Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsausgleich. Anwendbares materielles und formelles Recht. Nichtbetreiben eines Verfahrens. Ruhen des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
Für die Frage der Anwendung des vor oder nach dem 1.9.2009 geltenden materiellen und formellen Rechts zum Versorgungsausgleich steht das bloße Nichtbetreiben eines Verfahrens nicht einer gerichtlichen Anordnung über das Ruhen des Verfahrens gleich.
Normenkette
VersAusglG § 48 Abs. 2; FGG-RG Art. 111 Abs. 3
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 02.02.2011; Aktenzeichen 18 UF 257/10) |
AG Reutlingen (Beschluss vom 11.08.2010; Aktenzeichen 2 F 416/08) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 18. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Stuttgart vom 2.2.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten über den Versorgungsausgleich.
Rz. 2
Auf den am 21.4.2008 zugestellten Antrag hat das FamG die am 22.3.1996 geschlossene Ehe der Antragstellerin (Ehefrau) und des Antragsgegners (Ehemann) - insoweit rechtskräftig - durch Verbundbeschluss vom 11.8.2010 geschieden und den Versorgungsausgleich auf der Grundlage des seit 1.9.2009 geltenden Rechts geregelt.
Rz. 3
Auf die Beschwerde der Ehefrau hat das OLG die Entscheidung zum Versorgungsausgleich - ebenfalls unter Anwendung des seit 1.9.2009 geltenden Rechts - abgeändert. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Rz. 4
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 5
Entgegen der Annahme des OLG ist auf das Verfahren gem. Art. 111 Abs. 1, 3, 4 FGG-RG, § 48 Abs. 1, 2 VersAusglG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht und materielle Recht anzuwenden, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist und weil es weder am 1.9.2009 noch danach abgetrennt oder ausgesetzt und das Ruhen nicht angeordnet war (vgl. BGH v. 18.5.2011 - XII ZB 139/09, FamRZ 2011, 1287 m.w.N.).
Rz. 6
Zwar hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des AG mit Aktenvermerk vom 9.12.2009 festgestellt, dass das Verfahren seit sechs Monaten nicht betrieben sei und deshalb gem. § 7 Abs. 3 AktO als erledigt gelte. Dies steht jedoch der Anordnung eines Ruhens des Verfahrens i.S.d. Art. 111 Abs. 3 FGG-RG und des § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG nicht gleich.
Rz. 7
Der ursprüngliche Gesetzentwurf, nach dem das neue materielle Recht anzuwenden sei, wenn das Verfahren nach dem Tag seines Inkrafttretens "entweder wieder aufgenommen oder sonst weiterbetrieben werde" (BT-Drucks. 16/10144, 16, 86), wurde im Gesetzgebungsverfahren dahin abgeändert, dass nur ein Ruhen auf der Grundlage einer formellen gerichtlichen Entscheidung einen Wechsel des materiellen und formellen Rechts bewirken solle, während ein solcher Wechsel nicht an bloße faktische, gerichtsinterne Vorgänge anknüpfen solle, die für die Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres erkennbar seien (BT-Drucks. 16/11903, 23, 57, 61 f.; BT-Drucks. 16/10144, 127; vgl. bereits OLG Celle FamRZ 2011, 587). An der danach erforderlichen formellen gerichtlichen Entscheidung über das Ruhen des Verfahrens, die allein den Wechsel des anwendbaren Rechts bewirken könnte, fehlt es im vorliegenden Fall.
Rz. 8
Das OLG wird den Versorgungsausgleich insgesamt nach dem bis zum 1.9.2009 geltenden Recht durchzuführen haben, da die vollständige interne Teilung der in der gesetzlichen Rentenversicherung ehezeitlich erworbenen Anwartschaften - auch wenn sie mit der Beschwerde und Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist - neben einem möglichen erweiterten Splitting nach § 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG bezüglich der in der Lebensversicherung erworbenen Anrechte keinen Bestand haben kann.
Fundstellen
EBE/BGH 2013 |
FamRZ 2013, 615 |
FuR 2013, 3 |
FuR 2013, 323 |
NJW-RR 2013, 515 |
JZ 2013, 320 |
JZ 2013, 327 |
MDR 2013, 465 |
FF 2013, 172 |
FamFR 2013, 151 |
FamRB 2013, 131 |