Leitsatz (amtlich)
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 FamRZ 2019, 387).
Normenkette
FamFG § 68
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Beschluss vom 18.12.2018; Aktenzeichen 4 T 62/18) |
AG Itzehoe (Beschluss vom 01.03.2018; Aktenzeichen 82 XVII 239/07) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Itzehoe vom 18.12.2018 aufgehoben, soweit seine Beschwerde gegen den Beschluss des AG Itzehoe vom 1.3.2018 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Für den Betroffenen besteht eine zuletzt am 12.1.2015 verlängerte Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vertretung vor Ämtern und Behörden, Kranken- und Pflegekassen, Vermögenssorge einschließlich der Entscheidung über die Entgegennahme und das Öffnen der Post. Ferner ist angeordnet, dass der Betroffene "zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis betreffen" der Einwilligung seines Betreuers bedarf, und eine Überprüfungsfrist auf den 12.1.2022 bestimmt.
Rz. 2
Der Betroffene hat in der Folgezeit mehrfach mündlich und schriftlich um Aufhebung seiner Betreuung gebeten. Das AG hat am 3.3.2017 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens angeordnet, welches von der Sachverständigen Dr. S.-M. am 3.9.2017 erstattet worden ist. Nach Anhörung des Betroffenen am 1.3.2018 hat das AG den Antrag auf Aufhebung der Betreuung durch Beschluss vom gleichen Tage zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betroffenen hat das LG durch Beschluss vom 12.3.2018 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung des LG u.a. deshalb aufgehoben, weil das LG nicht geprüft hatte, ob die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen erforderlich ist (BGH, Beschl. v. 22.8.2018 - XII ZB 180/18 FamRZ 2018, 1776).
Rz. 3
Das LG hat nach Zurückverweisung der Sache Rechtsanwalt S. als Verfahrenspfleger bestellt. Es hat danach den angefochtenen Beschluss des AG dahingehend abgeändert, dass der angeordnete Einwilligungsvorbehalt entfällt, und die Beschwerde des Betroffenen im Übrigen erneut zurückgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene weiterhin die vollständige Aufhebung seiner Betreuung.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Beschwerdegerichts.
Rz. 5
1. Das LG hat den Betroffenen auch nach der Zurückverweisung der Sache im Beschwerdeverfahren nicht angehört und dies damit begründet, dass eine Anhörung im ersten Rechtszug durchgeführt worden sei und mit Rücksicht auf die sehr ausführliche Darstellung im Protokoll über die Anhörung und die von den Sachverständigen durchgeführten Explorationen von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien. Der dem Betroffenen beigeordnete Verfahrenspfleger habe keine Stellungnahme abgegeben.
Rz. 6
2. Das hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
Rz. 7
a) Einen Antrag oder eine Anregung auf Aufhebung der Betreuung kann das Gericht nur unter Beachtung der für das Betreuungsverfahren geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 272 bis 277 FamFG - in Verbindung mit den Regelungen des allgemeinen Teils - ablehnen. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Nach den Maßstäben des § 26 FamFG bestimmt sich, ob im Einzelfall auch im Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen ist, um dem Gericht dadurch einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Dabei ist eine Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht - wie im vorliegenden Fall - zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (BGH v. 18.10.2017 - XII ZB 198/16, FamRZ 2018, 124 Rz. 9; v. 24.8.2016 - XII ZB 531/15 FamRZ 2016, 1922 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 8
Ist der Betroffene zwingend anzuhören, besteht die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (BGH, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 FamRZ 2019, 387 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 9
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die persönliche Anhörung des Betroffenen durch das AG ist in Abwesenheit des - erst nachträglich vom Beschwerdegericht bestellten - Verfahrenspflegers erfolgt. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht als verfahrensfehlerhaft.
Rz. 10
aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll im Verfahren nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschl. v. 14.2.2018 - XII ZB 465/17 FamRZ 2018, 705 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 11
bb) Das AG hat in der ersten Instanz keinen Verfahrenspfleger bestellt, obwohl es im vorliegenden Fall schon wegen des - einen Einwilligungsvorbehalt umfassenden - Verfahrensgegenstands evident gewesen ist, dem Betroffenen bei Eintritt in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen auch im Aufhebungsverfahren einen Verfahrenspfleger zur Seite zu stellen. Auf die Voraussetzungen, unter denen bei der nachträglichen Bestellung eines Verfahrenspflegers in der gleichen Instanz von der Wiederholung einer zunächst ohne Beteiligung eines Verfahrenspflegers durchgeführten Anhörung abgesehen werden kann (vgl. dazu BGH v. 15.5.2019 - XII ZB 57/19 FamRZ 2019, 1356 Rz. 9 f.; v. 14.2.2018 - XII ZB 465/17 FamRZ 2018, 705 Rz. 8 f.), kommt es nicht an, weil der Verfahrenspfleger hier erst im Beschwerdeverfahren bestellt worden ist. Die in erster Instanz ohne Beteiligung eines Verfahrenspflegers durchgeführte Anhörung bleibt verfahrensfehlerhaft und musste von dem Beschwerdegericht zwingend wiederholt werden.
Rz. 12
3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch macht. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Fundstellen