Leitsatz (amtlich)
Auch ein ungewöhnlicher und besonders gravierender Rechtsfehler stellt für sich keinen Begründungsmangel i. S. d. § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG dar. Diese Vorschrift dient ausschließlich der Sicherung des Anspruchs der betroffenen Beteiligten auf Mitteilung der Gründe, aus denen ihr Rechtsbegehren keinen Erfolg hatte.
Normenkette
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 6; GebrMG § 18 Abs. 5
Verfahrensgang
BPatG (Beschluss vom 25.04.2001) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenats) des BPatG vom 25.4.2001 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 296 23 383, das am 6.2.1998 als Abzweigung aus der deutschen Patentanmeldung 196 03 797.2v. 2.2.1996 angemeldet wurde. Nach Eintragung des Gebrauchsmusters hat die Rechtsbeschwerdeführerin am 26.6.1998 neue Schutzansprüche zu den Gebrauchsmusterakten gereicht. Das Gebrauchsmuster betrifft den pharmazeutischen Wirkstoff Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat, der in vier verschiedenen Formen A, B, C und D in selbstständigen Nebenansprüchen beschrieben ist. Der nachgereichte Schutzanspruch 1 lautet:
"Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat in Form A, dadurch gekennzeichnet, dass es einen Schmelzpunkt von etwa 123-125°C aufweist, signifikante IR-Banden (Figur 1) bei etwa 513, 538, 571, 592, 613, 665, 722, 761, 783, 806, 818, 839, 888, 906, 924, 947, 966, 982, 1006, 1034, 1068, 1091, 1134, 1194, 1221, 1248, 1286, 1340, 1387, 1493, 1513, 1562, 1604, 3402, 3631 cm1 aufweist, die bei 10° pro Minute gemessene DSC-Exotherme unter Verwendung einer offenen Schale ein Maximum bei etwa 126°C und unter Verwendung einer geschlossenen Schale ein Maximum bei etwa 121°C zeigt, es auch ein Röntgenbeugungsdiagramm wie das in Figur 4 gezeigte, umfassend charakteristische Signale bei 6,6, 8,0, 11,2, 13,1° 2È, und ein Feldphasen-NMR-Spektrum wie das in Figur 7 gezeigte, umfassend charakteristische Signale bei 154,3, 149,3, 141,6, 138,5 ppm, aufweist."
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat das Gebrauchsmuster im Umfang der auf die Form A gerichteten Schutzansprüche 1 und 5 gelöscht. Im Übrigen hat es den Löschungsantrag zurückgewiesen. Im Beschwerdeverfahren hat die Rechtsbeschwerdeführerin das Gebrauchsmuster in erster Linie mit den am 23.4.2001 eingereichten Schutzansprüchen 1 bis 6 verteidigt. Diese unterscheiden sich von der am 26.6.1998 eingereichten Anspruchsfassung dadurch, dass das Merkmal des dortigen Anspruchs 5 "und in Form von Nadeln vorliegt" in den Schutzanspruch 1 mit aufgenommen und das Wort "und" vor der Angabe "ein Festphasen-NMR-Spektrum" gestrichen worden ist. Das BPatG hat die Beschwerde der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde.
2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig. Die Rechtsbeschwerdeführerin macht mit ihr einen Begründungsmangel i. S. d. §§ 18 Abs. 5 GebrMG, 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG i. d. F. des 2. PatGÄndG v. 16.7.1998 (BGBl. I 1998, 1827) geltend. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet, da der gerügte Mangel nicht vorliegt.
a. Allerdings entfällt der Mangel fehlender Begründung i. S. d. Gesetzes nicht schon deshalb, weil die angefochtene Entscheidung überhaupt mit Gründen versehen ist. Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend macht, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Begründungsmangel in diesem Sinne bei einer vorhandenen Begründung dann vorliegen, wenn diese unverständlich, widersprüchlich oder verworren ist (st. Rspr. u. a. BGH BGHZ 39, 333 - Warmpressen; Beschl. v. 3.12.1991 - X ZB 5/91, MDR 1992, 361 = GRUR 1992, 159 - Crackkatalysator II; Beschl. v. 14.5.1996 - X ZB 4/95, MDR 1996, 927 = GRUR 1996, 753 [755] - Informationssignal).
b. Das Beschwerdegericht hat ebenso wie das Deutsche Patent- und Markenamt der mit Haupt- und Hilfsantrag bezeichneten Lehre des Anspruchs 1 in der am 23.4.2001 eingereichten Fassung die Schutzfähigkeit abgesprochen, weil sie im Hinblick auf die britische Patentschrift 85 26 407 nicht neu sei. Der Fachmann, ein promovierter Diplomchemiker, der mit der Synthese von Wirkstoffen befasst und vertraut sei, könne ohne weiteres aus dieser Druckschrift ein "Verfahren zur Herstellung von Paroxetin-Hydrochlorid-Isopropanol-Solvat" entnehmen, das dadurch gekennzeichnet sei, "dass man unter wasserfreien Bedingungen gasförmigen Chlorwasserstoff zu einer Lösung der freien Base in Isopropanol-Solvat auskristallisiert" (1 a), und ein "Verfahren zur Herstellung von Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat, dadurch gekennzeichnet, dass man Paroxetin-Hydrochlorid-Isopropanol-Solvat mit Wasser behandelt, anschließend abfiltriert und trocknet" (1 b). Es liege nicht außerhalb der durch die britische Druckschrift vermittelten Lehre, das bei dem Verfahren (1 a) bevorzugt hergestellte Solvat bei dem Verfahren (1 b) einzusetzen. Eine solche Arbeitsweise sei im Hinblick auf das in der britischen Druckschrift Offenbarte nicht mehr neu. Der Umstand, dass ein mit den im Schutzanspruch 1 angegebenen Parametern und in Form von Nadeln charakterisiertes Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat nicht in der entgegengehaltenen Druckschrift beschrieben sei, mache diesen Stoff nicht schon deshalb gegenüber der Offenbarung der Entgegenhaltung neu. Zu dem neuheitsschädlichen Offenbarungsgehalt der Beschreibung eines Verfahrens gehöre auch das, was dem Fachmann erst bei der Nacharbeitung des vorgeschriebenen Verfahrens über dessen Ergebnis unmittelbar und zwangsläufig offenbart werde, im vorliegenden Fall also die Modifikation A von Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat in Form von Nadeln.
Berücksichtige man das praktische Vorgehen des einschlägigen Fachmanns, der auf Grund der Angaben in der britischen Druckschrift Paroxetin-Hydrochlorid-Anhydrat herstellen wolle, so komme man zu keiner anderen Beurteilung. Da beide in der Druckschrift beschriebenen Wege zur Herstellung des Anhydrats von der Isopropanol-Solvat-Vorstufe ausgingen, werde der Fachmann zunächst dieses Ausgangsmaterial auf dem in der Druckschrift bevorzugt angegebenen Weg herstellen. Führe dies nicht zum Erfolg, werde er den vorgegebenen Weg der Behandlung der Solvatkristalle mit Wasser ausprobieren und damit zwangsläufig zur Modifikation A des Anhydrats in Nadelform gelangen, wie es in dem nachgereichten Schutzanspruch 1 charakterisiert werde. Auch dieses bisher nicht bekannte Ergebnis sei dem neuheitsschädlichen Offenbarungsinhalt der britischen Druckschrift zuzurechnen.
Das Gebrauchsmuster sei im Umfang des Schutzanspruchs 1 auch i. d. F. des Hilfsantrages gegenüber der britischen Druckschrift nicht neu.
c. Die Rechtsbeschwerde rügt, diese Neuheitsprüfung leide an dem grundsätzlichen Fehler, dass das BPatG die unterschiedlichen, in sich geschlossenen und vollständigen Herstellungsverfahren (1 a) und (1 b) miteinander kombiniere und annehme, diese Kombination der Verfahrensschritte sei in der britischen Druckschrift 85 26 407 neuheitsschädlich offenbart. Patent- und gebrauchsmusterrechtlich sei es unzulässig, ein aus mehreren Verfahrensschritten bestehendes Verfahren als neuheitsschädlich vorbekannt anzusehen, weil die einzelnen Verfahrensschritte für sich allein aus verschiedenen vorbekannten Verfahren bekannt seien. Dies gelte auch dann, wenn mehrere unterschiedliche, in sich geschlossene Verfahren in ein- und derselben Druckschrift beschrieben seien. Auch dann sei ein Verfahren nicht schon deshalb neuheitsschädlich vorbekannt, weil sich das Verfahren durch die Kombination einzelner Verfahrensschritte der verschiedenen vorbeschriebenen Verfahren bilden lasse. Es sei daher eine [patent]rechtlich völlig unverständliche und nicht nachvollziehbare Überlegung, dass das Beschwerdegericht die Kombination der aus unterschiedlichen Verfahren entnommenen Verfahrensschritte (1 a) und (1 b) als neuheitsschädlich vorbeschrieben ansehe und daraus folgere, auch das resultierende Produkt sei nicht mehr neu. Dies bilde einen gravierenden Begründungsmangel, welcher der völlig fehlenden Begründung i. S. v. § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG gleichstehe. Das gelte umso mehr, als das Beschwerdegericht für seine Würdigung nur eine völlig inhaltslose lapidare Begründung gebe ("nach Überzeugung des Senats") und nicht den geringsten Anhaltspunkt aus der britischen Patentschrift 85 26 407 feststelle, aus dem der Fachmann einen Hinweis entnehmen könne, die einzelnen Schritte 1 a) und 1 b) miteinander zu kombinieren.
d. Hiermit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde macht mit ihren Beanstandungen keinen Begründungsmangel im oben dargestellten Sinne geltend. Vielmehr rügt die Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe unter Verstoß gegen anerkannte Regeln die Neuheitsprüfung fehlerhaft vorgenommen und sei deshalb zu einem falschen Ergebnis gelangt. Die Beanstandungen der Rechtsbeschwerde betreffen daher die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Diese ist im Verfahren der nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde nicht zu prüfen.
Selbst wenn mit der Rechtsbeschwerde davon auszugehen wäre, dass der gerügte Fehler ungewöhnlich und besonders gravierend sei, würde dies die Annahme eines Begründungsmangels i. S. d. § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG nicht rechtfertigen. Denn diese Vorschrift stellt weder auf die Intensität eines Fehlers in der angefochtenen Entscheidung ab, noch kommt es darauf an, ob es unverständlich ist, dass dem Gericht der betreffende Fehler unterlaufen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 26.2.1985 - X ZB 12/84, Mitt. 1985, 152 - Tetrafluor-äthylenpolymer). § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG dient vielmehr ausschließlich der Sicherung des Anspruchs der betroffenen Beteiligten auf Mitteilung der Gründe, aus denen ihr Rechtsbegehren keinen Erfolg hatte (§ 94 Abs. 2 PatG).
3. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.
Fundstellen
BGHR 2003, 1437 |
GRUR 2004, 79 |
BPatGE 2005, 289 |
Mitt. 2003, 572 |