Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.05.2018) |
Tenor
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2018 auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. September 2018, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 6. April 2017 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, eine Kompensationsentscheidung getroffen und ein Berufsverbot von vier Jahren angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 7. Februar 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Revision im Übrigen verworfen. Daraufhin hat das Landgericht den Angeklagten mit Urteil vom 17. Mai 2018 erneut zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten führt – nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision, mit der der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 12. September 2018 gegenstandslos wird – zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 2
Dem Angeklagten war – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Damit ist der Beschluss des Landgerichts, mit dem dieses die Revision als unzulässig verworfen hatte, gegenstandslos.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die Revision des Angeklagten hat nur im Hinblick auf die versagte Strafaussetzung zur Bewährung Erfolg.
Rz. 4
1. Die Verfahrensrüge hinsichtlich einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen Nichtbeendigung des Strafverfahrens innerhalb angemessener Frist ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 5
2. Die Überprüfung des Strafausspruchs hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hinsichtlich der festgesetzten Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs nicht ergeben.
Rz. 6
3. Hingegen hält die landgerichtliche Entscheidung, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten keine günstige Legalprognose gestellt. Die Begründung, mit der die Strafkammer die Erwartung verneint hat, der Angeklagte werde sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 8
aa) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte im Jahr 2004 bereits einmal wegen Steuerhinterziehung als Geschäftsführer einer im Baubereich tätigen Gesellschaft zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und kurze Zeit nach Ablauf der dortigen Bewährungszeit, aber vor dem Erlass der Strafe vier der hier zur Verurteilung gelangten Taten begangen habe. Soweit das Landgericht daraus folgert, dies zeige, dass sich der Angeklagte durch die bloße Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht ausreichend beeindrucken lasse, sondern hierzu der Vollzug der Strafe erforderlich sei, lässt dies bereits besorgen, dass die Strafkammer insoweit von einem unzutreffenden Prognosezeitpunkt ausgegangen ist. Dies gilt im Übrigen auch für die weitere Erwägung des Landgerichts, die (negative) Einschätzung durch die Strafkammer bestätige sich auch in dem rechtskräftig angeordneten Berufsverbot, dessen Anordnung die Annahme einer weiter bestehenden Gefahr der Begehung von Straftaten durch den Angeklagten voraussetze.
Rz. 9
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen einer Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB ist der der jetzigen Entscheidung (vgl. BGH, NJW 2003, 2841), nicht derjenige eines länger zurückliegenden Ereignisses oder einer vorangegangenen Entscheidung. Die Strafkammer durfte die genannten Umstände zwar in die erforderliche Gesamtwürdigung einbeziehen, aber nur in ihrer (eingeschränkten) Bedeutung für die vom Landgericht im Urteilszeitpunkt anzustellende Prüfung, ob der Angeklagte jetzt auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Es liegt insoweit auf der Hand, dass allein der Umstand der Begehung von Straftaten im Jahre 2007 angesichts des langen Zeitablaufs nur geringe Aussagekraft für eine Legalprognose im Jahr 2018 besitzt und nicht – wie das Landgericht aber ausführt – „zeigt, dass sich der Angeklagte durch die bloße Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht ausreichend beeindrucken lässt, sondern hierzu der Vollzug der Strafe erforderlich ist.” Dies mag im Jahre 2007 so gewesen sein, hätte indes für den maßgeblichen Zeitpunkt der im Jahre 2018 zu treffenden Entscheidung näherer Erläuterung bedurft.
Rz. 10
bb) Das Landgericht hat sich ferner im Rahmen der Legalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB weder erkennbar damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte die Bewährungszeit aus der im Jahr 2004 erfolgten Verurteilung ohne die Begehung neuer Straftaten überstanden hat, noch hat es ausdrücklich in den Blick genommen, dass sich der Angeklagte nach den letzten Taten im hiesigen Verfahren im März 2009 nicht mehr strafbar gemacht hat. Vor allem mit dem Umstand, dass sich der Angeklagte damit seit mehr als neun Jahren straffrei geführt hat, hätte sich die Strafkammer ausdrücklich befassen müssen. Denn Zeiten längerer Straffreiheit zwischen Tat und Aburteilung sind als „Verhalten nach der Tat” – neben den vom Landgericht zu Recht in den Blick genommenen aktuellen Lebensumständen des Angeklagten – bedeutsame Prognoseindizien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2016 – 5 StR 425/16; Senat Beschluss vom 8. Februar 2012 – 2 StR 136/11, NStZ-RR 2012, 170).
Rz. 11
cc) Schließlich hätte das Landgericht die möglichen positiven Wirkungen des mit Urteil vom 6. April 2017 rechtskräftig angeordneten Berufsverbots bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen. So wie mit einer Bewährungsaussetzung verbundene flankierende Maßnahmen die Voraussetzungen für eine günstige Legalprognose schaffen können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – 4 StR 445/14, NStZ-RR 2015, 107 f.), kann sich auch aus einem (angeordneten) Berufsverbot eine günstige Prognose ergeben (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 216): Dies gilt insbesondere dann, wenn sich – wie offenbar hier – keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass der Angeklagte das Berufsverbot missachtet, und die ansonsten negative Legalprognose Verhalten im Zusammenhang mit vom Berufsverbot erfassten Tätigkeiten betrifft.
Rz. 12
b) Die aufgezeigten Begründungsmängel wirken sich auch bei der Überprüfung der landgerichtlichen Annahme aus, es lägen keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vor.
Rz. 13
Zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Umständen können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Zudem kann auch die (mögliche) Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei führen, für die Beurteilung, ob „besondere Umstände” vorliegen, von Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16). Hat der Tatrichter – wie hier das Landgericht – Umstände von Gewicht bei seiner Legalprognose unberücksichtigt gelassen (s. oben 3.a) bb) u. cc)), erweist sich damit auch die unter Außerachtlassung dieser Aspekte begründete Annahme, es fehle an „besonderen Umständen”, als durchgreifend rechtsfehlerhaft (vgl. etwa zur fehlenden Berücksichtigung eines angeordneten Berufsverbots BGH, NStZ 1997, 434).
Rz. 14
Hinzu kommt, dass die Strafkammer weitere Aspekte, die in die insoweit vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit einzubeziehen waren, nicht in den Blick genommen hat, etwa den erheblichen Abstand zwischen Tat und Aburteilung (vgl. BGHR, StGB § 56 Abs. 2 Besondere Umstände 13; BGH, NStZ 2009, 441) oder eine überlange Verfahrensdauer (BGH, NStZ-RR 2016, 9).
Unterschriften
Franke, Appl, Krehl, Zeng, Grube
Fundstellen
Haufe-Index 13211210 |
NStZ-RR 2019, 242 |
StRR 2019, 3 |
StV 2019, 734 |
StraFo 2019, 338 |
VRR 2019, 3 |