Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 15.02.2018) |
Tenor
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 15. Februar 2018 gewährt.
Der Beschluss des Landgerichts Essen vom 22. Mai 2018, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Zwar sind die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeitsprüfung rechtlich nicht gänzlich unbedenklich; ein durchgreifender Rechtsfehler liegt jedoch nicht vor.
a) Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Tuns zu den Tatzeitpunkten aufgehoben war. Der langjährig an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidende Angeklagte sei aufgrund der fortgeschrittenen Wahnerkrankung, die insbesondere mit akustischen Halluzinationen einhergegangen sei, nicht in der Lage gewesen, den ihn zur Vornahme sexueller Handlungen auffordernden Stimmen zu widerstehen; angesichts der „Intensität” und der „über Jahre erfolgten Verfestigung der Wahnvorstellungen” sei er bei den zum Nachteil seiner Tochter begangenen Missbrauchshandlungen auch bei Anstrengung seiner Geisteskräfte nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Zwar habe er in den jeweiligen Tatsituationen „zielgerichtet” gehandelt; gleichwohl habe es ihm an Handlungsalternativen gefehlt, womit zugleich das Fehlen der Einsicht in das Unrecht der vom Wahn bestimmten Handlungen einhergegangen sei.
b) Diese Begründung lässt im Zusammenhang mit den Feststellungen zu den Anlasstaten zweifelhaft erscheinen, ob dem Angeklagten bei Tatbegehung die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
aa) Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder ihren strafwürdigen Bedeutungsgehalt nicht erkennt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16, StV 2017, 585, 586; vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25). Demgegenüber ist wegen fehlender Steuerungsfähigkeit schuldunfähig, wer infolge der Störung zwar das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht in der Lage ist, nach der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Zwischen Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit ist zu differenzieren (BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, NStZ-RR 2017, 203, 205; vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17). Nur in Ausnahmefällen kann eine psychische Störung dazu führen, dass Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167).
bb) Gemessen hieran greift der Hinweis des Landgerichts, dass dem Angeklagten in den Tatsituationen wahnbedingt Handlungsalternativen nicht zur Verfügung standen und ihm deshalb die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Tuns fehlte, zu kurz. Handlungsalternativen fehlen auch demjenigen Täter, der das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht nach dieser Einsicht zu handeln vermag. Das vom Landgericht zu Recht als „zielgerichtet” bewertete Verhalten des Angeklagten in den jeweiligen Tatsituationen hätte im Übrigen Anlass zu kritischer Prüfung der Frage geben müssen, ob es – ungeachtet des festgestellten akuten Wahnerlebens – für einen noch erhaltenen Realitätsbezug und damit für eine noch erhaltene Einsichtsfähigkeit sprechen konnte, wie dies der vom Landgericht hinzugezogene psychiatrische Sachverständige angenommen hat. Etwaige Erörterungsmängel in diesem Zusammenhang stellen jedoch die Schuldfähigkeitsbeurteilung des Landgerichts nicht in Frage. Denn die Feststellungen und Beweiserwägungen zur Schwere des Krankheitsbilds und den Auswirkungen in den jeweiligen Tatsituationen belegen, dass jedenfalls die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund akuten Wahnerlebens zu den Tatzeitpunkten sicher aufgehoben war.
2. Auch die Gefahrenprognose ist knapp, aber insgesamt noch tragfähig begründet.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur erfolgen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also Taten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 StR 287/18, NStZ-RR 2018, 302). Die anzustellende Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142). Das Tatgericht hat die für die Gefährlichkeitsprognose maßgeblichen Umstände so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75).
b) Diesen Darlegungsanforderungen wird das Urteil noch gerecht. Zwar erschließt sich nicht, auf welche konkreten Tatsachen das Landgericht seine Annahme stützt, es bestehe ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte ein Kapitaldelikt begehen könnte. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch hinreichend klar zu entnehmen, dass das Landgericht seine Annahme, es bestehe eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte auch künftig Sexualstraftaten begehen könne, tragfähig insbesondere auf die Schwere der Wahnerkrankung, den ungünstigen Krankheitsverlauf, die Intensivierung der Wahnvorstellungen und akustischen Halluzinationen sowie den Umstand gestützt hat, dass der Angeklagte wahnbedingt Stimmen hört, die ihm die Begehung von Sexualstraftaten befehlen oder nahelegen.
Unterschriften
Sost-Scheible, Cierniak, Bender, Quentin, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 12982645 |
StV 2021, 231 |