Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 16.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Körperverletzung in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung, sowie des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung und Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte am 9. April 2016 dem Zeugen Sch., nachdem es zunächst zu einem verbalen Streit zwischen ihnen über Geldschulden gekommen war, mit der Hand einen Schlag in das Gesicht (Tat II. B. 1.). Am 12. Juni 2017 stieß er auf der geschlossenen Station eines Krankenhauses eine mit Reinigungsarbeiten beschäftigte Mitarbeiterin gegen ihren Reinigungswagen, um an ihr vorbei zu gelangen und so von der Station zu flüchten (Tat II. B. 2.). Am 13. Juli 2017 trat er in einem Linienbus gegen die Außenseite des Fußes der ihm gegenüber sitzenden Zeugin E., nachdem die Zeugin zuvor ihr Bein ausgestreckt und der Angeklagte dies auf sich bezogen hatte; darüber hinaus beleidigte er die Zeugin (Tat II. B. 3.). Anschließend geriet er mit zwei weiteren Fahrgästen des Linienbusses und mit dessen Fahrer in eine Auseinandersetzung mit gegenseitigen Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf er den Geschädigten Schläge versetzte und überdies den Fahrer bedrohte und beleidigte (Taten II. B. 4. bis 6.). Als Polizeibeamte hinzugerufen wurden, widersetzte er sich deren Anweisungen und versuchte, nachdem ihm Handschellen angelegt worden waren, die Beamten mit Kopfstößen zu treffen; zudem beleidigte er die Beamten (Tat II. B. 7.).
Rz. 3
Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer Psychose schizophrenen Typs leide und seine Affektkontrolle massiv gestört sei. Aufgrund dieser Erkrankung sei seine Steuerungsfähigkeit bei den Taten II. B. 3. bis 6. aufgehoben und bei den Taten II. B. 1., 2. und 7. zumindest erheblich vermindert, möglicherweise aber auch in diesen Fällen vollständig aufgehoben gewesen.
Rz. 4
2. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Der erforderliche symptomatische Zusammenhang besteht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 658/16, NStZ-RR 2017, 272, 273). In den Urteilsgründen ist darzulegen, wie sich die festgestellte psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, juris Rn. 11, insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2017, 86; vom 26. Juli 2016 – 3 StR 211/16, RuP 2016, 268; vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
Rz. 6
b) Das Landgericht hat den für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig belegt.
Rz. 7
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen ausführt, bei der zu II. B. 1. festgestellten Tat habe der Angeklagte ‚seine krankheitsbedingte massive Impulsivität infolge des Konfliktes mit dem Zeugen Sch. nicht zu bremsen’ gewusst und sei bei den zu II. B. 3. bis 7. festgestellten Taten gleichfalls nicht in der Lage gewesen, seine ‚Affekte angemessen zu kontrollieren und regulieren’, nachdem er ‚unter krankheitsbedingter Verkennung der Realität’ angenommen habe, die Zeugin E. habe ihn ‚durch das Heben ihres Fußes beleidigt’, wird daraus nicht deutlich, ob und inwieweit bei dem Angeklagten zu den Tatzeitpunkten tatsächlich krankheitsbedingte Impulskontrollstörungen vorhanden waren und wie sich diese auf seine Tatmotivation und seine Handlungsmöglichkeiten ausgewirkt haben.
Die von dem Angeklagten begangenen Taten – je nach Ausgestaltung Körperverletzungen nach einem Streit (unter Bekannten), Beleidigungen und Bedrohungen – sind im Grundsatz Delikte der allgemeinen Kriminalität, bei denen auch im Fall einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis die Annahme einer aufgehobenen oder erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt auf der Hand liegt. Sie sind nicht von einem einheitlichen Begehungsmuster ohne Anlass geprägt und lassen eine psychotische Handlungsmotivation nicht erkennen. Der Faustschlag des Angeklagten nach dem Streit mit dem Zeugen Sch. um das ‚Drogengeld’ (II. B. 1.) sowie die tätliche Auseinandersetzung im Bus mit anschließender Beleidigung und Bedrohung, die in ihrem Verlauf insbesondere durch die Interaktion Dritter wesentlich eskalierte, und die sich anschließenden Widerstandshandlungen und Beleidigungen des Angeklagten bei dem Polizeieinsatz (II. B. 3. bis 7.) enthalten für sich genommen keinen Hinweis auf ein psychotisches Erleben oder ein grundlegendes Verkennen der Situation.
Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das Landgericht nicht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte dauerhaft in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt ist, sondern es hat seiner Entscheidung die Einschätzung zugrunde gelegt, dass er lediglich situativ in einen solchen Zustand geraten kann. Belege dafür, dass den Taten des Angeklagten ein durchgreifender Mangel der Impulskontrolle zugrunde gelegen hat, finden sich aber nicht. Die Taten sind vielmehr ebenso gut normal-psychologisch erklärbar.”
Rz. 8
Dem tritt der Senat bei und bemerkt mit Blick auf die Tat zum Nachteil der Zeugin E. (II. B. 3.) ergänzend, dass selbst wenn der Angeklagte das Ausstrecken des Beines durch die Zeugin krankheitsbedingt auf sich bezogen haben sollte – was das Landgericht nicht festgestellt, jedoch bei der Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen angenommen hat –, diese Tat für sich genommen aufgrund ihres geringen Schweregrades nicht geeignet wäre, eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
Rz. 9
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Wegen der hier ersichtlich schwierigen Abgrenzungsfragen zum Krankheitsbild des Angeklagten kann es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Rz. 10
Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2018 – 2 StR 132/18, juris Rn. 10; vom 11. April 2018 – 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89 [Ls]; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Rz. 11
Der Senat sieht von der Aufrechterhaltung der für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen ab, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt eine neue und widerspruchsfreie Sachentscheidung zu ermöglichen.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Feilcke, Paul
Fundstellen
Haufe-Index 12098187 |
NStZ-RR 2020, 332 |