Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 25.02.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 25. Februar 2013 aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit einem Grundstoff, der zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden soll (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG in Verbindung mit § 3 GÜG) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Außerdem hat das Landgericht den „Verfall” eines Geldbetrages in Höhe von 200 Euro angeordnet.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 2
Folgende Feststellungen und Wertungen liegen zugrunde:
Rz. 3
1. Zwischen August 2010 und März 2011 erwarb die gesondert Verfolgte N. in acht Fällen in großen Mengen Arzneimittel (Reactine Duo, Rhinopront und Zyrtec-D). Diese enthalten sämtlich Pseudoephedrin. Der Erwerb der Medikamente erfolgte in vier Fällen über eine Apotheke in Deutschland. In den weiteren Fällen beschaffte sich Frau N. die Medikamente über einen ungarischen Staatsangehörigen in Budapest. Sie ließ die Medikamente jeweils unter Mitwirkung weiterer Personen in die Tschechische Republik transportieren. Dort wurde das Pseudoephedrin zu Methamphetamin verarbeitet. Der gesondert Verfolgten N. war bei Erwerb und Transport der Medikamente nach Tschechien die dortige Verwendung zur Herstellung der genannten Droge bekannt.
Rz. 4
Der Angeklagte hat sich in Kenntnis der im vorstehenden Absatz genannten Umstände an einem der Transporte der Medikamente aus Deutschland als Kurier beteiligt. Von C. aus fuhr er mit den von Frau N. zuvor erworbenen, Pseudoephedrin enthaltenden Tabletten nach Tschechien. Dort übergab der Angeklagte auf einem Rastplatz einen der von ihm transportierten Kartons mit den genannten Medikamenten Reactine Duo und Rhinopront an unbekannt gebliebene tschechische Abnehmer. Die übrigen Kartons verbrachte er in eine ihm als Lieferadresse genannte Wohnung in Prag. Dort wurde ihm auch der vereinbarte Kurierlohn in Höhe von 200 Euro sowie weitere 200 Euro Benzingeld ausgehändigt. Die von dem Angeklagten transportierten Tabletten enthielten gut 7.400 Gramm Pseudoephedrin. Daraus konnten rund 1.640 Gramm Methamphetamin-Base hergestellt werden (UA S. 23). Der Angeklagte rechnete damit, dass die von ihm transportierten Tabletten zur Herstellung von Betäubungsmitteln dienen könnten, und billigte dies (UA S. 7).
Rz. 5
2. Das Landgericht hat das Verhalten der gesondert Verfolgten N. jeweils als Straftat gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG („Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln missbraucht werden können” in der Fassung vom 11. März 2008, BGBl. I S. 306) gewertet. Diese habe entgegen dem in § 3 GÜG enthaltenen Verbot mit einem Grundstoff im Sinne von § 1 Nr. 1 GÜG Handel getrieben, der zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollte. Die Transporttätigkeit des Angeklagten hat das Landgericht als Beihilfe gemäß § 27 StGB zu einer der von Frau N. begangenen Straftaten gewertet.
Rz. 6
3. Der Angeklagte wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge gegen das Urteil. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, nicht aber der zugrundeliegenden Feststellungen.
III.
Rz. 7
Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Es mangelt bereits an einer (Haupt)Tat gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG der gesondert Verfolgten N., zu der der Angeklagte durch die Kurierfahrt Beihilfe geleistet hat.
Rz. 8
Bei dem Wirkstoff Pseudoephedrin handelt es sich, wenn er wie hier Wirkstoff eines Arzneimittels (im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel [ABl. EU Nr. L 311 vom 28. November 2001 S. 67]) ist, nicht um einen „Grundstoff” im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG. Dementsprechend hat die gesondert Verfolgte N. nicht entgegen § 3 GÜG mit einem Grundstoff Handel getrieben und den Straftatbestand des § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG nicht verwirklicht.
Rz. 9
1. Die Strafvorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG erfordert das Handeltreiben mit einem „Grundstoff”. Wie der Senat bereits in seinem in der Strafsache u.a. gegen die gesondert Verfolgte N. ergangenen Beschluss vom 5. Dezember 2013 (1 StR 388/13) ausgeführt hat, werden die von dem Straftatbestand erfassten „Grundstoffe” im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG durch die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 betreffend Drogenausgangsstoffe (ABl. EU Nr. L 47 vom 18. Februar 2004 S. 1 ff.) und Nr. 111/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern (ABl. EU Nr. L 22 vom 26. Januar 2005 S. 1 ff. sowie Nr. L 61 vom 2. März 2006 S. 23) einschließlich deren Anlagen „erfassten Stoffe” bestimmt (vgl. Volkmer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, Vorbemerkung zu §§ 19 bis 21 GÜG Rn. 3). Der hier in den Arzneimitteln enthaltene Wirkstoff Pseudoephedrin ist im Anhang I der genannten Verordnungen jeweils als Stoff der Kategorie 1 erfasst (siehe nur ABl. EU Nr. L 47 vom 18. Februar 2004 S. 7). Bei den Pseudoephedrin enthaltenden Medikamenten, mit denen die gesondert Verfolgte N. mit Unterstützung des Angeklagten Handel getrieben hat, müsste es sich angesichts der Auslegung von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG anhand des Unionsrechts um „erfasste Stoffe” im Sinne der genannten Verordnungen handeln, um von einem Grundstoff gemäß der Strafvorschrift § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG ausgehen zu können. Das ist jedoch nicht der Fall.
Rz. 10
a) Nach Art. 2 Buchstabe a) Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 und Art. 2 Buchstabe a) Halbsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 sind unter anderem Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG von den „erfassten Stoffen” ausgenommen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Rz. 11
aa) Der Senat hat mit dem genannten Beschluss vom 5. Dezember 2013 in der Sache 1 StR 388/13 gemäß § 267 Abs. 3 und 4 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind Arzneimittel gemäß der Definition der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und (EG) Nr. 111/2005 ‚erfasste Stoffe’ enthalten, gemäß Art. 2 Buchstabe a) dieser Verordnungen stets von deren Anwendungsbereich ausgenommen, oder ist dies lediglich dann anzunehmen, wenn die Arzneimittel so zusammengesetzt sind, dass sie im Sinne der genannten Verordnungen nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können?”
Rz. 12
bb) Mit Urteil vom 5. Februar 2015 (verbundene Rechtssachen C-627/13 und C-2/14, ABl. EU 2015 Nr. C 107, 11) hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf das Vorabentscheidungsverfahren hin für Recht erkannt:
„Der jeweilige Art. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 273/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 betreffend Drogenausgangsstoffe und der Verordnung (EG) Nr. 111/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern ist dahin auszulegen, dass ein Arzneimittel im Sinne der Definition von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 geänderten Fassung als solches, selbst wenn es einen in Anhang I der Verordnung Nr. 273/2004 und im Anhang der Verordnung Nr. 111/2005 genannten Stoff enthält, der leicht verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden kann, nicht als ‚erfasster Stoff’ eingestuft werden kann.”
Rz. 13
cc) Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf die Auslegung von § 1 Nr. 1, § 3 und § 19 Abs. 1 GÜG schließt es aus, das in den gehandelten bzw. transportierten Medikamenten Reactine Duo, Rhinopront und Zyrtec-D enthaltene Pseudoephedrin ungeachtet dessen leichter Extrahierbarkeit aus dem jeweiligen Medikament als „Grundstoff” zu bewerten. Angesichts der Inhaltsbestimmung des genannten Merkmals des inländischen Rechts anhand der Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und Nr. 111/2005 kann ein Arzneimittel im Sinne Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG, zu denen die hier gegenständlichen Medikamente sämtlich gehören, nicht als „erfasster Stoff” im Sinne des Unionsrechts und damit nicht als Grundstoff nach § 1 Nr. 1, § 3 GÜG bewertet werden. Damit fehlt es an gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG straftatbestandsmäßigen Verhaltensweisen der gesondert Verfolgten N. und an einer darauf bezogenen Beihilfe des Angeklagten.
Rz. 14
b) Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO). Das umfasst auch die Anordnung des „Verfalls” (gemeint ist Verfall des Wertersatzes, vgl. UA S. 25) eines Geldbetrages in Höhe von 200 Euro. Der Anordnung fehlt mit dem Wegfall des Schuldspruchs die Grundlage.
Rz. 15
2. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gemäß § 353 Abs. 2 StPO bedurfte es nicht. Es liegt lediglich ein Wertungsfehler des Landgerichts vor, der sich auf die Feststellungen nicht auswirkt. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen zu treffen.
IV.
Rz. 16
Ein Freispruch des Angeklagten durch den Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO kam nicht in Betracht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung für die angeklagte Tat (im Sinne von §§ 155, 264 StPO) eine Strafbarkeit ergeben kann.
Rz. 17
1. Nach den bisher getroffenen Feststellungen lässt sich wenigstens eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht ausschließen. Sämtliche von der gesondert Verfolgten N. in Deutschland und Ungarn erworbenen, Pseudoephedrin enthaltenden Medikamente wurden in die Tschechische Republik verbracht und dort zu Methamphetamin verarbeitet (UA S. 9). Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass von der gesondert Verfolgten N. in Ungarn erworbene 2.500 Packungen des Medikaments Zyrtec-D von ihr nach Prag transportiert und dort u.a. an den ebenfalls gesondert Verfolgten T. übergeben wurden. Dieser wiederum brachte die Medikamente zu einer Adresse in der tschechischen Ortschaft L.. Unter dieser Adresse haben die Strafverfolgungsbehörden der Tschechischen Republik ein Labor zur Extraktion von Pseudoephedrin und zu dessen Umsetzung in die Droge Methamphetamin („Crystal Speed”) aufgefunden (UA S. 8 f.). Das Landgericht hat sich zudem – wie angesprochen – insgesamt davon überzeugt, dass die in den Verkehr gelangten Medikamente zeitnah nach der Lieferung in Methamphetamin umgesetzt und dieses mit Gewinnerzielungsabsicht verkauft wurde (UA S. 9). Alle Beteiligten hätten dabei von Anfang an billigend in Kauf genommen, dass die gehandelten Tabletten zur Herstellung von Rauschgift Verwendung finden und dieses anschließend illegal gehandelt werden würde (UA S. 9).
Rz. 18
Bereits diese Feststellungen legen die Möglichkeit einer Strafbarkeit des Angeklagten (zumindest) wegen Beihilfe zum jeweils unerlaubten Handeltreiben mit oder zum Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nahe. Dass es sich bei Pseudoephedrin selbst nicht um einen dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Stoff handelt, steht nicht entgegen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 1 Rn. 13).
Rz. 19
2. Bei Prüfung einer nicht von vornherein ausgeschlossenen Strafbarkeit des Angeklagten nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) bzw. der Beihilfe zu einer solchen Straftat wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass Pseudoephedrin nach der Anlage 1 zu § 1 Nr. 1 und § 5 AMVV in der für den Tatzeitraum maßgeblichen Fassung vom 21. Juli 2010 nicht zu den Inhaltsstoffen eines Arzneimittels gehörte, die zu einer Verschreibungspflicht führten.
Unterschriften
Rothfuß, Graf, Jäger, Radtke, Mosbacher
Fundstellen