Verfahrensgang
LG Baden-Baden (Urteil vom 28.09.2017) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 28. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 61 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung” zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es bestimmt, dass neun Monate der verhängten Strafe als vollstreckt gelten. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Rz. 2
Der Beschwerdeführer macht zutreffend den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO geltend. Nachdem die Jugendkammer für die Dauer der Einlassung des Angeklagten die Öffentlichkeit gemäß § 171b GVG ausgeschlossen hatte, beschloss sie noch in der hierdurch angeordneten nichtöffentlichen Verhandlung auf Antrag des Nebenklägervertreters, die Öffentlichkeit auch während der Verlesung früherer Aussagen der Geschädigten „aus den Gründen des vorangegangenen Beschlusses” auszuschließen.
Rz. 3
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Verfahrensrüge zulässig erhoben. Sie ist nicht verwirkt; in dem Umstand allein, dass sich der Verteidiger (wie im Übrigen auch die Staatsanwaltschaft) dem Antrag des Nebenklägervertreters angeschlossen hatte, vermag der Senat keinen Anhaltspunkt für eine Verwirkung zu erkennen (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 29. Juni 1999 – 5 StR 300/99, bei Kusch, NStZ-RR 2000, 33, 40 f.). Auch war der Beschwerdeführer nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Beruhen des Urteils auf dem gerügten Verstoß denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 338 Rn. 50b; § 344 Rn. 27).
Rz. 4
In der Sache beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, dass der zweite Ausschließungsbeschluss in nichtöffentlicher Sitzung verkündet wurde. Dies verletzte § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG, der grundsätzlich zur Information der Öffentlichkeit über Anlass und Ausmaß der Ausschließung eine öffentliche Verkündung des Beschlusses gebietet (vgl. zur weiteren Ausschließung der Öffentlichkeit nach vorübergehendem Ausschluss BGH, Urteil vom 28. Mai 1980 – 3 StR 155/80, NJW 1980, 2088; Beschluss vom 24. August 1984 – 5 StR 552/84, NStZ 1985, 37, 38; Beschluss vom 29. Juni 1999, aaO). Ein Ausnahmegrund im Sinne des zweiten Halbsatzes der Vorschrift lag ersichtlich nicht vor.
Rz. 5
Das Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ist nicht denkgesetzlich ausgeschlossen; das Landgericht hat die während des erneuten Ausschlusses der Öffentlichkeit verlesenen früheren Aussagen der Nebenklägerin zur Bestätigung des Geständnisses des Angeklagten, mit dem er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingeräumt hat, herangezogen.
Rz. 6
Der absolute Revisionsgrund zieht die Aufhebung der Verurteilung des Beschwerdeführers nach sich.
Rz. 7
Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter hat auch Gelegenheit, in den Fällen III. A. 1 bis 61 der Urteilsgründe nähere Feststellungen zu dem in § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3007) bezeichneten Obhutsverhältnis zu treffen (vgl. BGH, Urteile vom 12. Februar 1997 – 3 StR 478/96, BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 9 und vom 2. Juni 1999 – 5 StR 112/99, bei Pfister, NStZ-RR 1999, 321).
Unterschriften
Sost-Scheible, Cierniak, Bender, Quentin, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 11957224 |
NStZ-RR 2018, 324 |
StV 2018, 799 |
StraFo 2019, 29 |