Entscheidungsstichwort (Thema)
besonders schwere Körperverletzung
Tenor
Der Nebenklägerin U. wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 18. August 1999 gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt die Nebenklägerin.
Der Beschluß des Landgerichts München II nach § 346 Abs. 1 StPO vom 7. Dezember 1999 ist gegenstandslos.
Gründe
Das Landgericht hat mit Beschluß vom 7. Dezember 1999 die Revision der Nebenklägerin gegen das landgerichtliche Urteil vom 18. August 1999 mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der in § 345 Abs. 1 StPO bestimmten Frist begründet worden. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit Anträgen auf Entscheidung des Revisionsgerichts und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Anträge haben Erfolg.
1. Der Senat hat folgenden Verfahrensgang festgestellt:
Rechtsanwalt G. legte als Vertreter der Nebenklägerin am 24. August 1999 gegen das vom Landgericht am 18. August 1999 verkündete Urteil Revision ein. Das Urteil wurde am 24. September 1999 an den Rechtsanwalt zugestellt. Dieser begründete die Revision – gestützt auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde – im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999, eingegangen beim Landgericht am 27. Oktober 1999. Die Strafkammer teilte dem Rechtsanwalt am 28. Oktober 1999 mit, das Rechtsmittel sei verspätet.
Rechtsanwalt G. bestritt im Schriftsatz vom 4. November 1999 die Zustellung des Urteils am 24. September 1999. Ein Umschlag, auf dem die Zustellung vermerkt worden sei, befinde sich nicht bei seinen Akten. Wenn die Zustellungsurkunde das Datum ausweise, handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Schreibfehler. Sein Eingangsstempel auf der ersten Seite der ihm zugestellten landgerichtlichen Urteilskopie trage das Datum des 27. September 1999.
Gleichzeitig beantragte der Rechtsanwalt wegen der Versäumung der Frist zur formgerechten Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu führte er aus, eine eventuelle Fehlstempelung beim Posteingang sei ihm nicht zurechenbar, denn es liege kein von ihm zu vertretenes organisatorisches Verschulden vor. Der Anwalt dürfe den Posteingang durch ausgebildete, erfahrene und zuverlässige Kräfte in eigener Verantwortung erledigen lassen. Bei seinen beiden Angestellten handele es sich um ausgebildete Anwaltsekretärinnen, die langjährige Praxiserfahrung hätten. Aufgrund seiner Anweisung hätten sie die eingehende Post am Tage des Eingangs zu stempeln. Es sei in der täglichen Praxis noch nie vorgekommen, daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei.
2. Die Anträge haben Erfolg. Die Nebenklägerin hat glaubhaft gemacht, daß sie aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Ihr ist deshalb wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Verwerfungsbeschluß nach § 346 Abs. 1 StPO hat keinen Bestand.
a) Aus der mit der Rechtsmittelschrift vorgelegten Zustellungsurkunde ergibt sich, daß das landgerichtliche Urteil am 24. September 1999 an Rechtsanwalt G. zugestellt worden ist. Die vom Landgericht veranlaßten Anfragen bei der Post ergeben auch nach Auffassung des Senats nichts anderes.
b) Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist war jedoch für die Nebenklägerin unabwendbar, weil auch ihren Prozeßbevollmächtigten daran kein Verschulden trifft. Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschl. v. 12. Februar 1965 – IV ZR 231/63 = BGHZ 43, 148, 153; Beschluß v. 13. Januar 2000 – VII ZB 20/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 44 Rdn. 20). Die Nebenklägerin hat durch ergänzenden Vortrag ihres Rechtsanwalts im Schriftsatz vom 4. November 1999, durch Vorlage der Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils, das als Eingangsstempel den 27. September 1999 trägt, und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall vorliegt.
Der Rechtsanwalt hat vorgetragen, daß er die Anweisung erteilt hat, die eingehende Post sei am Tage des Eingangs zu öffnen und mit dem Eingangsstempel zu versehen. In der täglichen Praxis sei es nie vorgekommen, daß ein Schriftstück mit einem falschen Eingangsdatum gestempelt worden sei. Er habe sich daher für die Überwachung der Fristen auf die Richtigkeit des Eingangsstempels 27. September 1999 verlassen können. Danach bestehen keine Bedenken, daß der Rechtsanwalt die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung herkömmlicher Fristen den Büroangestellten überlassen konnte. Es liegt kein Fall vor, der ihn veranlassen mußte, selbst eine weitergehende Kontrolle der Zustellung und des Beginns der Frist vorzunehmen. Das Anbringen des falschen Eingangsstempels, der Grundlage für die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist war, beruht nicht auf einem Organisationsverschulden, sondern auf einem Einzelversehen einer Angestellten.
c) Einer Nachholung der versäumten Revisionsbegründung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf es hier nicht, weil die Revision im Schriftsatz vom 26. Oktober 1999 bereits vorher – wenn auch nicht fristgerecht – begründet und der Anwalt im Wiedereinsetzungsantrag vom 4. November 1999 zumindest stillschweigend darauf Bezug genommen hat (Maul in KK StPO 4. Aufl. § 45 Rdn. 9 m. w. Nachw.). Das Vorbringen der Nebenklägerin bedarf daher revisionsrechtlicher Überprüfung.
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Boetticher, Schluckebier, Kolz
Fundstellen
Haufe-Index 539957 |
NStZ 2000, 545 |