Normenkette
StPO § 345
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Entscheidung vom 01.07.2020; Aktenzeichen 6 KLs 1170 Js 22632/11) |
Nachgehend
Tenor
1. Der Antrag des Angeklagten vom 1. Juni 2021 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020, Anlage zum Protokoll der Rechtsantragsstelle des Landgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 2020, vorgebrachten Verfahrensrügen, wird als unzulässig verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. Juli 2020, soweit es ihn betrifft, dahin
a) abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.299.660,50 € als Gesamtschuldner angeordnet ist; die darüberhinausgehende Einziehung des Wertes von Taterträgen entfällt,
b) ergänzt, dass die in dieser Sache in der Dominikanischen Republik erlittene Freiheitsentziehung auf die verhängte Freiheitsstrafe im Verhältnis 1:3 angerechnet wird.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Betrugs in 24 Fällen, davon in 4 Fällen wegen Versuchs“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, wovon acht Monate als vollstreckt gelten, und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.339.580 € als Gesamtschuldner angeordnet. Dagegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten.
Rz. 2
Ferner begehrt er die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zur Nachholung von Verfahrensrügen. Dem Wiedereinsetzungsantrag bleibt der Erfolg versagt. Die Revision erweist sich, wie aus der Beschlussformel ersichtlich, als überwiegend unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 3
1. Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten vom 1. Juni 2021 ist bereits deshalb unzulässig, weil der Angeklagte nicht innerhalb der Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses (§ 45 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) die von ihm versäumte Handlung, hier die Anbringung der mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020 erhobenen Verfahrensrügen, in der von § 345 Abs. 2 StPO vorgegebenen Form nachgeholt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ferner mangelt es an einer Glaubhaftmachung der den Antrag begründenden Tatsachen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Rz. 4
2. Die vom Angeklagten persönlich mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020 vorgetragenen Verfahrensrügen sind von ihm am 21. Oktober 2020 nicht wirksam zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt worden (§ 345 Abs. 2 StPO), so dass diese nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind.
Rz. 5
a) Die Beteiligung der die Erklärung aufnehmenden Gerichtsperson darf sich nicht in einer formellen Beurkundung des von einem Angeklagten Vorgebrachten erschöpfen; diese muss sich vielmehr an der Anfertigung der Revisionsbegründung gestaltend beteiligen und die Verantwortung für deren Inhalt übernehmen, damit die von ihr beurkundete Erklärung Eingang in das Revisionsverfahren finden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 1996 - 3 StR 88/96, NStZ-RR 1997, 9). Dabei darf kein Zweifel bestehen, dass sie die volle Verantwortung für den Inhalt der Schrift übernommen hat; andernfalls ist die Revisionsbegründung unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 1999 - 3 StR 385/99, BGHR StPO § 345 Abs. 2 Begründungsschrift 6). Es genügt daher regelmäßig nicht, dass in einer Revisionsbegründung auf eigene schriftliche Ausführungen des Angeklagten Bezug genommen bzw. die Begründungsschrift zum Inhalt der Niederschrift erklärt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 1996 - 3 StR 88/96, aaO; vom 22. Januar 1988 - 3 StR 533/87, BGHR StPO § 345 Abs. 2 Begründungsschrift 2; BayObLG, NStZ-RR 1996, 312, jeweils mwN).
Rz. 6
b) Letzteres ist hier der Fall. Zwar weist das Protokoll vom 21. Oktober 2020 aus, dass die von dem Angeklagten verfasste neunseitige Revisionsbegründung „von der unterzeichnenden Rechtspflegerin geprüft und die Form als zweckmäßig erachtet“ worden ist. Andererseits enthält das Protokoll den Hinweis, dass die Rechtspflegerin „aufgrund der Corona-Pandemie und des daraus folgenden Gebots der Minimierung von Kontakten [...] darauf verzichtet (hat), die Begründung des Erschienenen aufzunehmen“. Die als Anlage der Erklärung zu Protokoll der Rechtsantragsstelle beigefügte - juristisch laienhafte - Revisionsbegründung, die keinerlei Modifikation durch die Rechtspflegerin erfahren hat, offenbart grundsätzliche Missverständnisse des Verfahrensablaufs. Teilweise lässt das Vorbringen keinen Bezug zum Revisionsverfahren erkennen. Angesichts dessen bestehen erhebliche Zweifel, dass die Rechtspflegerin gestaltend an der Revisionsbegründung mitgewirkt und die volle Verantwortung für deren Inhalt übernommen hat (vgl. zur Verantwortungsübernahme durch einen Verteidiger BGH, Beschluss vom 17. November 1999 - 3 StR 385/99, BGHR StPO § 345 Abs. 2 Begründungsschrift 6; vgl. auch Nr. 150 RiStBV).
Rz. 7
c) Der Angeklagte ist hierauf sowie auf die Möglichkeit eines weiteren Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und die Unzulässigkeit seines bisherigen Wiedereinsetzungsantrags vom 1. Juni 2021 durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 17. Januar 2022 hingewiesen worden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06, juris Rn. 6 f. und 9). Einen weiteren Wiedereinsetzungsantrag hat er nicht gestellt.
Rz. 8
3. Die vom Verteidiger des Angeklagten wirksam mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision führt lediglich zu einer Abänderung der Einziehungsentscheidung und zur Nachholung der Anrechnungsentscheidung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 StGB für die in der Dominikanischen Republik erlittene Freiheitsentziehung. Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Rz. 9
a) Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Kompensationsentscheidung zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung haben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 17. Mai 2021 aufgezeigten Gründen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 10
b) Hingegen bedarf die Einziehungsentscheidung der Korrektur. Zudem ist die Urteilsformel um den Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten in dieser Sache in der Dominikanischen Republik erlittene Freiheitsentziehung zu ergänzen.
Rz. 11
aa) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Angeklagten ist auf einen Betrag von 1.299.660,50 € (anstelle von 1.339.580 €), insoweit gesamtschuldnerisch haftend, zu reduzieren. Der Angeklagte hat in den vollendeten 20 Betrugsfällen 1.389.050,50 € erlangt. Hiervon sind insgesamt 58.590 € an mehrere Geschädigte zurückgeflossen, so dass deren Ansprüche in dieser Höhe erloschen sind (§ 73e Abs. 1 Satz 1 StGB). Schließlich müssen 30.800 € in Abzug gebracht werden, die das Landgericht unmittelbar als Tatertrag (§ 73 Abs. 1 StGB) bei dem als Gesamtschuldner haftenden Mitangeklagten T. eingezogen hat.
Rz. 12
bb) Der Senat kann hier ferner entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab für die von dem Angeklagten in der Dominikanischen Republik erlittene kurzfristige Freiheitsentziehung selbst bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2009 - 3 StR 255/09, NStZ-RR 2009, 370). Er setzt diesen, dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend, auf 1:3 fest (vgl. Senat, Beschluss vom 25. April 2007 - 2 StR 25/07, wistra 2007, 306).
Rz. 13
4. Angesichts des nur geringfügigen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit sämtlichen Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Franke |
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Appl |
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Zeng |
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Grube |
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Schmidt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15472893 |
NStZ-RR 2024, 99 |
ZInsO 2022, 1728 |
StV 2022, 797 |