Tenor
Auf die Beschwerden der Zeugen … H. und … M. werden die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 31. März 2011 (6 – 2 StE 2/10) aufgehoben.
Die Anträge des Generalbundesanwalts, Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, sowie Beugehaft anzuordnen und den Zeugen die durch ihre Auskunftsverweigerung entstandenen Kosten aufzuerlegen, werden zurückgewiesen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel und die den Beschwerdeführern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat gegen die Beschwerdeführer nach § 70 Abs. 1 und 2 StPO Ordnungs- und Beugemaßnahmen wegen Weigerung der Zeugnisleistung angeordnet. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
Rz. 2
Vor dem Oberlandesgericht findet derzeit die Hauptverhandlung in dem Strafverfahren gegen die Angeklagte B. statt. Gegenstand dieses Verfahrens ist der am 7. April 1977 von Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion” (im Folgenden: „RAF”) verübte Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Buback sowie dessen Begleiter Göbel und Wurster. Der Generalbundesanwalt wirft der Angeklagten vor, an dieser Tat beteiligt gewesen zu sein.
Rz. 3
1. Die Beschwerdeführer wurden am 30. November 1976 gemeinsam festgenommen und befanden sich in der Folgezeit durchgängig in Haft. Das Oberlandesgericht Stuttgart sprach sie mit Urteil vom 11. Juli 1979 (5 – StE-3/77) des Raubes mit Waffen in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Bandenraub, Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer, Diebstahl in zwei Fällen, Urkundenfälschung und mit unerlaubtem Führen von Schusswaffen schuldig. Es verhängte gegen den Zeugen H. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 und gegen den Zeugen M. eine solche von 12 Jahren. Es urteilte damit die Beteiligung der Beschwerdeführer als Rädelsführer an einer terroristischen Vereinigung in der Zeit von Frühjahr 1976 bis zu ihrer Verhaftung am 30. November 1976 ab sowie ihre Mitwirkung an Banküberfällen in Köln am 20. September 1976, in Hamburg am 15. November 1976, in Wien am 13. Dezember 1976, an der Entwendung zweier Kraftfahrzeuge, an der Fälschung und Verfälschung von Ausweispapieren und das Führen einer Schusswaffe in schussbereitem Zustand. Hinsichtlich weiterer Anklagevorwürfe wurde das Verfahren nach § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO beschränkt.
Rz. 4
Nach den Feststellungen des oberlandesgerichtlichen Urteils schloss sich jedenfalls ab Frühjahr 1976 eine Gruppe um die Beschwerdeführer zusammen, deren Ziel in Anlehnung an die Vereinigung um die damals inhaftierten Andreas Bader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und andere die Fortsetzung des politisch motivierten Kampfes gegen die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland und deren gewaltsame Veränderung war. Um diesen Zweck zu erreichen, plante die Gruppierung etwa die Tötung von Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft sowie Geiselnahmen zur Befreiung inhaftierter Gesinnungsgenossen und zur Beschaffung größerer Geldbeträge. Weitere Aktivitäten der Gruppe dienten ihrem Fortbestand und ihrer Ausrüstung. Die Beschwerdeführer übten in dieser Vereinigung einen bestimmenden Einfluss aus. Sie lenkten die Tätigkeit der Organisation, wobei insbesondere der Zeuge H. die einzelnen Arbeiten der Mitglieder koordinierte, während der Zeuge M. die größeren Unternehmen projektierte. Neben den abgeurteilten Beschaffungstaten plante die Vereinigung weitere Straftaten. Im Zeitpunkt der Festnahme der Beschwerdeführer war eine Aktion „Margarine” schon so weit vorbereitet, dass ihre Durchführung unmittelbar bevorstand. Die Beschwerdeführer hatten im Zusammenhang mit dieser Aktion in der Zeit ab dem 21. November 1976 verschiedene Tätigkeiten ausgeübt. Weiter war eine Aktion „Big Money” geplant. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts handelte es sich dabei um eine erpresserische Geiselnahme, deren Opfer vermutlich Dr. Hanns Martin Schleyer werden sollte. Daneben war eine Aktion „Big Raushol – Rache” vorgesehen, die der Befreiung inhaftierter Gesinnungsgenossen zu dienen bestimmt war. Schließlich war eine Straftat zum Nachteil einer Behörde projektiert, wobei es sich nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts vermutlich um einen der Beschaffung von Ausweispapieren oder Amtsstempeln dienenden Einbruch oder Überfall handelte.
Rz. 5
Die Feststellungen des Oberlandesgerichts zu den von der Gruppierung geplanten Aktionen beruhten vor allem auf dem Inhalt von schriftlichen Unterlagen, welche die Beschwerdeführer bei ihrer Festnahme mit sich führten. Darunter befand sich etwa ein von dem Zeugen H. erstellter tabellarischer Arbeitsplan, in dem mehreren, jeweils mit einem Decknamen bezeichneten Personen für den Zeitraum vom 2. November 1976 bis zum 2. Dezember 1976 bestimmte Aufgaben zugewiesen wurden. Diese Arbeiten wurden auf zehn Notizzetteln näher umschrieben. Der Zeuge M. hatte u.a. einen Schreibblock bei sich, in dem er Notizen zu Tätigkeiten der Vereinigung und ihrer Mitglieder niedergelegt hatte. Weitere konkrete Beteiligungshandlungen der Beschwerdeführer an den geplanten Aktionen „Margarine”, „Big Money”, „Big Raushol – Rache” sowie zum Nachteil einer Behörde sind weder in dem oberlandesgerichtlichen Urteil festgestellt noch in der Anklageschrift aufgeführt.
Rz. 6
Der Generalbundesanwalt führte gegen die Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat nach § 129a StGB nach ihrer Inhaftierung am 30. November 1976 mehrere Ermittlungsverfahren; zur Erhebung einer Anklage kam es insoweit nicht.
Rz. 7
2. Die Beschwerdeführer sollten im Verfahren gegen die Angeklagte B. … in der Hauptverhandlung am 31. März 2011 als Zeugen vernommen werden. Sie beantworteten jedoch nur einen Teil der an sie gestellten Fragen und beriefen sich im Übrigen jeweils auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO. Durch Beschlüsse vom selben Tage hat das Oberlandesgericht auf entsprechende Anträge des Generalbundesanwalts gegen jeden Zeugen ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von drei Tagen, festgesetzt und Haft zur Erzwingung des Zeugnisses bis zur Dauer von sechs Monaten angeordnet; außerdem hat es den Beschwerdeführern die durch die Auskunftsverweigerung verursachten Kosten auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Beschwerdeführern stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu. Sie könnten weder wegen der Tat, zu der sie vernommen werden sollten, noch wegen anderer, damit zusammenhängender Taten, insbesondere im Zusammenhang mit der Anschlagsserie der „RAF” im Jahre 1977 („Offensive 77”) verfolgt werden. Sämtliche Tathandlungen, die in einem denkbaren Zusammenhang mit Taten dieser Anschlagsserie stünden, seien Gegenstand des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens gewesen; einer erneuten Verfolgung der Beschwerdeführer stehe deshalb insoweit – auch bei Berücksichtigung der Rechtsprechung zu den sog. Organisationsdelikten – das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs entgegen. Außerdem bestehe keine konkrete Gefahr, dass die Beschwerdeführer durch eine wahrheitsgemäße Aussage zugleich potentielle Beweismittel gegen sich selbst wegen noch verfolgbarer eigener Delikte liefern müssten, die mit den in dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 abgeurteilten Taten zwar in Zusammenhang stünden, von diesem aber nicht erfasst seien.
Rz. 8
3. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Beschwerden, denen das Oberlandesgericht nicht abgeholfen hat. Das Oberlandesgericht hat die Vollziehung seiner Beschlüsse bis zur Entscheidung über die Rechtsmittel ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 9
Die Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Anordnung der Beugehaft richten, zulässig (§ 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz Nr. 1 StPO) und begründet. Dies führt hier auch zur Ablehnung der weiteren Anträge (hierzu unten III.).
Rz. 10
Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 und 2 StPO liegen nicht vor. Die Beschwerdeführer haben das Zeugnis nicht ohne gesetzlichen Grund verweigert; denn sie können – ebenso wie etwa die damaligen „RAF”-Mitglieder K., Mo. und F. (BGH, Beschluss vom 7. August 2008 – StB 9 bis 11/08, NStZ-RR 2009, 178) – hinsichtlich der nicht beantworteten Fragen wegen der konkreten Gefahr einer weiteren Strafverfolgung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO geltend machen. Dem steht insbesondere nicht der sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 und dem diesem zugrunde liegenden Verfahren ergebende Verbrauch der Strafklage gegen die Beschwerdeführer entgegen. Im Einzelnen:
Rz. 11
1. Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die – nach der Beurteilung durch das Gericht – geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für die Annahme einer Verfolgungsgefahr nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 1994 – StB 10/94, NJW 1994, 2839, 2840; vom 4. September 2009 – StB 44/09, NStZ 2010, 287, 288; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 55 Rn. 7). Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich etwa dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Strafklage daher verbraucht ist und deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er für diese noch verfolgt, das heißt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden könnte (BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 2005 – StB 12/05, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 6; 28. April 2006 – StB 1/06, NStZ-RR 2006, 239; 4. September 2009 – StB 44/09, NStZ 2010, 287, 288; Meyer-Goßner aaO Rn. 8 mwN). Zweifelsfrei ausgeschlossen ist die konkrete Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in diesen Fällen allerdings nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Vernehmung endgültig feststeht, dass wegen der Verfolgung der möglichen Straftat Strafklageverbrauch eingetreten ist. Wenn und solange die Frage des Strafklageverbrauchs mit vertretbarer Argumentation auch verneint werden kann, steht dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu (BGH, Beschluss vom 13. November 1998 – StB 12/98, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 4).
Rz. 12
Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs gelten im Bereich der Organisationsdelikte grundlegende Besonderheiten: Danach werden im Vergleich zu §§ 129, 129a, 129b StGB schwerere Straftaten, die mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung in Tateinheit stehen, dann nicht von der Rechtskraft eines allein wegen dieser Beteiligung ergangenen Urteils erfasst, wenn sie in dem früheren Verfahren tatsächlich nicht – auch nicht als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt – Gegenstand der Anklage und der Urteilsfindung waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 – 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 292 ff.). Unter dieser Voraussetzung ist daher ein wegen eines Organisationsdelikts Verurteilter durch die Rechtskraft des früheren Urteils nur vor weiterer Strafverfolgung wegen dieses Delikts und tateinheitlich mit diesem zusammentreffender weiterer, nicht schwerer wiegender Straftaten geschützt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002 – StB 12/02, NStZ 2002, 607, 608).
Rz. 13
2. Nach diesen Maßstäben ist eine – erneute – Strafverfolgung der Beschwerdeführer bei Beantwortung der an sie gerichteten Fragen nicht zweifelsfrei ausgeschlossen.
Rz. 14
a) Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Beschwerdeführer sich im Hinblick auf ihre Beteiligung an noch verfolgbaren Taten selbst belasten, die Teil der „Offensive 77” waren.
Rz. 15
Diese zusammenhängende Anschlagsserie der „RAF” nahm ihren Auftakt mit dem Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Buback sowie dessen Begleiter Göbel und Wurster am 7. April 1977, gefolgt von der versuchten Entführung und Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto am 30. Juli 1977, dem versuchten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft am 25. August 1977 und der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter am 5. September 1977. Es liegt nahe, dass auch der Raubüberfall auf das Waffengeschäft Fi. am 1. Juli 1977, bei welchem ausweislich des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 31. Juli 1980 (2 – 1 StE 5/79) die „RAF”-Mitglieder F. und S. den Inhaber des Geschäfts zu ermorden versuchten und 19 Faustfeuerwaffen erbeuteten (UA S. 14 ff.), als Beschaffungstat in unmittelbarem Zusammenhang mit der auf einer Gesamtplanung beruhenden Anschlagsserie stand (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 2008 – StB 9 bis 11/08, NStZ-RR 2009, 178 f.).
Rz. 16
b) Die Strafklage gegen die Beschwerdeführer ist jedenfalls für den Überfall auf das Waffengeschäft Fi. nicht durch das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 verbraucht.
Rz. 17
aa) Diese Tat war nicht – auch nicht als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt – Gegenstand der Anklage und der Urteilsfindung in dem genannten Verfahren.
Rz. 18
bb) Die möglichen strafbaren Beteiligungsakte der Beschwerdeführer bis hin zu einer Mittäterschaft beim oder Anstiftung zum versuchten Mord wiegen schwerer als die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer.
Rz. 19
c) Eine strafbare Beteiligung der Beschwerdeführer an dieser Tat stellt nicht nur eine – für ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO nicht ausreichende – denktheoretische Möglichkeit dar. Bei dieser Würdigung verkennt der Senat – insoweit in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht – insbesondere nicht, dass der Überfall erst einige Zeit nach der Inhaftierung der Beschwerdeführer ausgeführt wurde und sich in den bei deren Festnahme am 30. November 1976 sichergestellten Papieren kein Hinweis auf diese Tat findet. Diese Umstände lassen es zwar – auch nach der Bewertung durch den Senat – durchaus als möglich erscheinen, dass die Mitglieder der Vereinigung mit der Planung dieses Überfalls erst nach der Inhaftierung der Beschwerdeführer begannen und diese hieran nicht beteiligt waren. Eine Beteiligung der Beschwerdeführer an dieser Tat kann jedoch – worauf es bei der Frage, ob den Beschwerdeführern ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht, nach den dargelegten, in ständiger Rechtsprechung angewendeten Maßstäben entscheidend ankommt – nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:
Rz. 20
Nach den Feststellungen in dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 waren Zwecke und Tätigkeit der im Jahre 1976 bestehenden Vereinigung um die Beschwerdeführer gerade auch auf die Begehung von Beschaffungstaten gerichtet. Die Beschwerdeführer hatten als Rädelsführer in der Vereinigung eine herausragende Stellung und übten auf die anderen Vereinigungsmitglieder einen bestimmenden Einfluss aus. Der Zeuge H. hatte den Gesamtüberblick über die zum Fortbestand der Gruppe zu bewältigenden Aufgaben und über die erforderliche Ausstattung. Er arbeitete ein Operationskonzept aus, koordinierte die Aufgaben der einzelnen Gruppenmitglieder und teilte, teils in gezielten Einzelarbeitshinweisen, teils in Form von „Aufgaben für alle” jedem die anstehenden Aufgaben zu (UA S. 29 f.). Der Zeuge M. hatte ebenfalls die Gesamtübersicht über die Ausstattung der Vereinigung und ferner nicht nur eine Koordinierungs-, sondern auch eine Art Kontrollfunktion. Er bereitete die der Aufarbeitung der Tätigkeiten der Gruppierung dienenden Diskussionen vor. Er hatte vor seiner Festnahme einen „Ablauf/Beschaffungsplan” erarbeitet, darin Programmpunkte für von der Gruppe zu erfüllende Aufgaben zusammengestellt und insbesondere die Einsätze unter den Bezeichnungen „Margarine”, „Big Money” und „Big Raushol – Rache” projektiert (UA S. 39). Beide Beschwerdeführer hatten danach jedenfalls bis zu ihrer Festnahme maßgeblichen Anteil an der Vorbereitung aller Straftaten, welche die Vereinigung damals in den Blick nahm. Das Oberlandesgericht sah folgerichtig die Mitwirkung der Beschwerdeführer an mehreren Beschaffungstaten, die damals bekannt waren und der „RAF” zugeordnet werden konnten, als erwiesen an und verurteilte sie deswegen.
Rz. 21
Die mögliche Beteiligung der Beschwerdeführer an dem Überfall auf das Waffengeschäft Fi. ist auch nicht deshalb von vorneherein zu verneinen, weil dieser erst einige Monate nach ihrer Festnahme stattfand. Bereits unter den vom Oberlandesgericht Stuttgart abgeurteilten konkreten Straftaten befand sich mit dem Überfall auf eine Bank in Wien am 13. Dezember 1976 eine Tat, die zwar erst nach der Inhaftierung der Beschwerdeführer ausgeführt wurde, zu der sie jedoch ausweislich der Urteilsgründe vor ihrer Inhaftierung ihre Mittäterschaft begründende Tatbeiträge geleistet hatten. Der Überfall auf das Waffengeschäft Fi. ist eingebettet in den Zeitraum, in dem die übrigen Taten der „Offensive 77” begangen wurden; er fand noch vor der versuchten Entführung und Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto, dem versuchten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft und der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter statt. Der Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Buback und seine Begleiter, der ursprünglich bereits für Anfang Dezember 1976 vorgesehen war, wurde aufgrund der Festnahme der Beschwerdeführer schließlich erst im April 1977 durchgeführt. Demnach kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere Straftaten, mit deren Vorbereitung unter dem bestimmenden Einfluss der Beschwerdeführer bereits vor deren Ergreifung begonnen worden war, ebenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgeführt wurden.
Rz. 22
Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts in dem Urteil vom 11. Juli 1979 jedenfalls F., einer der Täter des Überfalls auf das Waffengeschäft Fi., der Vereinigung um die Beschwerdeführer seit Frühjahr 1976 angehörte. Der Inhalt der bei der Ergreifung der Beschwerdeführer sichergestellten Papiere spricht ebenfalls nicht entscheidend gegen ihre Beteiligung an dem Überfall auf das Waffengeschäft Fi.; denn sie geben im Wesentlichen Hinweise auf konkrete Aktivitäten der Vereinigungsmitglieder nur für den Zeitraum von Anfang November 1976 bis Anfang Dezember 1976 und damit lediglich für einige Wochen vor der Ergreifung der Beschwerdeführer. Die Vereinigung bestand jedoch schon ab spätestens Frühjahr 1976.
Rz. 23
Schließlich weicht der hier zu beurteilende Sachverhalt erheblich von demjenigen ab, welcher der Entscheidung des Senats vom 25. März 1994 (StB 3 und 4/94, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 2) zugrunde lag. Dort stand nicht die mögliche Beteiligung an einer Beschaffungstat, sondern an der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut” in Rede, die nach dem damaligen Stand der Erkenntnis erst durch den nicht vorhergesehenen Ablauf der Entführung Dr. Schleyers aus der Sicht der Täter erforderlich geworden war (BGH, aaO).
Rz. 24
d) Die Gefahr einer Selbstbelastung der Beschwerdeführer ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie ausweislich des vom Oberlandesgericht übermittelten Fragenkatalogs nicht direkt zu dem Überfall auf das Waffengeschäft Fi. befragt werden sollen. Das Bestehen einer entsprechenden Gefahr ist bereits weit im Vorfeld einer direkten Belastung zu bejahen (BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 1249/01, NJW 2002, 1411, 1412). Die Beschwerdeführer sollen konkrete Auskünfte zu dem Anschlag vom 7. April 1977 und der Angeklagten B. geben sowie Angaben machen etwa zu den während des Aufenthalts in Aden im Jahr 1976 diskutierten Themen und getroffenen Entscheidungen, deren Umsetzung nach der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland, den in die weiteren Planungen eingebundenen Personen sowie zu Einzelheiten eines Treffens der Vereinigungsmitglieder im Harz im Jahr 1976 und einem Treffen in den Niederlanden Ende 1976/Anfang 1977. Vor dem dargelegten Hintergrund und dem engen Zusammenhang der im Jahr 1977 von den Mitgliedern der „RAF” begangenen Tatserie ist nicht auszuschließen, dass die Angaben der Beschwerdeführer Rückschlüsse auch auf die das Waffengeschäft Fi. betreffende Tat zulassen und jedenfalls im Rahmen einer mosaikartigen Beweisführung auch für die Begründung bzw. Erhärtung eines Tatverdachts hinsichtlich dieses Überfalls Bedeutung gewinnen können (st. Rspr.; vgl. BVerfG, aaO; BGH, Beschlüsse vom 13. November 1998 – StB 12/98, NJW 1999, 1413; vom 28. April 2006 – StB 1/06, NStZ-RR 2006, 239).
Rz. 25
3. Da den Beschwerdeführern bereits aus den dargelegten Gründen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, bedürfen die weiteren, durch die Beschwerden aufgeworfenen Fragen keiner abschließenden Entscheidung. Der Senat muss insbesondere in diesem die Rechtmäßigkeit von Ordnungs- und Beugemaßnahmen betreffenden Beschwerdeverfahren nicht darüber befinden, ob die Strafklage gegen die Beschwerdeführer bezüglich der weiteren Taten der „Offensive 77” durch das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 verbraucht ist. Dahinstehen kann ebenfalls, ob eine zur Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts ausreichend konkrete Gefahr besteht, dass die Beschwerdeführer bei der Beantwortung der an sie gerichteten Fragen Hinweise auf eine Strafbarkeit wegen noch verfolgbarer Delikte liefern müssten, die sie möglicherweise nach ihrer Inhaftierung begingen.
III.
Rz. 26
Die dargelegten Gründe hindern auch die Festsetzung des beantragten Ordnungsgeldes sowie der ersatzweise beantragten Ordnungshaft und die Auferlegung der durch die Auskunftsverweigerung verursachten Kosten. Diese Ordnungsmittel stehen hier in untrennbarem Zusammenhang mit der angeordneten Beugehaft. Daher hat der Senat seine Entscheidung, auch wenn eine isolierte Beschwerde gegen diesen Teil des Beschlusses des Oberlandesgerichts nicht zulässig gewesen wäre, auf die genannten Maßnahmen erstreckt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2006 – StB 1/06, NStZ-RR 2006, 239, 240; 7. August 2008 – StB 9 bis 11/08, NStZ-RR 2009, 178, 179).
Unterschriften
Becker, Pfister, Schäfer
Fundstellen
Haufe-Index 2719448 |
NStZ-RR 2014, 135 |
NStZ-RR 2014, 97 |