Entscheidungsstichwort (Thema)
sexuelle Nötigung
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17. Dezember 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe das Verfahren hinsichtlich eines weiteren dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwurfs des sexuellen Mißbrauchs der Geschädigten U. von ähnlicher Begehungsweise und ähnlichem Gewicht wie die abgeurteilte Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, ohne im Urteil dafür Gründe anzugeben, entspricht die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, daß in einem Fall, in dem der Anklagevorwurf wegen zwei Taten allein auf der Aussage einer einzigen Belastungszeugin aufbaut, wegen einer dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen dafür Beweisbedeutung für die entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin zukommen kann; wird der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt, liegt darin ein Erörterungsmangel (BGH StV 1998, 580, 582).
Der Beschwerdeführer hat den Mangel auch richtig als Verfahrensfehler beanstandet. Bei der Beantwortung der Frage, ob einer – möglicherweise verletzten – Rechtsnorm verfahrens- oder sachlich-rechtlicher Charakter zukommt, ist grundsätzlich darauf abzuheben, daß für die sachlich-rechtliche Überprüfung dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung steht; alle anderen Erkenntnisquellen sind ihm verschlossen. Soweit sich der Rechtsfehler nicht allein aus der Urteilsurkunde erschließen läßt, weil er sich auf das der Entscheidung vorausgegangene Verfahren bezieht, verbleibt es bei der Verfahrensrüge.
Der von der Revision geltend gemachte Erörterungsmangel betrifft zwar insoweit das sachliche Recht, als er in den Bereich der Beweiswürdigung fällt. Doch kann die Frage, ob und was im Zusammenhang mit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zu erörtern ist, nicht notwendig aus der Urteilsurkunde allein erschlossen werden. Eine derartige Verfahrenseinstellung kann in den Urteilsgründen zwar mitgeteilt sein; eine Verpflichtung dazu allein aus verfahrensrechtlicher Sicht enthält die Strafprozeßordnung aber nicht. Selbst wenn sich das Urteil aber dazu äußert, kann diese Äußerung unvollständig sein, so wenn in der Hauptverhandlung Gründe für die Verfahrenseinstellung genannt wurden, diese sich aber im Urteil nicht finden.
Das bedeutet, daß eine entsprechende Rüge mit der – insbesondere der nicht ausgeführten – Sachrüge nicht ausreichend begründet ist, da auf dieser Grundlage eine abschließende Prüfung nicht möglich ist. Daran ändert nichts, daß es Urteile gibt, in denen eine teilweise erfolgte Verfahrenseinstellung, die Gründe dafür und ihre Auswirkung auf die Beweiswürdigung umfassend dargestellt sind. Eine solche Erörterung erfolgt in der Regel nur, wenn dazu nach Meinung des Tatgerichts Anlaß bestand. Die Prüfung, ob eine – fehlende – Erörterung geboten gewesen wäre, eröffnet nur die Verfahrensrüge. Der Fall ist dem vergleichbar, daß der Tatrichter ausgeschiedenen Verfahrensstoff dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet hat, ohne vorher auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben; auch in diesem Fehler hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach einigem Schwanken einen Verfahrensfehler gesehen (BGHR StPO § 154 Abs. 1 Verwertungsverbot 1).
Ist aber eine Verfahrensrüge zu erheben, muß der Revisionsführer den Sachverhalt so umfassend vortragen, daß das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (BGH NJW 1995, 2047; BGH StV 1996, 530).
Hier hat der Beschwerdeführer die Tatsache der Einstellung und die fehlende Erörterung der Gründe dafür im Urteil mitgeteilt; er hat auch, wenn auch in sehr summarischer Form, den Sachverhalt angesprochen, auf den sich die Einstellung bezog.
Was fehlt ist jedoch eine Äußerung dazu, ob und ggf. welche Gründe für die Einstellung in der Hauptverhandlung erörtert wurden, denn die mangelnde Begründung der Einstellung im Urteil könnte im Ergebnis nur dann einen Verfahrensfehler darstellen, wenn es sich um Gründe handelte, die auf die anschließend getroffene Sachentscheidung Einfluß nehmen konnten, wie etwa zweifelhafte Glaubhaftigkeit der Angaben der einzigen Belastungszeugin zu dem eingestellten Vorfall.
Es ist auch – ungeachtet insoweit fehlender Protokollierungspflicht – in der Regel nicht so, daß eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung kommentarlos erfolgt. Sollte es in Ausnahmefällen dennoch so sein, müßte vom Beschwerdeführer zumindest aber das Vorbringen verlangt werden, daß für die Einstellung keine Gründe angeführt wurden, die für die Beweiswürdigung ohne Bedeutung waren, wie etwa Verfahrensbeschränkung aus prozeßökonomischen Gründen.
b) Die weitere Rüge, das Landgericht habe § 261 StPO verletzt, weil es auf den Inhalt einer Reihe in der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung ganz oder teilweise verlesener Vernehmungsprotokolle, Gutachten und sonstige Urkunden nicht eingegangen sei, greift gleichfalls nicht durch.
Zwar muß das Urteil erkennen lassen, daß der Tatrichter Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Inbegriff 7, 15). Doch kann nicht aus jedem Schweigen zu den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen darauf geschlossen werden, das Gericht habe diese Beweismittel unbeachtet gelassen. Die Erörterungsbedürftigkeit in den schriftlichen Gründen beurteilt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Nur mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muß sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen. Ob das der Fall war, läßt sich dem Beweisgehalt der Beweismittel selbst nicht ohne weiteres entnehmen. Die weitere Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kann dem Beweismittel jede Bedeutung genommen haben. Das gilt insbesondere, soweit es sich um Beweise von Hilfstatsachen handelt, auf die die Beweisanträge der Verteidigung weitgehend abzielten. Würde man eine weitergehende Begründungspflicht verlangen, liefe das darauf hinaus, daß der Tatrichter in seinem schriftlichen Urteil nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung zu begründen, sondern den Gang der Hauptverhandlung zu dokumentieren hätte (vgl. G. Schäfer StV 1995, 147, 156).
2. Ebenso können die Angriffe gegen die Beweiswürdigung, die die Revision mit der Sachrüge vorbringt, keinen Erfolg haben. Insbesondere mußte sich das Landgericht nicht ausdrücklich mit der Frage einer unbewußten Suggestion der Geschädigten durch die Heimleiterin M. befassen. Die Geschädigte hatte sich zunächst dem Mitpatienten K. und später dem früheren Werkstattleiter B. offenbart. Beide sind dann mit ihr zur Sozialpädagogin Ba. gegangen, wo sie den Sachverhalt wieder in gleicher Weise schilderte. Frau Ba. bewog die Geschädigte schließlich, sich mit der Heimleiterin in Verbindung zu setzen. Bei dieser Entstehungsgeschichte der Aussage liegt die Möglichkeit einer unbewußten Suggestion durch die Heimleiterin fern.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Granderath, Nack, Kolz
Fundstellen
Haufe-Index 539995 |
NStZ-RR 2001, 174 |
StV 2001, 552 |