Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Beschluss vom 12.08.1996)

AG Villingen-Schwenningen (Teilurteil vom 29.09.1995)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 18. Zivilsenat (Familiensenat) in Freiburg – vom 12. August 1996 im Kostenpunkt und in den Ziffern I. und II. aufgehoben.

Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Teilurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen- Schwenningen vom 29. September 1995 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

 

Tatbestand

I.

Gegen das Teilurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – legte die Klägerin rechtzeitig Berufung ein, soweit sie mit ihren Ansprüchen auf Trennungsunterhalt und Auskunft nicht durchgedrungen war. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels wurde bis zum 12. Januar 1996 verlängert. Mit am 18. Januar 1996 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz begründete die Klägerin die Berufung und beantragte gleichzeitig, ihr gegen die Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trug sie vor, ihr Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt H. habe am 12. Januar 1996 um 23.00 Uhr begonnen, die fertiggestellte Begründungsschrift per Telefax an die zuständige Außenstelle des Oberlandesgerichts zu übermitteln. Nach Durchlauf von sieben Seiten des elfseitigen Schriftsatzes sei am Sendegerät die Fehlermeldung: „Unvollständig, Fehlercode 634” erschienen. Rechtsanwalt H. sei von einer Unterbrechung der Übermittlung durch einen anderen Telefaxteilnehmer ausgegangen. Nachdem er zwei bis dreimal ohne Erfolg eine Wiederholung versucht habe, habe er sich telefonisch an eine Telegrammaufnahme gewandt, um zu erfragen, ob auf diese Weise eine Eilzustellung des Schriftsatzes möglich sei. Ihm sei geraten worden, die Begründungsschrift dorthin per Fax zu übermitteln. Von dort werde der Schriftsatz weitergeleitet und er sodann davon unterrichtet, ob eine fristgerechte Zustellung möglich sei. Er habe daraufhin versucht, den Schriftsatz auf die beschriebene Weise durchzugeben. Auch dieser Versuch sei aber fehlgeschlagen. Ihm sei schließlich von einer anderen Person der Telegrammstelle zwischen 23.40 Uhr und 23.45 Uhr fernmündlich mitgeteilt worden, daß eine Spätzustellung nur bis 22.00 Uhr möglich sei. Nachdem er nochmals erfolglos die Telefaxnummer des Berufungsgerichts angewählt habe, habe er sich an die Telefonbereitschaft der Justizvollzugsanstalten gewandt, die ihn jedoch dahin verbeschieden habe, daß die Übermittlung an das Oberlandesgericht vor 24.00 Uhr nicht mehr möglich sei. Als letzten Notbehelf habe er schließlich die Begründungsschrift bei dem örtlichen Amtsgericht W. (nicht dem Gericht erster Instanz) eingeworfen.

Das Oberlandesgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Es ging davon aus, daß zwar ein technischer Fehler des Empfangsgeräts der Außenstelle des Oberlandesgerichts vorgelegen habe, daß Rechtsanwalt H. aber beim Stammgericht selbst die Übermittlung per Fax hätte durchführen können. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Klägerin hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ihr ist aber auf ihren rechtzeitig und formgerecht gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 233 ZPO.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem kürzlich ergangenen Beschluß vom 1. August 1996 ausgeführt, die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax sei in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig. Werde dieser Übermittlungsweg durch ein Gericht eröffnet, so dürften die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gelte im besonderen für Störungen des Empfangsgeräts. In diesem Fall liege die entscheidende Ursache für die Fristversäumnis in der Sphäre des Gerichts. Der Nutzer habe mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen habe, daß unter normalen Umständen mit ihrem Abschluß bis 24.00 Uhr zu rechnen sei. Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet habe, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Fax zu übermitteln, könne daher beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts nicht verlangt werden, daß er innerhalb kürzester Frist eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstelle. Fristen seien dazu bestimmt, die Gerichte vor unangemessenen Verfahrensverzögerungen zu schützen. Eine Verzögerung, die allein infolge eines in der Sphäre des Gerichts liegenden Umstandes eintrete, könne in diesem Sinne nicht als unangemessen betrachtet werden (1 BvR 121/95 – NJW 1996, 2857).

Nach diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, kann vorliegend ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden von Rechtsanwalt H. an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 85 Abs. 2 ZPO) nicht angenommen werden. Er hat am letzten Tag der offenen Frist um 23.00 Uhr mit der Übermittlung der elfseitigen Begründungsschrift an die zuständige Außenstelle des Berufungsgerichts per Telefax begonnen; unter normalen Umständen war mit einem erfolgreichen Abschluß vor 24.00 Uhr zu rechnen. Nach der Feststellung des Oberlandesgerichts sind nur die Signale, die den ersten sieben Seiten des insgesamt elf Seiten umfassenden Schriftsatzes entsprechen, in den Speicher des Empfangsgeräts gelangt; danach ist die Übermittlung mit der Fehlermeldung „Speicherkapazität überschritten” abgebrochen worden. Ursache ist nicht eine Blockierung durch andere Absender gewesen, sondern aus nicht mehr aufklärbaren Gründen hat das Gerät die übermittelten Daten nicht ausgedruckt, sondern gespeichert. Es ist damit davon auszugehen, daß die Übertragung der Begründungsschrift an einem technischen Defekt der Empfangsanlage des zuständigen Gerichts gescheitert ist. Wird der Zugang zu einem Gericht über eine Telefaxanlage eröffnet, ist es Sache der Justizbehörden, diese auch nach Dienstschluß funktionsfähig zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 1991 – IV ZR 68/91 – NJW 1992, 244 und Beschluß vom 6. März 1995 – II ZB 1/95 – NJW 1995, 1431, 1432). Die entscheidende Ursache für die Fristversäumnis lag somit in der Sphäre des Gerichts. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob es, wovon das Oberlandesgericht ausgeht, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin möglich gewesen wäre, in der verbleibenden kurzen Zeitspanne bis 24.00 Uhr die Telefaxnummer des Stammgerichts ausfindig zu machen und die Begründungsschrift an dieses Gericht noch fristwahrend (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 18. Oktober 1960 – VI ZB 13/66 – NJW 1967, 107) zu übermitteln. Auch wenn diese Möglichkeit bestanden hätte, derer sich Rechtsanwalt H. nach seinen glaubhaften Angaben nicht bewußt gewesen ist, kann darin, daß er sie nicht ausgenutzt hat, kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Anwaltsverschulden gesehen werden. Zu solchen besonderen Anstrengungen war er nämlich nicht verpflichtet.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Zysk, Hahne, Sprick, Weber-Monecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1237765

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