Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 23.03.2015) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 23. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu dem äußeren Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Maßgabe angeordnet, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 (Fall II.2 der Urteilsgründe) ergriff der alkoholisierte Angeklagte nach vorangegangenem Streit mit dem Zeugen K. eine in seinem Zimmer im ersten Stock des Übergangswohnheims liegende Axt und schlug damit zweimal – außer sich vor Wut – in Richtung des Kopfes des Zeugen, dem es jedoch jeweils gelang, den Schlägen auszuweichen. Sodann entriss der Zeuge dem Angeklagten die Axt. Dieser schleuderte ein Glas nach dem Zeugen, das indes ebenfalls das Ziel verfehlte. Mit einem Brotmesser in der Hand lief der Angeklagte hinter ihm her. Da er erkannte, dass er den Zeugen auf dessen Flucht durch das Treppenhaus nicht erreichen konnte, ließ er das Küchenmesser fallen und warf einen Feuerlöscher nach dem auf einem Podest stehenden Zeugen. Dieser konnte erneut ausweichen. Anschließend gelangten beide ins Freie. Der Angeklagte beschimpfte den Zeugen; zu weiteren handgreiflichen Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht mehr, da kurz darauf die Polizei eintraf.
Rz. 3
Eine dem Angeklagten ca. dreieinhalb Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.
Rz. 4
2. Nach den Feststellungen zu der Tat vom 30. Dezember 2014 (Fall II.3 der Urteilsgründe) setzte der Angeklagte die Matratze in seinem Haftraum mittels eines Feuerzeuges in Brand, wobei ihm klar war, dass das Feuer auf Gebäudeteile der Justizvollzugsanstalt übergreifen und es zu einem Vollbrand kommen konnte. Das nahm er in Kauf. Infolge der starken Rauchentwicklung in Panik geraten schlug er mit der Hand mehrfach gegen die Zellentür. Dabei ging es ihm allein darum, sein Leben zu retten. Ob das Feuer nach seiner Rettung weiterbrennen oder gelöscht werden würde, war ihm gleichgültig. Der Angeklagte wurde durch das Wachpersonal gerettet und der Brand sodann gelöscht.
Rz. 5
Auf der anschließenden Fahrt in einem Rettungswagen zum Klinikum L. bedrohte er den ihn begleitenden Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt mit dem Tode.
Rz. 6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 29. Oktober 2014 als versuchte gefährliche Körperverletzung in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewertet und dem Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB zuerkannt.
Rz. 7
Vom Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit mit Bedrohung gemäß § 241 StGB hat es ihn wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet. Aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form der vom Sachverständigen festgestellten „als psychotisch zu bezeichnenden schizophrenen Störung” sei davon auszugehen, dass die Handlungen des Angeklagten psychotisch motiviert gewesen seien.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Das Urteil hält der materiell-rechtlichen Überprüfung weitgehend nicht stand.
Rz. 9
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 2. Juli 2015 u.a. Folgendes ausgeführt:
„Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat durchgreifende Rechtsfehler ergeben.
I. Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tat am 30. Dezember 2014 (Fall II. 3., UA S. 7 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB begangen, hält mit Blick auf die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Anordnung dieser Maßregel kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr., Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.).
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38) hier lückenhaft. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen (BGH, Urteil vom 15. März 2006 – 2 StR 573/05 –, juris Rn. 11) und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.) im Urteil mitteilen (st. Rspr., siehe etwa BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 5 StR 557/06 –, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07 –, juris Rn. 11; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 65 mwN). Der Umfang der tatrichterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Schwurgerichtskammer hat lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten nach den ‚überzeugenden Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen […] eine als psychiotisch zu bezeichnende schizophrene Störung (vorliege) […]’ (UA S. 11), ein ‚planvolles, rationales Handeln’ nicht gegeben und ‚vielmehr davon auszugehen (sei), dass die Handlungen des Angeklagten psychiotisch motiviert waren’ (UA S. 12). Anknüpfungstatsachen teilt das Landgericht in diesem Kontext nicht mit. Den – formelhaft gefassten – Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die gutachterliche Diagnose tragende Befunde, noch die Symptome des Störungsbildes oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Auch versäumt es das Landgericht darzulegen, ob es von einer Unrechtseinsichtsunfähigkeit oder einer Steuerungsunfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen und wie es zu seiner Überzeugungsbildung gelangt ist. Diese Erörterungen drängten sich allerdings umso mehr auf, als die allgemeine Diagnose einer schizophrenen Störung nicht ohne weiteres zur Schuldunfähigkeit des Täters führt (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305; Fischer, aaO., Rn. 9a mwN) und sich das Verhalten des Angeklagten in dem Haftraum auf den ersten Blick nicht unbedingt als ‚psychiotisch motiviert’ (UA S. 12) darstellt.
Der Senat ist durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuheben. Denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13 –, juris Rn. 8).
b) Die beweiswürdigungsrechtlichen Lücken zur Frage der Schuldfähigkeit liegen auch bei den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 vor (Fall II. 2., UA S. 4 bis 7). Das Landgericht hat hier keine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB angenommen, sondern ist lediglich von einer verminderten Schuldfähigkeit infolge der Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen (UA S. 12). Vor dem Hintergrund der vom Landgericht festgestellten schizophrenen Störung als Grunderkrankung des Angeklagten durfte es sich jedoch nicht darauf beschränken, auszuführen, dass ‚keine Anhaltspunkte (anhand des festgestellten Tatgeschehens)’ dafür bestanden, der Angeklagte habe sich während der Tatausführung in einer ‚akuten Phase’ befunden oder habe einen ‚schizophrenen Schub’ gehabt, da das Handeln des Angeklagten ‚überwiegend planvoll und an den realen Gegebenheiten orientiert’ gewesen sei (UA S. 11). Denn überwiegend planvolles Handeln, das an den realen Gegebenheiten orientiert ist, schließt einen akuten Schub der Schizophrenie ohne nähere Begründung nicht aus. Unter Berücksichtigung, dass die Fälle II. 2. und 3. der Urteilsgründe nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, wird damit auch im Fall II. 2. eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB in den Blick zu nehmen sein.
2. Daneben vermögen die Feststellungen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch deshalb nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtfertigende Störung im Sinne eines länger andauernden ‚Zustandes’ (§ 63 StGB) nicht entnommen werden kann.
Das Landgericht hat, dem Sachverständigen folgend, ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine infolge seiner schizophrenen Erkrankung und seiner ‚Persönlichkeitsabwandlung zumindest erheblich eingeschränkte und womöglich sogar vollständig aufgehobene Fähigkeit zu einer der Realität angepassten Impulskontrolle und zur Entwicklung von Alternativverhalten’ – dauerhaft – vorliegen würde (UA S. 14). Diese bloße Wiedergabe der Diagnose des Sachverständigen reicht jedoch für die Begründung der Voraussetzungen eines länger andauernden ‚Zustandes’ (§ 63 StGB) nicht aus (BGH, Beschluss vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239), zumal die Schwurgerichtskammer hier nicht lediglich auf die allgemeine Disposition des Angeklagten zur erheblichen Verminderung der Impulskontrolle ohne weitergehende Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungssituation im Haftraum rekurrieren durfte (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04 mwN., BGHR StGB § 63 Zustand 39; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140).
Darüber hinaus hat das Landgericht nicht dargelegt, welche weiteren Taten seitens des Angeklagten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, infolge seines Zustandes zu erwarten sind (Gefahrenprognose). …
III. Die – rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können aufrechterhalten bleiben.”
Rz. 10
Dem tritt der Senat bei.
Rz. 11
2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 12
Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat vom 29. Oktober 2014 (UA 11) sind unklar; die aus der Blutprobe mittels Rückrechnung zu ermittelnde Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ist höher als vom Landgericht angenommen.
Rz. 13
Unklar bleibt auch, ob das Landgericht bei der Bewertung der Tat vom 30. Dezember 2014 von erwiesener Schuldunfähigkeit ausgegangen ist oder ob es dies lediglich nicht ausschließen konnte (vgl. UA 12 und 14).
Rz. 14
Bedenken begegnet auch die bisherige Behandlung der Rücktrittsfrage in beiden Fällen:
Rz. 15
Bei der Tat vom 29. Oktober 2014 handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts (UA 10) nicht um einen beendeten Versuch. Zur Beurteilung der Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten im Rücktrittshorizont zu treffen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2015 – 2 StR 402/14, StraFo 2015, 291; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 7, 15 ff. mwN). Hinsichtlich der Tat vom 30. Dezember 2014 hat das Landgericht nicht mitgeteilt, worauf seine Feststellung beruht, es sei dem Angeklagten allein darum gegangen, sein Leben zu retten; ob das Feuer weiterbrennen oder gelöscht werden würde, sei ihm gleichgültig gewesen.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Mutzbauer, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 8386210 |
NStZ-RR 2015, 315 |
RPsych 2015, 348 |