Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Fristenüberwachung
Leitsatz (redaktionell)
1. Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen müssen so notiert werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben.
2. Wie dies im Einzelnen gehandhabt wird, bleibt dem Rechtsanwalt überlassen, ein bestimmtes Verfahren ist weder vorgeschrieben noch allgemein üblich.
3. Der Verpflichtung zur Fristenüberwachung ist genüge getan, wenn der Büro-Angestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt worden ist, bei deren Befolgung die Fristwahrung gewährleistet worden wäre; es besteht keine Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich anschließend über die korrekte Ausführung zu vergewissern.
Normenkette
ZPO § 233; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 17.03.2004; Aktenzeichen 11 S 254/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Potsdam v. 17.3.2004 aufgehoben.
Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Der Kläger hat die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens zu tragen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 1.843,24 EUR
Gründe
I.
Das klageabweisende Urteil des AG v. 12.11.2003 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17.11.2003 zugestellt. Dieser legte am 15.12.2003 fristgerecht Berufung ein. Die Berufung hat er hingegen erst am 5.2.2004 begründet und zugleich beantragt, gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen und eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten I. H. vorgelegt:
Nach Zugang des amtsgerichtlichen Urteils notierte die Angestellte H. im Terminkalender und in der Handakte die Berufungsfrist sowie die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung (Montag, den 12.1.2004: "VF Beruf.begründung"; Montag, den 19.1.2004: "Abl. Berufungsbegr."), und zwar als Rotfristen. Nach vorfristgemäßer Vorlage der Akte am 12.1.2004 wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 14.1.2004 vom AG aufgefordert, binnen zehn Tagen zu dem Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten Stellung zu nehmen. Im Terminkalender trug Frau H. daraufhin am 19.1.2004 - zusätzlich zu der Ablauffrist für die Berufungsbegründung - eine entsprechende Vorfrist ein und vermerkte den Ablauf der Stellungnahmefrist für den 26.1.2004; auch diese Fristen wurden, wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers allgemein angeordnet, als Rotfristen notiert.
Am 14.1.2004 diktierte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Stellungnahme zu dem Kostenfestsetzungsantrag v. 15.1.2004 und verfügte schriftlich:
"1) |
bitte am 15.I. Schr. an Gericht |
2) |
... |
3) |
Rotfristen VF 19.I.04 |
|
FA 26.I.04n. Erl. |
|
streichen, bitte nicht FA 19.I.04 |
|
für BerBegrd streichen! |
4) |
Wv n. Erl. 16.I.04" |
Entgegen dieser Verfügung strich die Büroangestellte, die ansonsten stets zuverlässig und fehlerfrei arbeitete, die Rotfristen für den 19.1.2004 - also die Vorfrist für die Stellungnahme zum Kostenfestsetzungsantrag und die Ablauffrist für die Berufungsbegründung - insgesamt und hängte die Akte nach Erledigung des Schreibens v. 15.1.2004 weg. Das Versehen wurde am 28.1.2004 aufgedeckt.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Den Prozessbevollmächtigten des Klägers treffe ein - dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes - Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zu beanstanden sei die Büroanweisung, sowohl Rechtsmittelfristen als auch die Fristen zu Stellungnahmen als Rotfristen in den Akten und im Terminkalender zu notieren. Diese Praxis verstoße gegen die anwaltliche Pflicht, Not-, Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen besonders hervorzuheben. Indem die Stellungnahmefristen ebenso wie die Fristen für die Rechtsmittel und deren Begründung gleichermaßen als Rotfristen vermerkt worden seien, sei die besondere Bedeutung der zuletzt genannten Fristen nicht mehr gegenwärtig gewesen. Hierdurch sei der Keim für Missverständnisse gelegt worden wie dasjenige, das hier wohl zu dem versehentlichen Streichen der am 19.1.2004 eingetragenen Rotfristen geführt habe.
II.
1. Die gem. § 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) auf Grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.]; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004; BGH, Beschl. v. 9.12.2003 - VI ZB 26/03, BGHReport 2004, 622 = MDR 2004, 477 = NJW-RR 2004, 711 [712]).
a) Das Berufungsgericht hat an die Organisation der Fristennotierung zu hohe, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangte Anforderungen gestellt.
Es entspricht zwar gefestigter Rechtsprechung, dass Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden müssen, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 84/88, MDR 1989, 444 = NJW 1989, 2393 [2394], m.w.N.). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Bei der in der Rechtsprechung erörterten Verwendung eines besonderen Promptfristenkalenders oder eines Kalenders mit besonderen Spalten für Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sowie bei der farblichen Kennzeichnung bestimmter Fristen handelt es sich nur um Beispiele (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 84/88, MDR 1989, 444 = NJW 1989, 2393 [2394], m.w.N.). Die Pflicht, bestimmte Fristen hervorzuheben, ist ferner nicht, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, zwingend auf Not-, Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen beschränkt. Gerötet oder in anderer Weise von einfachen Wiedervorlagefristen unterschieden werden können auch andere genau einzuhaltende Fristen (vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 232 ZPO) oder solche sich aus dem Gesetz oder gerichtlicher Verfügung ergebenden Not- und andere Promptfristen, deren Nichtbeachtung Rechtsnachteile nach sich ziehen kann (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 84/88, MDR 1989, 444 = NJW 1989, 2393 [2395], m.w.N.).
Die Handhabung der Fristennotierung im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers genügte den vorbeschriebenen Erfordernissen. Der verwendete Tageskalender sah eine Spalte "Wiedervorlagen" und eine weitere, fett umrandete Spalte "Fristablauf" vor. In der zuletzt genannten Spalte wurden die genau einzuhaltenden Fristen, insbesondere die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen und die fristgebundenen Stellungnahmen, als Rotfristen eingetragen. Sie waren damit von den gewöhnlichen Wiedervorlagen getrennt und hinreichend hervorgehoben.
b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist im Übrigen seiner Verpflichtung, für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung bei dem Berufungsgericht zu sorgen, bereits dadurch nachgekommen, dass er seiner Angestellten H. eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf nämlich grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich - wie hier - bisher als zuverlässig erwiesen hat, derartigen Weisungen nachkommt; es besteht keine Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern (vgl. BGH, Beschl. v. 18.3.1998 - XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360; Beschl. v. 14.11.2003 - V ZR 28/03, BGHReport 2004, 284 = NJW 2004, 366 [369]).
Im vorliegenden Fall hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 14.1.2004 verfügt, dass nur die das Kostenfestsetzungsverfahren betreffenden Fristen ("VF 19.I.04", "FA 26.I.04") nach Erledigung zu streichen seien. Die (weitere) Frist für den Ablauf der Berufungsbegründung am 19.1.2004 sollte ausdrücklich bleiben und ihm die Akte am 16.1.2004 wieder vorgelegt werden. Damit war das Notwendige veranlasst, damit die Berufungsbegründung rechtzeitig gefertigt und bei Gericht eingereicht werden konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 1213409 |
BGHR 2005, 44 |
NJW-RR 2005, 215 |