiheitsstrafe. In der Nichtabhilfeentscheidung vom 22. Mai 2023 hat es - hiermit korrespondierend - geäußert, eine vom Angeklagten zu erwartende Freiheitsstrafe werde die anzurechnende Haft noch um einen Zeitraum von annähernd einem Dreivierteljahr übersteigen. Diese Beurteilung ist nachvollziehbar. Unter zutreffender Zugrundelegung des Strafrahmens des § 129a Abs. 1 StGB, der sich auf Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bemisst, hat der Staatsschutzsenat bei seiner Bewertung die Schwere der mit großer Wahrscheinlichkeit geplanten Anschläge in den Blick genommen sowie strafschärfend die hochwahrscheinlichen rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründe des Angeklagten gewürdigt (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; vgl. dazu BT-Drucks. 18/3007 S. 15; BGH, Urteile vom 20. August 2020 - 3 StR 40/20, BGHR StGB § 60 Absehen, fehlerhaft 1 Rn. 13/14 mwN; vom 9. März 2023 - 3 StR 246/22, juris Rn. 26).
Rz. 13
Gegen die Wertung des Oberlandesgerichts, es sei nicht zu erwarten, dass die Vollstreckung des hypothetisch noch zu verbüßenden Strafrests zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, ist weiterhin nichts zu erinnern (zum insoweit bestehenden Beurteilungsspielraum des Gerichts der Hauptverhandlung vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 16/22, NStZ-RR 2022, 209, 210). Insbesondere ist auch aktuell nicht ersichtlich, dass der Angeklagte von seiner rassistischen und fremdenfeindlichen Tatmotivation glaubhaft Abstand genommen hat. Dahinstehen kann, ob das Beschwerdevorbringen darauf hindeuten könnte, dass er solches Gedankengut verharmlost.
Rz. 14
bb) Dem erheblichen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Faktoren gegenüber. Diesbezüglich wird auf den Senatsbeschluss vom 3. November 2022 Bezug genommen, insbesondere auf die Darlegungen zu der in der mutmaßlichen Tat zum Ausdruck kommenden Gesinnung des Angeklagten und der bereits im Tatzeitraum bestehenden Beziehung zu seiner Lebensgefährtin; diese Ausführungen haben weiter Gültigkeit. Das Beschwerdevorbringen geht darauf nicht ein. Vor diesem Hintergrund ist hingegen für die Haftfrage hier nicht von entscheidender Bedeutung, ob es dem Angeklagten im Fall der Haftentlassung möglich wäre, wieder eine Anstellung als Arbeitnehmer zu finden.
Rz. 15
b) Die Fortdauer der Untersuchungshaft kann bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) unverändert ebenso - mit dem Oberlandesgericht - auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gestützt werden. Denn die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat(en) ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte.
Rz. 16
c) Der Zweck der Untersuchungshaft kann nach wie vor nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
Rz. 17
3. Der Vollzug der Untersuchungshaft steht weiterhin nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO; zu den hierfür nach st. Rspr. geltenden Maßstäben s. etwa BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 16/22, NStZ-RR 2022, 209, 210 mwN). Insoweit wird ebenfalls auf den Senatsbeschluss vom 3. November 2022 verwiesen. Die dort dargelegten Gründe gelten auch eingedenk dessen fort, dass sich der hypothetisch noch zu verbüßende Strafrest nach der - nicht zu beanstandenden - Beurteilung des Oberlandesgerichts von etwa einem Jahr und vier Monaten auf nunmehr circa acht Monate Freiheitsstrafe reduziert hat.
Schäfer Berg Erbguth
Fundstellen
Dokument-Index HI15782916 |