Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung (Fall II.1 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 2. Juli 1998 wegen Vergewaltigung und wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit „zweifacher” fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und gemäß § 69 a StGB eine Sperrfrist von fünf Jahren bestimmt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat jenes Urteil durch Beschluß vom 1. Dezember 1998 - 4 StR 585/98 - wegen Verletzung der Grundsätze über die Öffentlichkeit des Verfahrens auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Dieses hat nunmehr den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung, mit fahrlässiger Körperverletzung „in zwei Fällen” (richtig: in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen) und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten verurteilt und eine Sperrfrist von drei Jahren angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit der Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung (Fall II.1 der Urteilsgründe) kann nicht bestehen bleiben, weil die Revision mit Erfolg den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend macht.
a) Die Revision beanstandet, daß der Angeklagte bei der Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung und Entlassung der Geschädigten, der Zeugin Martina Sch., von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen sei. Die Strafkammer hatte den Angeklagten – insoweit entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei – „für die Dauer der Vernehmung” der Zeugin gemäß § 247 Satz 2 2. Alt. StPO von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung ausgeschlossen, „weil ein Nervenzusammenbruch der Zeugin unter den Belastungen einer Aussage in Anwesenheit des Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besorgen” sei. Nachdem die Zeugin in der Sitzung am 21. Juni 1999 vernommen worden war, teilte die Vorsitzende dem Angeklagten zu Beginn des folgenden Verhandlungstages den wesentlichen Inhalt der Aussage mit. Zum weiteren Verfahrensgang ist im Protokoll festgehalten: „Auf Anordnung der Vorsitzenden wurde der Angeklagte aus dem Saal geführt. Auf Anordnung der Vorsitzenden erschien die Zeugin Martina Sch. im Sitzungssaal. Es wurde die Öffentlichkeit wieder hergestellt. Auf Anordnung der Vorsitzenden bleibt die Zeugin gemäß § 61 Ziff. 2 unvereidigt. Die Zeugin wurde … im allseitigen Einverständnis entlassen. Der Angeklagte wurde in den Sitzungssaal geführt, über den weiteren Verhandlungsablauf in Kenntnis gesetzt, … und dass die Zeugin unvereidigt entlassen worden ist” (SA Bd. VI Bl. 914).
b) Diese Verfahrensweise der Vorsitzenden verletzte den Angeklagten in seinem Anwesenheitsrecht (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 230 Rdn. 4 m.N.). Die Verhandlung über die Vereidigung gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenso wie die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt. Deshalb ist in der Regel der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 gegeben, wenn der Angeklagte während dieser Verhandlungsteile von der Hauptverhandlung ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 26, 218; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 15, 18). Das gilt auch, wenn ein Zeuge – wie hier – als Verletzter nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt geblieben ist (BGH NStZ 1999, 522). Zwar hätte in einem solchen Fall die Vereidigung als solche unter engen Voraussetzungen auf Grund eines entsprechenden Beschlusses des Gerichts auch in Abwesenheit des Angeklagten stattfinden können (für den Fall der Gefährdung oder Enttarnung des Zeugen vgl. BGHSt 37, 48, 50; NJW 1985, 1478; anders noch BGH NStZ 1982, 256). Dies ändert jedoch nichts daran, daß der Angeklagte Gelegenheit haben muß, auf die Entscheidung über die Vereidigung durch Anträge Einfluß zu nehmen (BGH NJW aaO S. 1479). Immerhin ist hier die Zeugin in der früheren Hauptverhandlung auch vereidigt worden. Deshalb ist die Verhandlung über die Vereidigung ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, der grundsätzlich nicht ohne den Angeklagten stattfinden darf. Ebenso verhält es sich mit der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen, weil die Anwesenheit des Angeklagten hierbei sein Recht auf effektive Ausübung des Fragerechts sichert (st. Rspr.; BGH NJW 1986, 267; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 3 und 15; zweifelnd bzw. a.A. in nicht tragenden Erwägungen der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Urteile vom 22. Juni 1995 - 5 StR 173/95 = NStZ 1995, 557 f. und vom 8. Februar 2000 - 5 StR 543/99).
Auch wenn die Vorsitzende begründetermaßen bestrebt gewesen sein mag, ein Zusammentreffen des Angeklagten mit der Geschädigten auszuschließen (zum Vorgehen in einem solchen Fall vgl. BGH NJW aaO; Hanack JR 1989, 255, 256), mußte sie den Angeklagten vor der Entscheidung über die Vereidigung und zur Verhandlung über die Entlassung wieder zulassen. Da das nicht geschehen ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor. Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung trotz vorschriftswidriger Abwesenheit eine Heilung des Verfahrensverstoßes durch ausdrücklich oder konkludent geäußerten Verzicht des Angeklagten auf die Vereidigung des Zeugen und auf Fragen an den Zeugen (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; BGH, Beschlüsse vom 10. August 1995 - 5 StR 272/95 -, vom 21. September 1999 - 1 StR 253/99 - und vom 3. November 1999 - 3 StR 333/99) in Betracht kommt, ist nicht gegeben. Daß sich der Angeklagte nach der Unterrichtung über die Nichtvereidigung und die Entlassung der Zeugin dazu nicht erklärt hat, bedeutet keinen Verzicht. Etwas anderes ergibt sich deshalb auch nicht etwa daraus, daß der Angeklagte – wie es in der Sitzungsniederschrift vom 16. Juli 1999, dem dritten Verhandlungstag nach Entlassung der Zeugin Martina Sch., vor dem Schluß der Beweisaufnahme allgemein vermerkt ist – „nach der Vernehmung eines jeden Zeugen … befragt (wurde), ob er etwas zu erklären habe” (SA Bd. VII Bl. 1060).
c) Der aufgezeigte Verfahrensfehler berührt allein die Verurteilung wegen Vergewaltigung im Fall II.1 der Urteilsgründe. Die Aussage der Zeugin Martina Sch., die an dem Unfallgeschehen (Fall II. 2 der Urteilsgründe) nicht beteiligt war, betraf nur diese Tat. Nur in diesem Umfang unterliegt das Urteil deshalb wegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO der Aufhebung (Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 338 Rdn. 6 m.N.).
Der Senat verkennt nicht, daß die neue Verhandlung der Sache, zu der der Verfahrensfehler zwingt, zu einer weiteren Belastung der Nebenklägerin durch ihre erneute Vernehmung führt. Der für den Strafprozeß beherrschende Grundsatz der ständigen Anwesenheit des Angeklagten kann aber hinter den Belangen des Zeugen- und Opferschutzes nicht weiter zurücktreten, als dies die eng auszulegende Ausnahmevorschrift des § 247 StPO (vgl. BGHSt 26, 218, 220) zuläßt. Die Wahrung des Zeugen- und Opferschutzes verpflichtet das Gericht deshalb zu besonders sorgfältiger Beachtung der Verfahrensbestimmungen, wenn es Anlaß sieht, den Angeklagten – und/oder die Öffentlichkeit – von der Verhandlung auszuschließen, damit es nicht – wie hier – zu einer vermeidbaren Aufhebung des Urteils und erneuten Verhandlung der Sache kommt. Im übrigen bietet nunmehr das Gesetz in § 247a StPO die Möglichkeit, den Ausgleich zwischen den Interessen des Zeugen und des Angeklagten mittels Bild- und Tonübertragung sicherzustellen, wenn nur dadurch eine im Opferschutzinteresse gebotene persönliche Konfrontation beider vermieden werden kann (zur Subsidiarität der audiovisuellen Vernehmung vgl. Diemer in KK-StPO 4. Aufl. § 247a Rdn. 10, 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 247a Rdn. 4).
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfallgeschehen (Fall II.2 der Urteilsgründe) zum Schuld- und zum Einzelstrafausspruch keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Unter den hier gegebenen Umständen stellt es keinen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Fehler dar, daß das Landgericht die Beweisgrundlagen, auf die es die Feststellungen zu dem äußeren Verkehrsunfallgeschehen (UA 15) stützt, im Rahmen der Beweiswürdigung nicht näher erörtert hat, zumal der – „soweit er sich erinnern konnte, geständig(e)” – Angeklagte die Feststellungen nicht in Frage gestellt hat (UA 18, 30). Auch die Revision erhebt insoweit keine konkreten Einwendungen gegen die getroffenen Feststellungen.
3. Der Senat macht wegen der wiederholten Aufhebung in dieser Sache von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Rostock zurück. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung die straferschwerende Erwägung, „daß der Angeklagte eigene Interessen ganz massiv über die Belange der Zeugin gestellt hat” (UA 29), mit Blick auf das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB unzulässig ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 4).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540897 |
NStZ 2000, 440 |
StV 2000, 653 |