Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 29.03.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung in zehn tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
Rz. 2
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung betreffend die sexuellen Übergriffe des Angeklagten vom 5./6. Februar 2010 hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Angesichts der vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation hätte das Landgericht im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegung einbeziehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09, vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10, und vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, StraFo 2012, 269, jeweils mwN). Daran fehlt es hier.
Rz. 3
Das Landgericht bescheinigt der Nebenklägerin „hohe Aussagekonstanz” (UA S. 14). Dies steht in deutlichem Widerspruch zu dem Umstand, dass die Nebenklägerin bei ihrer vier Tage nach dem Geschehen erstatteten Strafanzeige durch den Angeklagten vollführte sexuelle Übergriffe gar nicht erwähnte, vielmehr rund zwei Wochen zurückliegende Schläge gegen ihr Ohr sowie eine Nötigung zum Drogenkonsum am Tatabend mitteilte. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 2. März 2010 bekundete sie erstmals „einen erzwungenen Geschlechtsverkehr”, was sie bei einer Vernehmung vom 12. April 2010 dahin erweiterte, dass der Angeklagte auf sie uriniert und ihr befohlen habe, das nasse Oberteil während eines (von mindestens zehn) Geschlechtsakts nicht auszuziehen; in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 28. September 2010 gab sie dann ergänzend an, der Angeklagte habe eine Substanz gemischt und auf ihre Scheide aufgetragen, wonach er seinen Hund veranlasst habe, an ihrer Scheide zu lecken (UA S. 14).
Rz. 4
Bereits angesichts dieses das Kerngeschehen betreffenden auffälligen Aussageverhaltens waren eine eingehende Darstellung und Würdigung der Bekundungen der einzigen Belastungszeugin einschließlich der näheren Umstände der Anzeigeaufnahme und der weiteren Aussageentwicklung unabdingbar, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen (vgl. zur Beweiswürdigung in einschlägigen Fällen BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165 mwN). Dem werden die rudimentären Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Zeugin das einmal geschilderte Geschehen bei ihren Vernehmungen stets wiederholt und „lediglich um einzelne Details ergänzt” habe, die die rechtliche Qualität nicht verändert hätten, trifft dies im Übrigen auf den Inhalt der Strafanzeige offensichtlich und auf die zweite Aussage („einen” erzwungenen Geschlechtsakt) möglicherweise nicht zu. Zudem liegt auf der Hand, dass die hinzugekommenen überaus erniedrigenden Einzelhandlungen den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat beträchtlich erhöhen. Ferner hätte die von der Nebenklägerin gegebene Erklärung der kritischen Nachprüfung bedurft, sie habe erst Vertrauen zu den sie vernehmenden Personen fassen müssen. Das gilt etwa mit Blick darauf, dass die Nebenklägerin auch Vertrauenspersonen (Mutter und ehemalige Schwiegermutter) von sexuellen Übergriffen nichts gesagt hat (UA S. 17).
Rz. 5
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 6
2. Der Senat hebt auch den Schuldspruch wegen Körperverletzung am 21. Januar 2010 auf. Dem neuen Tatgericht soll eine insgesamt stimmige Beweiswürdigung ermöglicht werden.
Rz. 7
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 8
a) Dass der Angeklagte und die Nebenklägerin die Umstände ihres Zusammenlebens im Wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, gibt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich der durch den Angeklagten bestrittenen Taten entgegen der Wertung im angefochtenen Urteil (UA S. 13) nichts her.
Rz. 9
b) Das neu verhandelnde Tatgericht wird sich eingehend mit der Tatsache zu befassen haben, dass die Nebenklägerin nach der sie in besonderem Maße erniedrigenden Tat noch weitere vier Tage beim Angeklagten gelebt hat. Die im angefochtenen Urteil insoweit angestellte Erwägung, die späte Anzeigeeerstattung sei durch die vom Angeklagten geschaffene finanzielle Abhängigkeit der Nebenklägerin und deren abgebrochene Kontakte zu Familie und Freunden bedingt (UA S. 14), leuchtet nicht ein. Vier Tage nach der Tat vermochte die Nebenklägerin ohne Weiteres den Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen, die sie auch sogleich betreute. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nicht auch früher hätte der Fall gewesen sein können. Darüber hinaus existieren, was allgemein bekannt ist, für derartige Notsituationen öffentliche Anlaufstellen.
Rz. 10
c) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin eingangs des Tatgeschehens beim Drogenkonsum und einer anschließenden Selbstbefriedigung gefilmt (UA S. 7). Zu diesem Umstand und etwaigen Ermittlungshandlungen zur Auffindung des hergestellten Films verhalten sich die Urteilsgründe im Rahmen der Beweiswürdigung nicht.
Rz. 11
d) Sollte das neue Tatgericht erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen, wird es dessen Schuldfähigkeit unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu prüfen haben.
Rz. 12
e) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des § 177 StGB mehrere sexuelle Handlungen – was das Landgericht hier wohl angenommen hat – bei fortdauernder Gewalt eine Tat im Rechtssinn bilden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235 mwN), nicht mehrere tateinheitlich verwirklichte Verbrechen der Vergewaltigung.
Unterschriften
Basdorf, Raum, Schaal, König, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 3401839 |
NStZ-RR 2012, 5 |
NStZ-RR 2013, 19 |