Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 27.02.2012) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerem Raub, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung in zwei tateinheitlichen Fällen, Kennzeichenmissbrauch, Amtsanmaßung und Missbrauch von Abzeichen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Rz. 2
1. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 13. September 2012 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
2. Zur Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Zurückweisung des Antrags auf Einholung eines kinder- und jugendärztlichen sowie eines kinderpsychiatrischen und -psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass aus den Ergebnissen der vor der Einschulung mit dem Angeklagten durchgeführten Tests sicher geschlossen werden könne, dass dieser zum Tatzeitpunkt nicht 21, sondern lediglich 20 Jahre alt war, bemerkt der Senat ergänzend:
Rz. 4
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betrifft das Alter eines Angeklagten eine doppelrelevante Tatsache, sofern die Beweisaufnahme darüber zu dem Ergebnis führen kann, dass statt der für allgemeine Strafsachen zuständigen Strafkammer das Jugendgericht zuständig ist bzw. dass Erwachsenenstrafrecht statt Jugendstrafrecht angewendet werden kann. In einem derartigen Fall darf sich das Gericht für die Feststellung des Alters nicht mit dem Freibeweisverfahren begnügen; diese hat vielmehr im Strengbeweisverfahren zu erfolgen (BGH, Beschluss vom 11. November 1981 – 2 StR 596/81, StV 1982, 101). Stellt der Angeklagte einen dahingehenden Beweisantrag, darf dieser nur aus einem der in § 244 Abs. 3, 4 StPO genannten Gründe abgelehnt werden (BGH aaO).
Rz. 5
b) Gemessen daran ist die Ablehnung des Antrags mit der Begründung, die Einholung der beantragten Gutachten verspreche keinen weiteren Erkenntnisgewinn, sei also völlig ungeeignet, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Rz. 6
aa) Völlig ungeeignet i.S.d. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Beweismittel, wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis sagen kann, das sich mit dem Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1994 – 1 StR 86/94, NStZ 1995, 97 mwN). Ob das vorhandene Material dem Sachverständigen genügend Anknüpfungstatsachen wenigstens für ein Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitsurteil bietet, kann das Gericht nötigenfalls im Wege des Freibeweises klären (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Oktober 1982 – 1 StR 219/82, NJW 1983, 404; Löwe-Rosenberg/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 231).
Rz. 7
bb) Die Strafkammer hat die in dem Beweisantrag genannten Testergebnisse beigezogen und dem Leiter eines schulmedizinischen Dienstes sowie der Schulärztin, die den Angeklagten 1994 auf seine Schulfähigkeit untersucht hatte, zur Stellungnahme vorgelegt. Beide haben unabhängig voneinander übereinstimmend erklärt, dass diese Unterlagen keinen Schluss auf das Alter des Angeklagten zuließen. Die Strafkammer hat dies in ihrem ablehnenden Beschluss im Einzelnen dargelegt.
Rz. 8
c) Die Anträge auf Vernehmung der Zeugen A. D., S. U. und T. T. zum Beweis der Fehlerhaftigkeit des beurkundeten Geburtsdatums des Angeklagten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei wegen Unerreichbarkeit der Zeugen D. und T. sowie gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO deshalb abgelehnt, weil die Beweiserhebungen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich waren.
Rz. 9
d) Der Umstand, dass nicht die gemäß § 108 JGG zuständige Jugendkammer, sondern die allgemeine Strafkammer entschieden hat, ist im Revisionsverfahren nur auf Grund einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu beachten, die der Beschwerdeführer nicht erhoben hat (BGH, Beschluss vom 11. April 2007 – 2 StR 107/07, NStZ-RR 2007, 282 mwN).
Unterschriften
Mutzbauer, Cierniak, Franke, Bender, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 3628780 |
NStZ 2013, 290 |
NStZ-RR 2013, 186 |
NStZ-RR 2013, 5 |
StV 2013, 483 |