Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsversteigerungsverfahren. Verbot der zwecklosen Pfändung. Nichtanwendbarkeit. Aufhebung des Verfahrens wegen mangelnden Versteigerungserlöses nicht statthaft
Leitsatz (amtlich)
Das Verbot der zwecklosen Pfändung (§ 803 Abs. 2 ZPO) findet im Zwangsversteigerungsverfahren keine Anwendung (im Anschluss an BGH v. 18.7.2002 - IX ZB 26/02, BGHZ 151, 384 = BGHReport 2002, 951 = MDR 2002, 1213).
Das Vollstreckungsgericht darf daher das Verfahren nicht mit der Begründung aufheben, ein Versteigerungserlös sei zu Gunsten des Gläubigers nicht zu erwarten.
Normenkette
ZPO §§ 765a, 803 Abs. 2; ZVG § 77
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 17.07.2003) |
AG Neuss (Beschluss vom 21.11.2002) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Düsseldorf v. 17.7.2003 und der Beschluss des AG Neuss v. 21.11.2002 aufgehoben.
Der Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens wird zurückgewiesen.
Der Schuldner trägt die Kosten des Verfahrens.
Wert: 76.141,75 Euro
Gründe
I. Der Gläubiger betreibt wegen eines persönlichen Anspruchs i. H. v. 152.778,99 Euro nebst weiterer Zinsen und Kosten im Rang des § 10 Abs. 1 Ziff. 5 ZVG die Zwangsvollstreckung in den vorstehend näher bezeichneten Grundbesitz. Die Miteigentumsanteile des Schuldners, die einen Verkehrswert von 1 Mio. Euro haben, sind mit vorrangigen dinglichen Rechten belastet. Dazu gehören zwei in Abteilung III Nr. 8 und 9 eingetragene Eigentümergrundschulden über jeweils 511.291,88 Euro (= 1 Mio. DM), die durch den Gläubiger gepfändet sind. Das Begehren des Schuldners, das Verfahren gem. § 30a ZVG einstweilen auf die Dauer von sechs Monaten einzustellen, hat das Vollstreckungsgericht als Antrag gem. § 765a ZPO ausgelegt und die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens angeordnet, weil angesichts der bestehenden dinglichen Belastungen ein Versteigerungserlös zu Gunsten des Gläubigers nicht zu erwarten sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem LG (Einzelrichter) ohne Erfolg geblieben. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Senat den Beschluss wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Der Einzelrichter hat daraufhin das Verfahren gem. § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO der Kammer zur Entscheidung übertragen. Diese hat die Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner erneut zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II. Das gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, das Vollstreckungsgericht habe den Einstellungsantrag als Vollstreckungsschutzantrag auffassen dürfen, da der Schuldner Umstände vorgetragen habe, die geeignet seien, eine sittenwidrige Härte i. S. d. § 765a ZPO zu begründen. Die vorrangigen Grundpfandrechte seien - einschließlich der Eigentümergrundschulden - sämtlich in das geringste Gebot aufzunehmen. Unter Einbeziehung der Verfahrenskosten von etwa 9.900 Euro mache das geringste Gebot das Zwei- bis Dreifache des Verkehrswertes aus. Bei dieser Sachlage sei mit Geboten nicht zu rechnen, jedenfalls sei nicht denkbar, dass der Erlös auch nur zur teilweisen Deckung des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs ausreichen könne. Das rechtfertige die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens; weder die Vorschrift des § 77 Abs. 2 ZVG noch der Umstand, dass durch das Zwangsversteigerungsverfahren - wie durch jede andere Zwangsvollstreckungsmaßnahme - Druck auf den Schuldner ausgeübt werden solle, um diesen zu freiwilliger Erfüllung zu veranlassen, führten zu einer anderen Beurteilung.
2. Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber den Standpunkt, die vollständige Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens gehe über das Begehren des Schuldners hinaus, der lediglich - zum Zwecke der freihändigen Veräußerung des Objekts - die einstweilige Einstellung habe erreichen wollen. Der § 803 Abs. 2 ZPO zu entnehmende Gedanke des Verbots zweckloser Vollstreckungsmaßnahmen könne auf die Immobiliarvollstreckung nicht übertragen und daher auch für Maßnahmen des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO nicht herangezogen werden. Die Vorschrift des § 77 ZVG enthalte Sonderregelungen, die der Annahme einer besonderen Härte auf Seiten des Schuldners entgegenstünden.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vollstreckungsgericht mit seiner Entscheidung, das Verfahren gem. § 765a Abs. 1 ZPO in seiner Gesamtheit aufzuheben, über das Begehren des Schuldners hinausgegangen ist, der lediglich eine befristete Einstellung des Verfahrens gem. § 30a Abs. 1 ZVG beantragt hat. Denn die sachlichen Voraussetzungen beider Vorschriften sind nicht gegeben; Vollstreckungsschutz hätte dem Schuldner daher nicht gewährt werden dürfen. Der Schuldner zieht nicht mehr in Zweifel, dass eine Einstellung nach § 30a Abs. 1 ZVG nicht in Betracht kommt. Nach dem von ihm vorgetragenen Sachverhalt bedeutet die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme aber auch keine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte (§ 765a Abs. 1 S. 1 ZPO).
a) Die Bestimmung des § 765a ZPO ist als Ausnahmeregelung trotz des nach ihrem Wortlaut für das Vollstreckungsgericht gegebenen Ermessensspielraums eng auszulegen. Sie ist nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich allein dann heranzuziehen, wenn die Anwendung der zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften anderenfalls zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (BGH BGHZ 44, 138 [143]). Davon ist derzeit nicht auszugehen.
(1) Das Verbot der zwecklosen Pfändung, wie es in § 803 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommt, ist in dieser Allgemeinheit nicht auf das Immobiliarvollstreckungsrecht zu übertragen. Es handelt sich dabei um eine Pfändungsvorschrift, die nicht für alle Arten der Zwangsvollstreckung gilt, sondern nur für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen. Sie ist auf die Besonderheiten der Mobiliarvollstreckung zugeschnitten, bei der die Nutzungsfunktion des Eigentums vorrangigen Schutz verdient, wenn die Verwertung des Gegenstandes keinen Überschuss und damit keine Befriedigung des Gläubigers in Aussicht stellt (vgl. BGH v. 18.7.2002 - IX ZB 26/02, BGHZ 151, 384 [386 f.] = BGHReport 2002, 951 = MDR 2002, 1213). Das Zwangsversteigerungsgesetz kennt keinen vergleichbaren Grundsatz. Es enthält vielmehr eigene Regeln, die den Eigenheiten des Zwangsversteigerungsverfahrens Rechnung tragen. Die Rechtsbeschwerde verweist zutreffend darauf, dass nach § 77 Abs. 2 ZVG eine Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens erst dann vorgesehen ist, wenn in einem zweiten Termin keine Gebote abgegeben werden oder sämtliche Gebote erloschen sind. Es hat demnach - auch wenn eine Befriedigung des betreibenden Gläubigers ausgeschlossen erscheint - wenigstens ein Versteigerungstermin stattzufinden; unterbleiben im ersten Versteigerungstermin Gebote oder erlöschen sie nach § 72 Abs. 2 ZVG, führt dies lediglich zur Einstellung des Verfahrens. Selbst bei Ergebnislosigkeit auch des zweiten Versteigerungstermins kann der Gläubiger noch beantragen, das Verfahren als Zwangsverwaltung fortzusetzen. Diese speziellen Regelungen sind gegenüber dem Rechtsgedanken des § 803 Abs. 2 ZPO vorrangig (so auch OLG Hamm v. 22.4.1988 - 15 W 75/88, OLG Hamm Rpfleger 1989, 34; LG Frankfurt NZM 1998, 635; LG Koblenz DGVZ 1998, 125; LG Detmold Rpfleger 1998, 35; LG Krefeld v. 24.10.1995 - 6 T 409/95, Rpfleger 1996, 120; v. 20.8.1993 - 6 T 287/93, Rpfleger 1994, 35; LG Freiburg v. 3.4.1989 - 4 T 47/89, Rpfleger 1989, 469; LG Münster v. 19.5.1988 - 5 T 597/88, MDR 1989, 77 = JurBüro 1988, 1416; LG Aachen v. 29.12.1987 - 3 T 545/87, Rpfleger 1988, 420; LG Göttingen v. 25.3.1988 - 6 T 335/87, Rpfleger 1988, 420; LG Stade v. 1.12.1987 - 10 T 126/87, Rpfleger 1988, 420; LG Berlin v. 5.1.1987 - 81 T 989/86, Rpfleger 1987, 209; im Ergebnis auch LG Lüneburg MDR 1976, 1027; a. A. OLG Düsseldorf v. 26.4.1989 - 3 W 515/88, Rpfleger 1989, 470; LG Frankfurt v. 18.7.1988 - 2/9 T 699/88, Rpfleger 1989, 35; LG Bielefeld v. 11.8.1987 - 3 T 719/87, Rpfleger 1987, 424; LG Augsburg v. 16.12.1985 - 4 T 4888/85, Rpfleger 1986, 146).
(2) Darüber hinaus lässt sich zu Beginn der Zwangsversteigerung nicht verlässlich beurteilen, ob der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger tatsächlich an aussichtsloser Rangstelle steht. Das folgt bereits aus § 59 ZVG, wonach die Versteigerungsbedingungen und das geringste Gebot unter den dort genannten Voraussetzungen gegenüber den gesetzlichen Vorschriften abgeändert werden können. Zudem können vorrangige Grundstücksbelastungen sich im Laufe des Verfahrens ändern oder wegfallen, beispielsweise auf Grund des Anspruchs nachrangiger dinglicher Gläubiger aus § 1192 Abs. 1 und § 1179a BGB auf Löschung einer (verdeckten) Eigentümergrundschuld oder - bei Sicherungspfandrechten - auf Grund schuldrechtlicher Rückgewähransprüche des Schuldners durch Verzicht, Löschung oder Aufhebung. Darüber hinaus können vorrangige Grundpfandgläubiger dem Zwangsversteigerungsverfahren gem. § 27 ZVG beitreten mit der Folge, dass sich das geringste Gebot nach § 44 Abs. 1 ZVG entsprechend verringert, denn es bleiben nur die dinglichen Belastungen als Teil des geringsten Gebots bestehen, die dem aus bester Rangstelle betreibenden Gläubiger vorgehen (Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 44 Rz. 7.1). Ist - wie hier durch den Gläubiger - eine vorrangige Eigentümergrundschuld gepfändet, bestehen auch die Beschränkungen des § 1197 BGB nicht (BGH v. 18.12.1987 - V ZR 163/86, BGHZ 103, 30 [37] = MDR 1988, 395). Eine Prüfung solcher Umstände kann dem Vollstreckungsgericht im formalisierten Zwangsversteigerungsverfahren nicht abverlangt werden; es ist zu einer Prognose, wie es sich mit den Befriedigungsaussichten des Gläubigers verhält, regelmäßig nicht in der Lage. Dann aber ist für eine Aufhebung des Verfahrens mit der Begründung, es sei keine Beteiligung am späteren Versteigerungserlös zu erwarten, kein Raum.
b) Mit gleichen Gründen kann dem Gläubiger nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung der Zwangsvollstreckung versagt werden, so dass das Zwangsversteigerungsverfahren deshalb aufzuheben wäre. Ob ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist, kann in einem Vollstreckungsverfahren und insbesondere im Zwangsversteigerungsverfahren nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des formal ausgestalteten Durchsetzungsrechts gewürdigt werden. Das Rechtsschutzinteresse ergibt sich grundsätzlich aus dem Interesse des Gläubigers an einer Befriedigung der Forderung, die durch den Vollstreckungstitel als begründet ausgewiesen ist. Liegen die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen vor, hat der Gläubiger ein Recht darauf, dass ihm das Vollstreckungsgericht Rechtsschutz gewährt, ohne dass es auf andere Befriedigungsmöglichkeiten oder die - wie ausgeführt - nicht hinreichend sicher abschätzbaren Erfolgsaussichten des Zwangsvollstreckungsverfahren ankommen kann (BGH v. 18.7.2002 - IX ZB 26/02, BGHZ 151, 384 [388] = BGHReport 2002, 951 = MDR 2002, 1213).
c) Weitere Umstände, die die vom Gläubiger beabsichtigte Verwertung des Grundbesitzes des Schuldners als mit den guten Sitten nicht vereinbar erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Dass der Gläubiger mit der Vollstreckungsmaßnahme zugleich beabsichtigt, Druck auf den Schuldner auszuüben, damit dieser freiwillig leistet, führt zu keiner unzumutbaren Härte. Eine solche Vorgehensweise wird dem Gläubiger, dem der Schuldner die Erfüllung des titulierten Anspruchs versagt und dadurch die zwangsweise Durchsetzung erst veranlasst hat, durch die Rechtsordnung nicht verwehrt. Sie hat für sich allein weder zum Zweck, den Schuldner zu schikanieren, noch dient sie dazu, ihm lediglich Schaden zuzufügen (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.1972 - V ZR 12/70, KTS 1973, 70 zu § 826 BGB).
Fundstellen
Haufe-Index 1121187 |
BGHR 2004, 775 |
EBE/BGH 2004, 2 |
EWiR 2004, 359 |
NZM 2004, 347 |
WM 2004, 646 |
WuB 2004, 455 |
ZIP 2004, 1380 |
InVo 2004, 290 |
KKZ 2005, 128 |
MDR 2004, 711 |
Rpfleger 2004, 302 |
WuM 2004, 235 |
NJW-Spezial 2004, 100 |
RENOpraxis 2004, 113 |
ProzRB 2004, 184 |